Alles halb so wild?
Text: Samuel Schlaefli
Gezielte Fehlinformationen verharmlosen den Klimawandel. Sie erreichen grosse Teile der Gesellschaft – zu verlockend ist die Absolution, die solche Lügen bieten.
99 Prozent der Forschenden in den Klimawissenschaften sind sich einig, dass die Klimakrise menschengemacht ist und dass die Verbrennung fossiler Energieträger die Hauptursache für die globale Erwärmung ist. Dennoch unterschätzen die meisten Menschen, wie eindeutig die wissenschaftlichen Ergebnisse sind, und auch, wie breit die gesellschaftliche Zustimmung für Klimaschutz ist. Wie ist das möglich?
«Alleine seit der Jahrtausendwende haben Kohle-, Erdöl und Gasunternehmen Milliarden von US-Dollars in Lobbyarbeit gesteckt, um den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, weil der Ausstieg aus fossilen Energien ihnen wirtschaftlich immens schaden würde», sagt Zahra Rahmani, Doktorandin in der Arbeitsgruppe für Psychologie der Nachhaltigkeit und Verhaltensänderung an der Universität Basel. «Die Industrie beschäftigt Kommunikationsprofis, die mit ihren Botschaften grosse Bevölkerungsanteile erreichen, besonders über Social Media.»
Bewusste Verwirrung durch Falschinformation.
Eine im Dezember 2023 in der Fachzeitschrift «Nature Human Behaviour» veröffentlichte Studie zeigt nun: Die Investitionen der fossilen Industrie in Klimafehlinformationen zahlen sich aus. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Basel und Genf hat in zwölf Staaten rund 6800 Studienteilnehmende mit Fehlinformationen zu Klimathemen konfrontiert. Zum Beispiel, dass Wind- und Sonnenenergie teurer seien als Energie aus fossilen Quellen und dass sie das Stromnetz zwangsläufig destabilisieren.
Die 20 verwendeten Falschaussagen waren die Quintessenz aus 20 000 Tweets, die von den Forschenden vorab ausgewertet wurden. Sie bildeten also reale Fehlinformationen zum Klimawandel auf der früher als Twitter bekannten Plattform ab.
Die Fehlinformationen zeigten bei den Teilnehmenden gleich auf drei Ebenen Wirkung: Die Probandinnen und Probanden waren weniger besorgt über die Folgen des Klimawandels, weniger bereit, sich für Klimaschutz zu engagieren, und sie hatten mehr Mühe, Falschaussagen von faktenbasierten Informationen zu trennen.
«Je mehr Fehlinformationen wir ausgesetzt sind, desto schwerer fällt es uns, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden», erklärt Ulf Hahnel, Professor und Leiter der Gruppe für Psychologie der Nachhaltigkeit und Verhaltensänderung. «Diesen Verwirrungseffekt nutzen entsprechende Akteure bewusst.»
Gleichzeitig untersuchten die Forschenden, ob evidenzbasierte Informationen dazu beitragen können, diese Verwirrung zu neutralisieren. Dafür erhielten etwa 5100 der 6800 Probandinnen und Probanden eine von sechs kurzen Textpassagen, bevor sie den Falschinformationen ausgesetzt wurden. Diese Texte wiesen auf den wissenschaftlichen Konsens zum menschengemachten Klimawandel, die moralische Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen oder die positiven Nebenwirkungen von Klimamassnahmen hin.
Dazu gehört etwa, dass Velofahren nicht nur CO2 einspart, sondern auch die Gesundheit fördert. Eine Theorie des Verhaltensforschers William J. McGuire besagt, dass solche «psychologische Impfungen» dazu beitragen, Rezipienten gegen Fehlinformationen zu immunisieren. «Doch das Resultat unseres Experiments war ernüchternd», sagt Hahnel. «Die Effekte der Impfungen waren gering und schützten nur gegen einzelne Fehlinformationen.» Und auch die politische Ausrichtung, die in anderen Studien als einer der wichtigsten Faktoren für die Affinität zu Klimaschutz ausgemacht wurde, zeigte in dieser Studie keine Wirkung. «Fehlinformationen wirken über alle Gruppen hinweg; selbst gut informierte Menschen sind nicht davor gefeit», sagt Hahnel.
Gegen die Veränderung, für den Status quo.
Zahra Rahmani untersucht derzeit, wie Menschen in einer polarisierten Informationslandschaft überhaupt Informationen zum Klimawandel auswählen. Eine These besagt, dass sich Personen jeweils diejenigen Informationen aussuchen, die am besten zu ihren Überzeugungen passen. Das bestätigte sich in einer ersten Vorstudie allerdings nicht ganz: So schauten sich die meisten Teilnehmenden Informationen und Fehlinformationen zu etwa gleichen Teilen an, wenn sie frei zwischen Fakten und Lügen auswählen können. «Alle schauten sich bewusst auch Fehlinformationen an, obwohl die grosse Mehrheit unserer Stichprobe sehr besorgt über den Klimawandel war», sagt Rahmani.
Zwar habe diese Gruppe in Befragungen nach dem Experiment den Argumenten für Klimaschutz immer noch deutlich mehr zugestimmt als den Gegenargumenten. Gleichzeitig reduzierte sich aber ihre Sorge um den Klimawandel unmittelbar nachdem sie eine Fehlinformation gesehen hatten – die Fehlinformationen zeigten also Wirkung.
Hahnel sieht eine Erklärung für die Anziehungskraft von Fehlinformationen im entlastenden Charakter: «Sie versichern, dass es in Ordnung ist, den Status quo beizubehalten, und dienen damit der eigenen Bequemlichkeit.» So sei es zum Beispiel einfacher, China pauschal für die Klimakrise verantwortlich zu machen, als die Gründe im eigenen Lebensstil zu suchen. Weil Fehlinformationen dermassen wirkmächtig sind, fordert Hahnel auch Massnahmen auf gesellschaftlichsystemischer Ebene, etwa durch die Regulierung sozialer Medien.
Ulf Hahnel ist Professor an der Fakultät für Psychologie und leitet die Forschungsgruppe Psychologie der Nachhaltigkeit und Verhaltensänderung.
Zahra Rahmani ist seit 2022 Doktorandin in Ulf Hahnels Forschungsgruppe.
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