Die Kunst der Täuschung.
Text: Christoph Dieffenbacher
An den Wänden vieler Museen und Sammlungen hängen gefälschte Kunstwerke. Raffinierte Kopien erzielen auf dem Markt Millionengewinne und bewegen die Kunstwissenschaft.
Die Familie des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen gruppiert sich um eine Madonna mit Jesuskind. Das Gemälde mit dieser idyllischen Szenerie, gemalt 1526 von Hans Holbein dem Jüngeren, hat eine bewegte Geschichte: Jahrhundertelang kursierten in Europa zwei ähnliche Ölbilder mit demselben Titel, und beide wechselten ihre Besitzer häufig. Der Grund: Ein Kunsthändler hatte das Bild um 1635 vom wenig bekannten Maler Bartholomäus Sarburgh kopieren lassen – und auch diese Fassung als echten Holbein weiterverkauft.
Die Kopie stiess später, als vermeintliches Original, in der Dresdner kurfürstlichen Sammlung auf grosse Bewunderung und hing im selben Saal wie die «Sixtinische Madonna» von Raffael. Zeitweise galt die Kopie gar als Deutschlands wertvollstes Kunstwerk. Doch als um 1820 aus Privatbesitz in Berlin die zweite Fassung auftauchte, die später nach Darmstadt kam, stellte sich die Frage: Welches Bild war nun das ursprüngliche? Zum Vergleich hatte man 1871 in Dresden beide Gemälde nebeneinandergehängt und einen Kongress organisiert, an dem sich Fachleute um Original und Kopie stritten.
Ein Streit als Geburtsstunde.
«Der damalige ‹Dresdner Holbeinstreit› war die Geburtsstunde unserer wissenschaftlichen Disziplin in Deutschland», sagt Andreas Beyer, Professor für Kunstgeschichte der frühen Neuzeit an der Universität Basel. Erstmals stützte man sich aufgrund vermeintlich objektivierbarer stilistischer Kriterien auf Urteile, die sich später durch technische Methoden wie Röntgen und Infrarot bestätigen liessen. Der Entscheid am Fachkongress fiel klar aus: Die mehrmals korrigierte Darmstädter Fassung war das Original, das Dresdner Gemälde die Kopie.
Das Publikum, darunter viele Künstler, war allerdings gegenteiliger Ansicht. «In der Kunst wurde schon immer nachgeahmt», erklärt Beyer, der sich intensiv mit Fälschungen befasst. So bildeten die alten Römer griechische Bronzeplastiken in Marmor nach.
Nicht immer war wichtig, dass ein Originalwerk von der Hand des Künstlers selbst stammen muss: Meister wie Rembrandt unterhielten ganze Werkstätten und Schulen, in denen jüngere Maler Gemälde in deren Stil produzierten. Albrecht Dürer hatte gerichtlich durchgesetzt, dass Kopien seiner Druckgrafiken zwar erlaubt sind, seine Signaturen aber nicht verwendet werden durften.
Andere narren.
Nun ist ein Imitat erst eine Fälschung, wenn sie jemand bewusst und mit der Absicht herstellt, andere zu täuschen. Als genialer Meister seiner Zunft gilt etwa der Deutsche Wolfgang Beltracchi, der vor seiner Verhaftung 2010 die Experten jahrelang in die Irre führte und Millionengewinne erzielte. Wie andere Fälscher, übrigens meist Männer, sieht er sich als eigenständiger Künstler – nur dass er eben vor seiner Enttarnung in der Manier anderer malte. Und manche Kopisten, deren Werke unerkannt in Museen hängen, geben sich in der Hoffnung auf öffentliche Anerkennung freiwillig zu erkennen.
Woher diese Faszination für das Fälschergewerbe in der Kunst? Beyer antwortet mit einer Gegenfrage: «Wer schaut nicht gerne einem raffinierten Gauner zu, dem es gelingt, andere zu narren?» Ein gelungenes Imitat stellt für den Wissenschaftler eine eigene Kunstform und eine Art Kulturtechnik dar, genauso wie die Hochstapelei und das Plagiieren. Da komme bei manchen eine heimliche Freude auf, die Fachwelt hinters Licht zu führen.
Bewunderung erhalten Fälscher auch, weil viele Menschen unter Kunst die getreue Abbildung von Wirklichkeit verstehen – in diesem Fall von bestehenden Kunstwerken. «Im Museum sehe ich jeden Tag Fälschungen, ohne es zu merken», meint der Basler Kunsthistoriker. In öffentlichen und privaten Sammlungen machen sie geschätzte zehn Prozent aus, eher mehr. Die Dunkelziffer ist hoch.
Beyer sagt: «Der Kunstmarkt giert unausgesetzt nach Originalen. Damit ruft er automatisch Fälscher auf den Plan.» Hervorragend gemachte Kopien hätten einen eigenen Wert; dass sie in ihrer Qualität kaum mehr gewürdigt werden und meist in die Museumsdepots wandern, bedauert er.
Mit Auge und Gespür.
Trotz aller wissenschaftlicher und technischer Fortschritte ist es nicht einfach, Original und Kopie auseinanderzuhalten. Oft brauche es dazu weniger kunsthistorisches Wissen als etwas, das Beyer mit «Kennerschaft» umschreibt: die Fähigkeit, feine Unterschiede in Technik und Stil mit geschultem Auge und Gespür zu erkennen. Menschen mit dieser Begabung kommen in ihren Urteilen übrigens meist mit wenig Worten aus. Zudem sei da noch das Phänomen des sogenannten «Period eye»: «Fälscher und Fachleute sind jeweils demselben Zeitgeschmack unterworfen. Daher lassen sich heutige Fälschungen schlechter erkennen als ältere.»
Immer wieder geraten weltbekannte Kulturschätze in den Verdacht, Fälschungen zu sein. Zum Beispiel ist sich Beyer ganz sicher, dass die berühmte Berliner Nofretete nicht echt ist. Statt im Alten Ägypten der Pharaonenzeit sei die Büste aus Kalkstein und Gips erst vor gut 100 Jahren gefertigt worden. Seine Begründung: «Für mich sieht diese Königin allzu sehr nach Stummfilmzeit aus.» Der Kunsthistoriker ist aber froh, diese Vermutung nicht beweisen zu müssen, wie er glaubhaft versichert.
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