Soll die Schweiz die Embryonenspende zulassen?
Text: Irène Dietschi
In der Schweiz ist es nicht erlaubt, überzählige Embryonen aus einer künstlichen Befruchtung (IVF) anderen unfruchtbaren Paaren zu spenden. Die Juristin Valentina Christen-Zihlmann untersucht, ob dieses Verbot noch zeitgemäss ist.
Würde sich Valentina Christen-Zihlmann einer IVF-Behandlung unterziehen, dann würde sie überzählige Embryonen der Forschung spenden – persönlich. «Da bin ich sicher», sagt sie bei unserem Treffen im Bahnhofbuffet Olten, «ähnlich, wie ich nach meinem Tod auch meine Organe spenden würde.»
Als «überzählig» gelten Embryonen, die im Reagenzglas entwickelt worden sind und nicht mehr für Fortpflanzungszwecke verwendet werden; etwa, weil ein Paar seine Familienplanung abgeschlossen oder sich getrennt hat. In der Schweiz haben Paare dann die Wahl, die Embryonen vernichten zu lassen oder sie der Forschung zur Verfügung zu stellen, ausschliesslich zur Gewinnung embryonaler Stammzellen.
Aus Sicht der Fortpflanzungsmedizin gibt es noch eine andere Option, nämlich überzählige Embryonen an ein anderes Paar zu spenden, das den Embryo «adoptiert». Diese sogenannte Embryonenspende ist hierzulande verboten; eine Ärztin, die dem zuwiderhandelt, kann mit einer Busse von bis zu 100 000 Franken rechnen.
In ihrer Dissertation an der Juristischen Fakultät der Universität Basel hat Valentina Christen die Gründe dieses Verbots untersucht und ob es sich aus rechtlicher Sicht noch immer rechtfertigen lasse. Die Schlussfolgerung der Juristin: «Nein.»
Neue Regeln mit Konsequenzen.
Auch wenn für sie persönlich die Spende überzähliger Embryonen an ein anderes Paar nicht infrage käme, so ist Christen aus juristischer Sicht klar für die Zulassung der Embryonenspende. Sie nimmt einen Schluck von ihrer Cola Zero, lehnt sich vor und erklärt: Das Verbot der Embryonenspende stehe im Widerspruch zu den Entwicklungen im Fortpflanzungsmedizinrecht, aktuell etwa zu den Bestrebungen des Parlaments, die – ebenfalls verbotene – Eizellenspende zuzulassen. «Doch die Weichen wurden bereits gestellt, als bei der IVF die Dreierregel fiel.»
Rückblende: In ihren Anfängen war die In-Vitro-Fertilisation (IVF) hierzulande sehr restriktiv geregelt. Es durften maximal drei Embryonen entwickelt und diese mussten sofort in die Gebärmutter transferiert werden. Embryonen aufzubewahren, war verboten. Seit
1. September 2017 gilt nun die sogenannte Zwölferregel: Pro Behandlungsversuch dürfen bis zu zwölf Embryonen entwickelt werden, die Kryokonservierung von Embryonen ist seither erlaubt. «Die Schweiz hatte sich damit an internationale IVF-Standards angepasst, die im Übrigen die Paare stark entlasten», resümiert Valentina Christen – um ein grosses Aber anzufügen: «Die Änderungen waren überhaupt nicht zu Ende gedacht.»
Das betreffe vor allem die Handhabung überzähliger Embryonen: Die Option, diese zu spenden, um anderen Paaren deren Kinderwunsch zu erfüllen, hätten die Gesetzgeber vorschnell verworfen. «Es wurde argumentiert, die Embryonenspende würde leichtfertig die Entwicklung überzähliger Embryonen begünstigen, und das wollte man um jeden Preis vermeiden», so die Juristin. Dahinter standen Befürchtungen, die seit jeher mit der IVF-Technologie verknüpft werden: Missbrauch in der Forschung, Selektion nach bestimmten Kriterien, Eugenik.
Was Politikerinnen und Politiker aber ausgeblendet hätten: «Es ist die Zwölferregel per se, die mehr überzählige Embryonen erzeugt», sagt Valentina Christen. Eine solche Regel einzuführen und die Aufbewahrung von Embryonen zu erlauben, gleichzeitig aber die angebliche «Vermeidung überzähliger Embryonen» zu reklamieren, das sei widersprüchlich. Gespaltene Elternschaft. Historisch sind im Parlament zwar immer wieder Vorstösse eingereicht worden, um die Embryonenspende in der Schweiz zuzulassen, «aber alle ohne Erfolg», sagt Christen.
Die Fragestellungen sind komplex.
Gerechtfertigt wurde das Verbot jeweils hauptsächlich mit dem Kindeswohl: Dieses sei gefährdet, wenn die genetische, biologische und soziale Elternschaft, insbesondere bezogen auf die Mutterschaft, auseinanderfalle.
Auch dieses Argument verfange nicht: «Studien im Ausland belegen, dass betroffene Kinder keinen psychischen Schaden davontragen.» Und nun nehme man bei den Diskussionen um die Einführung der Eizellenspende die «gespaltene Mutterschaft» in Kauf. Denn bei der Eizellenspende fällt die Einheit von genetischer und biologischer Mutterschaft ebenfalls auseinander; bei Embryonen, die in vitro aus gespendeten Ei- und Samenzellen entwickelt werden, ist die Elternschaft noch divergenter.
Für Valentina Christen ist deshalb klar: Sollte in der Schweiz die Eizellenspende erlaubt werden, «dann muss sich die Legislative zwingend mit der Embryonenspende auseinandersetzen. Nur schon, um Abgrenzungen zwischen der Eizellen- und der Embryonenspende vorzunehmen, die nicht immer ganz klar sind.»
Allerdings, betont sie: «Die rechtliche Seite ist nur das eine – die persönliche Haltung dazu etwas anderes.» Christen hat mit Paaren gesprochen, die mithilfe von IVF Eltern geworden sind. Die Familienplanung ist abgeschlossen, doch im Labor existieren noch mehrere kryokonservierte Embryonen.
So komme es vor, dass sich beispielsweise ein Elternteil für die Spende der überzähligen Embryonen an die Forschung ausspreche, während für den anderen Elternteil klar ist, «die eigenen Kinder» niemals als Forschungsobjekte zur Verfügung zu stellen. «Das Beispiel zeigt, wie sensibel dieses Thema ist», sagt Valentina Christen. Die Embryonenspende als weitere Option macht den Umgang damit noch komplexer. Sie betont allerdings, dass die Wahl zum Umgang mit ihren überzähligen Embryonen jedem Paar selbst zukommen soll.
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