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Hüben und drüben. (02/2023)

Blaulicht hält wach – stimmt das?

Text: Christian Cajochen

Displays von Smartphones und Tablets strahlen blaues Licht ab. Dieses steht im Verdacht, wachzuhalten, weshalb viele Brillen diese Lichtfarbe inzwischen herausfiltern. Ist das sinnvoll? Chronobiologe Christian Cajochen ordnet ein.

Illustration: Frau zählt Schafe, die aus einem Bildschirm springen
Illustration: Corina Vögele

Blaulicht ist ein Anteil des Lichts. Spezielle Rezeptoren in der Netzhaut des Auges sind sehr empfindlich auf bestimmte Blauanteile des Lichts. Diese sogenannten «Melanopsinrezeptoren» spielen keine Rolle für die Farbwahrnehmung, sondern senden Reize über Neuronen an Hirnregionen, die beim Menschen den Wachheitsgrad steuern. Licht in einem bestimmten Wellenlängenbereich (480 nm) hält also tatsächlich wach. Abhängig von der Tageszeit kann unser Körper das zum Vorteil nutzen. Wenn wir schlafen wollen, ist es aber ein Nachteil.

Den Lichtkonsum am Abend, namentlich Bildschirmlicht, würde ich möglichst einschränken. Es empfiehlt sich daher, das Handy oder Tablet eine bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen wegzulegen. Für alle, die das dennoch nicht können oder wollen, kann das Farbprofil «Nachtmodus» mit einem reduzierten Blaulichtanteil eine alternative Massnahme sein. Alles, was die Intensität und den Blauanteil reduziert, hilft nachweislich, die innere Uhr und damit den Einschlafprozess zu unterstützen.

Brillen mit Blaufilter sind meiner Meinung nach aber unnötig, insbesondere, wenn sie tagsüber eingesetzt werden. Denn dann brauchen wir viel Tageslicht mit einem hohen Blauanteil, um die innere Uhr zu eichen. Abends vor dem Schlafengehen sind sie vielleicht sinnvoll, jedoch nur, wenn man nicht bereits den Nachtmodus verwendet. Denn die visuelle Qualität ist sicherlich eingeschränkt und man rückt noch näher an den Bildschirm. So bekommt man letztlich noch mehr Licht ab als ohne diese Einschränkungen. Beides gleichzeitig macht wenig Sinn.

Unsere Forschung hat ausserdem gezeigt, dass sich die unerwünschte wachheitsfördernde Wirkung des Lichts am Abend verringern lässt, wenn spezifisch das melanopische Licht des Bildschirms reduziert wird. Dreht man den «Melanopsinregler» am Bildschirm runter, werden die Melanopsinrezeptoren weniger stimuliert, die Bildqualität bleibt aber gleich (der Bildschirm wird nicht gelb-orange), die abendliche Sekretion des Dunkelhormons Melatonin wird weniger unterdrückt und man schläft schneller ein.


Originalpublikation in Communications Biology (2023)

Christian Cajochen leitet das Zentrum für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken der Universität Basel. Eines seiner Forschungsinteressen gilt insbesondere dem Einfluss von Licht auf den menschlichen Schlaf sowie dem zirkadianen Rhythmus und dessen Veränderungen bei psychisch kranken Menschen.


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