Der Zauberspiegel.
Text: Andreas Lorenz-Meyer
Agrivoltaik ist, wenn auf demselben Stück Land Strom erzeugt und Landwirtschaft betrieben wird. In diesem Bereich bietet ein Absolvent der Universität Basel mit seinem Start-up ein neuartiges Produkt.
Tomaten, Gurken, Salat: Alle Pflanzen brauchen Licht zum Wachsen – aber nicht das ganze Lichtspektrum. Der grüne Blattfarbstoff Chlorophyll absorbiert nur einen bestimmten Wellenlängenbereich und wandelt ihn in chemische Energie um. Es ist der Bereich, der ungefähr den Farben Blau, Grün und Rot entspricht. Wobei die Pflanzen vor allem Blau und Rot verwerten und grünes Licht reflektieren – weshalb wir Blätter als grün wahrnehmen.
Diese Tatsache steht im Zentrum einer Idee, mit der der Physiker Jonas Roch ein Start-up gründete. Ein Physiker und Pflanzen? Mit denen hatte er tatsächlich beruflich lange nichts zu tun. Als Postdoc an der Universität Basel war Nanophotonik sein Spezialgebiet. Damals nahm er auch an einem Training des Innovation Office der Universität zu Themen der Unternehmensgründung teil. Und später, als er bei einem Energiekonzern angestellt war, ging es um Energiethemen.
Aber dann kam Roch darauf, dass sich beides ja verbinden liesse, die Pflanzen und die Physik. Er fing an, Fotovoltaik-Module speziell für Gewächshäuser zu entwerfen. Module, die jenen Teil des Lichtfarbspektrums passieren lassen, den Nutzpflanzen verwerten – und den ungenutzten Rest einfangen und daraus Strom erzeugen.
Aus der Idee ist das Unternehmen Voltiris geworden. Roch gründete es 2022 zusammen mit dem Ökonomen Nicolas Weber und dem Maschinenbauer Dominik Blaser. Ihr Produkt: Module, die oben am Glasdach des Gewächshauses angebracht werden und dort munter Strom produzieren, ohne den Pflanzen darunter das für die Fotosynthese wichtige Licht wegzunehmen. Das funktioniert, weil im Modul ein sogenannter dichroitischer Spiegel eingebaut ist. «Eine ganz besondere Art Spiegel», so Roch. «Er reflektiert nur bestimmte Lichtfarben, alles andere lässt er durch.»
Von Nanostrukturen zur Fotovoltaik.
Dem «Zauberspiegel» war der Physiker in seiner Zeit als Postdoc an der Universität Basel begegnet. In seinem Forschungsgebiet, der Nanophotonik, geht es darum, wie winzige Strukturen – ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter – mit Licht interagieren. Um die komplizierten optischen Eigenschaften solcher Nanostrukturen zu erforschen, führte Roch Versuche durch. Und da kamen dichroitische Spiegel zum Einsatz.
So wie heute bei den Gewächshaus-Spezialanfertigungen. Hier werden die Lichtanteile, welche die Pflanzen nicht brauchen, auf die Solarmodule umgelenkt – und diese erzeugen damit Strom. Welche Wellenlängen der Spiegel herausfiltert, lässt sich genau einstellen. Je nachdem, was im Gewächshaus angebaut wird. «Nahinfrarot geht immer», erklärt Roch. Das ist der langwellige Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der direkt ans sichtbare Licht anschliesst. «Pflanzen brauchen Nahinfrarot nicht, und es lässt sich hervorragend in Strom umwandeln.»
Aber auch Farben innerhalb des sichtbaren Lichtspektrums eignen sich zum Stromproduzieren. Das sonst ohnehin nur reflektierte grüne Licht lässt sich ebenfalls herausfiltern, ohne den Ernteertrag spürbar zu schmälern. Der dritte fotovoltaisch nutzbare Farbbereich ist der äusserste Bereich des sichtbaren Lichts, auch als «fernrotes» Licht bezeichnet. Es signalisiert Pflanzen, ob sie in die Höhe oder in die Breite wachsen sollten. Nicht bei allen Nutzpflanzen darf man es herausfiltern: Gurken zum Beispiel brauchen es. Blättrige Pflanzen wie Kopfsalat oder Spinat kommen hingegen gut ohne Fernrot aus.
Vielversprechende Ergebnisse.
Dass die Lichtfilterung funktioniert, haben Roch und seine Mitstreiter bereits nachgewiesen. Von März bis November 2022 fand in einem Gewächshaus im Wallis ein Probelauf mit Tomaten und anderen Nutzpflanzen statt. Ergebnis: keine Beeinträchtigung beim Pflanzenwachstum, dazu ordentliche Strommengen. Jedoch waren es im Wallis nur Tests mit zehn Quadratmeter Fotovoltaikfläche und Zwergsorten: Die Fruchterträge – fünf Kilogramm pro Quadratmeter – lagen weit entfernt von den Dimensionen des industriellen Gewächshausanbaus. «Ein Tomatenanbauer erntet jedes Jahr 50 Kilogramm Früchte pro Quadratmeter», so Roch. Also sind grösser angelegte Versuche notwendig – und die laufen gerade im niederländischen Bleiswijk mit Tomaten und im französischen Orléans mit Gurken.
Die Zwischenergebnisse sind erfreulich. Die Module eignen sich für den industriellen Anbau. Und sie bringen sogar zusätzliche Vorteile bei Insekten, welche erhebliche Probleme in Gewächshäusern verursachen können. Fransenfliegen zum Beispiel sind in der Lage, den Jahresertrag bei Gurken um zehn Prozent zu reduzieren. Wie die Module dagegen helfen? «Insekten werden ja von leuchtenden Farben wie Gelb und Grün angezogen», erklärt Roch. «Weil die Spiegel grünes Licht herausfiltern, sinkt das Insektenaufkommen unter den Modulen. Dadurch lässt sich der Einsatz von Pestiziden, der in Gewächshäusern ohnehin geringer ist, noch weiter reduzieren.»
Seit September ist Voltiris in der Phase der kommerziellen Nutzung angekommen. Die Module produzieren in einem der grössten Schweizer Tomatengewächshäuser Strom, die Fläche wird Stück für Stück auf 1000 Quadratmeter erhöht. Die Sache nimmt also richtig Fahrt auf. Roch erhofft sich viel von seiner Erfindung. Mit den Modulen könnten die Betriebskosten im Gewächshausanbau sinken. Zudem helfen sie, Treibhausgasemissionen zu sparen und energieunabhängig zu werden. Die Module decken den Strombedarf komplett ab.
Und wenn dann noch vom Wärmeträger Erdgas auf ein Wärmepumpensystem gewechselt würde, welches den Stromüberschuss nutzt, könnte das Gewächshaus zu 60 Prozent energieautark sein. Dann entstünde auch nicht mehr so schnell eine Situation wie letztes Jahr, als 40 Prozent der niederländischen Gewächshausbauern den Betrieb wegen der hohen Erdgaspreise vorübergehend einstellen mussten.
«Gewächshäuser sind und bleiben wichtig für die Nahrungsmittelproduktion», da ist sich der Alumnus der Universität Basel sicher. «Sie sind heute der effizienteste und wassersparendste Weg, Lebensmittelpflanzen anzubauen. Zudem schützen sie die Ernten vor immer extremeren Wetterereignissen und erhöhen so die Ernährungssicherheit.» Hinzu kommt nun also, dass sich dank der Module die Landnutzung verbessern lässt, «weil man dieselbe Fläche für Lebensmittel- und Energieproduktion einsetzen kann».
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