Intro "Cordula Lötscher","00:00:00:13","00:00:37:09","Jeder Kanton muss eine Schlichtungsbehörde für solche Streitigkeiten vorsehen, bevor die Parteien ans Gericht gelangen dürfen. Die Idee dahinter ist, dass man zuerst versuchen soll, sich zu einigen. Also zuerst schlichten, dann richten. In ganz wichtigen Konflikten einen Blick nach vorne. Also nicht ein rückwärtsgerichteter, vergangenheitsgerichtete Blick, sondern ein zukunftsgerichteten Blick. Weil es bei Konflikten nicht darum geht, in ihnen zu verharren, sondern bei Konflikten geht es idealerweise darum, sie weiterzubringen, auf eine nächste Stufe zu heben oder sogar zu lösen." "Cordula Lötscher","00:00:37:11","00:00:58:03","Das mündliche Streiten, das ist man sich sehr gewohnt und da wirft man sich zum Teil auch Dinge an den Kopf, die man vielleicht grad kontern kann und auf die man reagieren kann, die man relativieren kann. Und dann stehen sie vielleicht nachher nicht mehr so absolut im Raum, wie wenn eine schriftliche Kommunikation da ist, wo solche Aussagen perpetuiert werden und immer wieder hervorgeholt werden." "Cordula Lötscher","00:00:58:05","00:01:06:19","Also diese Verletzungen, die sind diesen viel bleibender." "Catherine Weyer","00:01:06:21","00:01:37:01","Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Mein Name ist Catherine Weyer. Kinder, die sich um einen Ball streiten. Paare, die sich fetzen und trennen. Nachbarschaftsstreit, die vor Gericht landen, bis hin zu ganzen Nationen, die gegeneinander Krieg führen. Streit gibt es überall. Im besten Fall schaffen wir es, uns wieder zu vertragen. In den fünf Folgen dieser Staffel schauen wir uns mit Expertinnen der Universität Basel fünf Forschungsfelder an, die sich mit Streit und Versöhnung befassen." "Cordula Lötscher","00:01:37:03","00:02:15:21","Und heute dreht sich alles um die Frage, wie wir einen Streit mithilfe der Justiz schlichten können. Mir gegenüber sitzt Cordula Lötscher. Sie ist Professorin für Zivil- und Zivilprozessrecht. Ausserdem ist sie nebenamtliche Richterin und besitzt das Anwaltspatent. Unter anderem befasst sie sich mit Verhandlungstechnik und alternativer Streiterledigung. Frau Lötscher, herzlich willkommen! Herzlichen Dank! Wir sprechen darüber, wann ein Streit so eskaliert, dass ein Gericht eingeschaltet werden muss, welche Möglichkeiten es gibt, um dennoch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen und wieso man manchmal auch seinen Stolz herunterschlucken muss, um sich nicht auf ewig zu streiten." "Catherine Weyer","00:02:15:23","00:02:47:05","Frau Lötscher, schlichten Sie auch im Privaten gern? Ja, ich glaube schon. Ich bin nicht ein Mensch, der Konflikte mag. Grundsätzlich. Ich mag die Lösungen mehr. Sie haben sich unter anderem auf Verhandlungstechniken spezialisiert. Woher kommt das Interesse? Wir lernen in unserem Studium Rechtswissenschaften lernen wir eine Herangehensweise an juristische Probleme. Wir lernen, mit juristischen Fragestellungen umzugehen und Lösungen zu finden, die dem Recht entsprechen." "Cordula Lötscher","00:02:47:07","00:03:12:10","Wenn wir dann aber in der Praxis tätig sind als Juristinnen und Juristen, dann haben wir es nicht mehr mit theoretischen, rechtlichen Problemen zu tun, Fragestellungen, sondern mit Menschen, mit dem Leben und mit Emotionen. Und da beginnt es dann auch wirklich spannend zu werden, weil da sind wir dann auch wirklich gefordert. Vielleicht müssen wir ganz kurz noch die Begrifflichkeiten klären: Wann spricht man eigentlich von einer aussergerichtlichen Einigung?" "Catherine Weyer","00:03:12:12","00:03:36:23","Ist da das Gericht tatsächlich gar nicht involviert? Es gibt aussergerichtliche Einigungen, die treffen wir eigentlich mehr oder weniger jeden Tag, wo keine Gerichte involviert sind. Wenn einmal ein Gericht involviert ist in eine Streitigkeit, ist es immer noch möglich, sich einig zu werden, auch in dieser Phase noch des Streits. Und dann können wir immer noch sogenannte Vergleiche abschliessen, bis ganz am Schluss eines Verfahrens." "Cordula Lötscher","00:03:36:24","00:04:03:04","Ein Vergleich hat dann dieselbe Wirkung wie ein hoheitlicher Gerichtsentscheid. Und dann sprechen wir von einem gerichtlichen Vergleich, wenn das bereits stattfindet, im gerichtlichen Verfahren. Aber gleichwohl es sind die Techniken, die involviert sind in das Finden eines solchen Vergleichs oder in die Verhandlungsführung sind dieselben Techniken wie bei einer rein aussergerichtlichen Streiterledigung. Damit wir es nicht in dieser Theorie hängen bleiben, haben Sie uns zwei typische Beispiele mitgebracht." "Cordula Lötscher","00:04:03:06","00:04:05:11","Fangen wir mit einer Trennung an." "Einspieler","00:04:05:13","00:04:35:15","Marco und Patrizia sind seit elf Jahren miteinander verheiratet. Die beiden Kinder Nico und Klara sind zwölf bzw acht Jahre alt. Bereits kurz nach der Geburt von Nevio hatten die beiden eine Krise, die überwunden schien. Nun sind sich aber beide sicher: Sie können und wollen nicht mehr zusammenleben, denn der gemeinsame Alltag ist geprägt von Streitigkeiten. Marco arbeite zu viel, kümmere sich nicht um die Bedürfnisse der Kinder und habe kein Ohr für Patrizias Probleme." "Einspieler","00:04:35:17","00:04:59:04","Marco hingegen ist der Meinung, dass die ganze Last der Familienfinanzierung auf ihm liege und er alles für seinen Job tun müsse, damit sie sich ihren Lebensstandard weiterhin leisten können. Heute sagen die beiden, dass sie sich auseinandergelebt haben und nun das Beste für ihre Kinder möchten. Wenn es aber um die Details geht, wird es schnell schwierig. Wer bleibt mit den Kindern in der grossen Wohnung?" "Einspieler","00:04:59:09","00:05:20:22","Wer sucht sich etwas Neues? Wo schlafen die Kinder wann? Wer bezahlt wie viel Unterhalt? Die beiden können sich in keinem dieser Punkte einigen. Marco arbeitet in einer leitenden Funktionen in der Verwaltung. Er hat bisher an einem Tag in der Woche die Kinder betreut und möchte dies auch weiterhin tun. Patrizia hat nach der Geburt von Nevio aufgehört zu arbeiten." "Einspieler","00:05:20:24","00:05:49:18","Seit Klara im Kindergarten ist, arbeitet sie jeden Vormittag in einer Bibliothek, insgesamt 30 Stellenprozent. Wenn die Kinder künftig unter der Woche bei Marco schlafen sollen, wird sie die beiden nicht in die Schule bringen können. Marco hingegen meint, dass er pünktlich um 7:30 zu seinen Sitzungen im Büro sein muss und die Kinder nicht bringen kann. Dass Patrizia aufhört zu arbeiten und Marco entsprechend mehr Unterhalt für sie und die Kinder bezahlen muss, will er aber auch nicht." "Catherine Weyer","00:05:49:20","00:06:18:12","Das klingt nach einer ziemlich verfahrenen Situation. Welche Schritte sind bei so einer Streitsituation vorgesehen? "Cordula Lötscher", Gut, zwingend vorgesehen sind keine Schritte. Das heisst, die Eltern sind grundsätzlich in der Verantwortung, hier eine Lösung für ihre Trennung zu finden. Man kann in einer solchen Situation an das Gericht gelangen, wenn man sich nicht selbst einig werden kann. Einen zwingenden Schritt braucht es eigentlich nur, wenn man sich scheiden lassen möchte." "Cordula Lötscher","00:06:18:14","00:06:37:05","Also wenn man verheiratet ist und sich scheiden lassen möchte. Allein für die Organisation der Trennung müssen Sie nicht ans Gericht gelangen. Aber Sie haben die Möglichkeit. "Catherine Weyer", Aber Sie haben ja eine Situation, wo man sich wirklich nirgendwo einig ist, auch jetzt nicht. Wo sollen die Kinder sein, an welchen Tagen? Und wer bezahlt wie viel Unterhalt? Was würden Sie diesen Personen raten?" "Catherine Weyer","00:06:37:05","00:07:06:04","Sollen sich beide, eine Anwältin, einen Anwalt nehmen? Sollen sie zu einer staatlichen Stelle gehen, in der eine Mediation angeboten wird? "Cordula Lötscher", Im Sachverhalt, muss ich sagen, habe ich, habe ich noch keine grosse Angst um die beiden Parteien, weil sie sagen, beide wollen das Beste für ihre Kinder. Das ist eine ganz, ganz wichtige Ausgangslage. Wenn die Parteien in der Lage sind oder die die Eltern in der Lage sind, das Kindeswohl in den Vordergrund zu stellen, dann die Kindesinteressen in den Vordergrund stellen, dann sind wir schon sehr weit." "Cordula Lötscher","00:07:06:06","00:07:30:07","Und hier: Die Ausgangslage ermöglicht eine Einigung, glaube ich relativ gut. Wenn die Parteien aber sehr zerstritten sind, wenn sie nicht mehr kommunizieren können und wenn sie zwar sagen, dass sie den die Kinder Interessen achten wollen, aber sie das nicht mehr schaffen, diese Kinderinteressen wirklich in den Vordergrund zu stellen, dann brauchen sie Hilfe in meinen Augen. Und wo können sie Hilfe erhalten?" "Cordula Lötscher","00:07:30:09","00:07:54:13","Zum Beispiel am Gericht. Also das ist tatsächlich eine gute Anlaufstelle, die die Gerichte haben niederschwellige Angebote, um um hier Hilfe zu leisten. Es gibt zum Beispiel eine familienrechtliche Audienz des Zivilgerichts Basel-Stadt, wo man sogar ohne Anmeldung Hilfe bekommen kann. In ganz dringlichen Fällen. Das wird häufig auch genutzt, wenn es um Gewalt geht, wenn dringend eine Lösung da sein muss, dann gibt es eben das Eheschutzverfahren für verheiratete Paare, wo das oberste Ziel des Gerichts ist oder die Prozessordnung schreibt es so vor, dass eine Vereinbarung zwischen den Parteien erzielt wird über ihre Trennung. Und da geht es um die Regelung der Trennung. Und da ist das Gericht eine sehr kompetente Anlaufstelle." "Cordula Lötscher","00:08:17:18","00:08:42:12","Was auch möglich ist, ist, dass man sich an eine Anwältin, einen Anwalt wendet. Wenn man sich gut versteht, kann man sich vielleicht auch an eine gemeinsame Vertrauensperson wenden. Wenn das nicht mehr denkbar ist, dann kann man sich je auch eine Anwältin, einen Anwalt nehmen. Dann können solche Gespräche wie das vielleicht geregelt werden können, auch mithilfe der Anwältin oder des Anwalts stattfinden." "Cordula Lötscher","00:08:42:14","00:09:08:15","Was auch denkbar ist, ist die Hilfe einer Therapeutin, eines Therapeuten in Anspruch zu nehmen oder eine familienrechtliche Beratung. Da gibt es Fachstellen im Kanton Basel-Stadt, die auch solche Beratungen anbieten, Elternberatungen, Familienberatungen oder dann auch Psychologinnen, Psychologen, die einem helfen können, in einer Trennungssituation eine Lösung zu finden, die für die Kinder so stimmt. Also auch Psychologinnen, Psychologen mit einem Schwerpunkt auf Kinderpsychologie." "Cordula Lötscher","00:09:08:17","00:09:34:16","Also wenn die Eltern tatsächlich in der Lage sind, an die Kinder zu denken, auch in ihrem Elternkonflikt, dann ist das eine sehr gute Ausgangslage, um diese Trennung sinnvoll regeln zu können. Sehr schwierig sind für uns die Fälle, wo die Eltern die Kinderinteressen nicht mehr in den Vordergrund stellen können. Aus emotionalen Gründen, weil sie selbst mit ihrem eigenen Konflikt, ihren Verletzungen, ihren Emotionen überfordert sind." "Cordula Lötscher","00:09:34:19","00:10:01:15","Es geht nicht darum, wer hat recht gehabt, Wäre es zu spät gekommen waren. Wer hat das das damals nicht gut gemacht, sondern es geht um einen viel grösseren Blick und diesen Blick, das braucht Abstand vom eigenen Konflikt, das braucht eine Grosszügigkeit, das braucht Respekt vor dem, vor dem anderen Partner. Und das ist alles sehr schwierig in einer Konfliktsituation, gerade in einer so nahen, so emotionalen Konfliktsituation." "Catherine Weyer","00:10:01:17","00:10:22:12","Wenn wir uns jetzt Marco und Patrizia anschauen. Nehmen wir jetzt mal an, sie suchen sich zusammen eine Anwältin. Also sie möchten das regeln. Und sie sagen "Wir verstehen uns noch so gut, wir gehen zu einer Person und die regelt das sachlich. Für uns beide. Gibt es da gewisse Regeln, womit man beginnt. Oder gibt es gewisse Formeln, dass man sagt, der Unterhalt berechnet sich so und so?" "Catherine Weyer","00:10:22:14","00:10:51:00","Also gibt es irgendwo, wo man ansetzen kann oder ist es wirklich eine grüne Wiese und jedes Paar muss das neu aushandeln? "Cordula Lötscher", "Das Recht bietet einen Rahmen für auch gerechte Lösungen für solche Trennungen. Es lässt aber auch sehr viel Spielraum im Bereich der Finanzen, also Kindesunterhalt, Unterhaltsberechnungen. Da sind die Vorgaben strenger. Da gibt es auch vom Bundesgericht relativ relativ klare Vorgaben und das sind einigermassen komplexe Berechnungen." "Cordula Lötscher","00:10:51:00","00:11:18:12","Aber da haben wir Excel-Tabellen zu Hilfe und die lassen uns das auch objektiv mal anschauen. Allerdings hängen diese Unterhaltsberechnungen ganz stark von der Betreuungssituation ab, also je nachdem, wer wie viel betreut, wirkt sich das aus auf die auf die Frage der Finanzen. Weil im schweizerischen Familienrecht sind finanzielle Beiträge an den Unterhalt der Kinder und Naturalbeiträge, also Betreuungsbeiträge, sind gleichwertig." "Cordula Lötscher","00:11:18:14","00:11:44:24","Das heisst, es wird häufig nicht nur über seine oder das andere gestritten, sondern Finanzen und Betreuung sind eng miteinander verknüpft. Im Bereich der Betreuung der Kinder gibt es keine Paradelösung, die das Gesetz uns vorschreibt. Das Gesetz schreibt vor, dass wir im Interesse der Kinder zu handeln haben. Also das Gesetz sagt: Im Vordergrund steht das Kindeswohl, und daran haben wir uns zu orientieren, wenn wir Lösungen erarbeiten." "Cordula Lötscher","00:11:45:01","00:12:10:20","Daran orientieren sich auch unsere Familien-Rechtsanwältinnen und -Anwälte, die Lösungen vorschlagen. Aber was genau ist das Kindeswohl in der konkreten Streitigkeit? Das ist ganz schwierig zu sagen. Und in Streitigkeiten, wo Kinder involviert sind und die Eltern beide betreuen möchten, so viel wie möglich betreuen möchten. Da müssen wir einfach feststellen, dass es mehrere Lösungen gibt häufig, die dem Kindeswohl entsprechen." "Cordula Lötscher","00:12:10:22","00:12:32:10","Was vermutlich falsch wäre, wäre, dem einen Elternteil den Kontakt komplett zu entziehen und alles dem anderen Elternteil zu überlassen. Das versuchen wir, wenn immer möglich zu vermeiden. "Catherine Weyer", "Ich stelle mir das aber noch als eine schwierige Diskussion vor. Wenn man jetzt sagt, ich betreue die Kinder vier Stunden, das bedeutet, es hat einen finanziellen Wert von XY Franken. Ich nehme an, da entbrennt viel Streit. "Cordula Lötscher", Es ist unheimlich schwierig, das zu entscheiden, vor allem weil diese Konnex auch zu den Finanzen bestehen kann, zum Glück nicht immer bestehen muss, aber bestehen kann. Und da muss man wirklich darauf achten, dass es wirklich am Schluss darum geht, was ist die beste Lösung für die Kinder? Und wenn immer möglich, unabhängig von den finanziellen Komponenten, die aber halt auch Realität sind in unserem Alltag." "Cordula Lötscher","00:12:58:23","00:13:26:02","Wir können sie kaum ausblenden, aber ja, hier wird zum Teil sehr erbittert gestritten und es ist die grosse Kunst der der Personen, die mit solchen Konflikten in Kontakt kommen – Anwältinnen, Anwälte, Richterinnen, Richter, Psychologinnen, Psychologen, Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter – zu versuchen, den Blick der Eltern wirklich auf die Kinder zu lenken und Lösungen zu finden, die im Interesse der Kinder stehen." "Catherine Weyer","00:13:26:04","00:14:15:15","Und wie erfolgreich sind sie damit? Also können viele dieser Streitigkeiten dann aussergerichtlich beigelegt werden? "Cordula Lötscher", "Es können sehr viele Familien rechtliche Streitigkeiten mittels Vereinbarungen erledigt werden. Das heisst nicht, alles aussergerichtlich, aber das heisst auch vor dem Gericht mittels Vereinbarungen. Und da reden wir von 80 % oder mehr werden einvernehmlich abgeschlossen. Also das sind wir bei sehr hohen Vergleichs oder Vereinbarungszahlen und das ist ist etwas absolut Zentrales, weil wir können ein Familienverfahren nicht gleich führen wie einen anderen Streit. Einen Streit über eine Darlehensforderung oder einen Streit über über eine Unternehmensnachfolge, eine Fusion, eine Übernahme." "Cordula Lötscher","00:14:15:15","00:14:44:17","Und dann geht es um vermögensrechtliche Fragen, um die Bewertung von Vermögensgegenständen. Das sind völlig andere Themen. Also in Streitigkeiten, wo Emotionen so fest, so stark involviert sind und vor allem, wo es eben auch darum geht, dass die Parteien nach diesem Streit weiter aneinander gebunden sind. Sie sind weiter aufeinander angewiesen und sie sind auf ein Zusammenfunktionieren angewiesen. Das ist nicht dasselbe wie ein Zusammenleben, aber sie sind auf ein gemeinsames Funktionieren angewiesen." "Cordula Lötscher","00:14:44:19","00:15:12:05","Da ist es wichtig, dass man sich die Zeit nimmt, zu versuchen, mit den Parteien eine Einigung zu finden, weil die Parteien sich auch an eine gemeinsam gefundene Vereinbarung oder Einigung einfach halten können. "Catherine Weyer", "Sie haben jetzt erzählt, welche Kompetenzen und Fähigkeiten die Fachpersonen mitbringen müssen. Haben Sie auch Tipps an Patrizia und Marco, wie sie in so eine Diskussion hineingehen sollen?" "Cordula Lötscher","00:15:12:07","00:15:46:21","Also Tipps in emotional aufgeladenen Situationen sind schwierig. Ich meine, ein grosser Tipp ist es, sich nicht leiten zu lassen vom Bedürfnis, Recht behalten zu wollen. Das ist ein Tipp. An die Kinder denken immer und an die beste Lösung für die Kinder. Nicht auf alte Geschichten beharren, sondern in die Zukunft schauen. Versuchen, Verletzungen für den Moment dieser Diskussionen auch ein bisschen wegzustecken, grosszügig zu sein, Respekt zu haben und Vertrauen zu haben." "Cordula Lötscher","00:15:46:23","00:16:09:24","Vertrauen zu haben in den Expartner, die Expartnerin, dass er oder sie das schon gut macht mit den Kindern. Das braucht ganz viel, braucht viel Kraft, braucht viel Energie. "Catherine Weyer", "Mit diesen Tipps lassen wir jetzt Marco und Patrizia mal in die Verhandlung gehen. Und wir widmen uns einem zweiten Fall, den es aber auch nicht ganz selten gibt: einen Nachbarschaftsstreit." "Einspieler","00:16:10:01","00:16:33:12","Franca und Peter leben seit zehn Jahren in ihrer Eigentumswohnung. Mit den anderen vier Wohnparteien haben sie wenig Kontakt. Man grüsst sich im Treppenhaus. Es gab vor einem Jahr einen kleinen Disput, als Franca im Innenhof eine Pergola errichtet hat, ohne die anderen Parteien davon in Kenntnis zu setzen. Im vergangenen Jahr ist Franca aufgefallen, dass die Nachbarn vom Erdgeschoss kaum noch zu Hause sind." "Einspieler","00:16:33:18","00:17:00:21","Stattdessen sind immer wieder fremde Leute spätabends im Eingang und lärmen auf dem Balkon. Nachdem Franca diesem Treiben ein paar Wochen zugesehen hat, findet sie eines Abends vier Amerikanerinnen in der Sauna des Hauses, die allen Wohnparteien zur Verfügung steht. Auf Nachfrage sagen die Frauen, dass sie die Wohnung für eine Woche auf Airbnb gemietet hätten. Eine kurze Recherche auf der Plattform bestätigt: Die Nachbarn vermieten ihre Wohnung an Tourist*innen." "Einspieler","00:17:00:23","00:17:27:07","Empört versucht Franca, die Nachbarn und Verwaltung zu erreichen. Allerdings ohne Erfolg. Auch über die Airbnb-Plattform kann sie die beiden nicht erreichen. Deshalb wählt Franca den Weg über ihren Anwalt und stellt ein Schlichtungsgesuch. Zwei Wochen später bekommt Franca ihrerseits Post vom Anwalt ihrer Nachbarn, der ihr mitteilt, dass der Bau der Pergola unrechtmässig erfolgte und man dagegen vorgehen wird." "Catherine Weyer","00:17:27:08","00:17:59:03","Nehmen wir an, Sie bekommen diese Streitigkeiten mit. Was würden Sie den Wohnparteien raten? "Cordula Lötscher", "Ja, das ist eine ungünstige Situation. Wenn wir es mit Eigentumswohnungen zu tun haben, bedeutet das, dass man nicht einfach so schnell eine neue Wohnung finden möchte vielleicht, sondern man hat sich ja eben dieses Eigentum erworben und möchte ja vielleicht in dieser Wohnung sehr gerne bleiben. Das heisst, man sollte idealerweise eine Lösung finden, um weiter in diesem Haus gemeinsam leben zu können." "Cordula Lötscher","00:17:59:05","00:18:24:00","Und hier muss ich sagen, ist natürlich der Weg über das Gericht nicht unbedingt der erste Weg, zu dem ich den Parteien raten würde. Selbstverständlich steht auch hier das Gericht zur Verfügung, wenn es darum geht, Fälle zu lösen, bei denen man wirklich nicht zu einer Lösung kommen kann. Jetzt in einer solchen Wohnsituation, würde ich den Parteien immer raten, sich zunächst zusammenzusetzen und gemeinsam eine Lösung zu finden." "Cordula Lötscher","00:18:24:02","00:18:48:22","Jetzt ist das Kommunikationsproblem hier vorhanden. Sie können sich gar nicht erst erreichen. Dann ist vielleicht der Weg zum Gericht tatsächlich die beste Lösung. Wenn ein Schlichtungsgesuch schon eingereicht wurde, dann wird es bald zu einer Vorladung kommen für eine Schlichtungsverhandlung. Idealerweise kommen dann beide Parteien und wenn beide Parteien anwesend sind, dann kann die Schlichterin, der Schlichter versuchen, mit diesen Parteien eine Lösung zu finden." "Catherine Weyer","00:18:48:24","00:19:17:20","Wer ist denn die Schlichterin oder der Schlichter? "Cordula Lötscher", "Das ist in der Schweiz sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die Schlichtungsbehörden gibt es zwar bundesrechtlich vorgeschrieben, also jede Kanton muss eine Schlichtungsbehörde für solche Streitigkeiten vorsehen, bevor die Parteien ans Gericht gelangen dürfen. Die Idee dahinter ist, dass man zuerst versuchen soll, sich zu einigen. Also zuerst schlichten, dann richten, bevor man dann eben wirklich ans Gericht gehen muss und das Ganze strittig ausfechten muss am Ende." "Cordula Lötscher","00:19:17:22","00:19:48:16","Das heisst, es ist ein einfacher und laienfreundlicher Zugang zum Gericht, ein erster Zugang, ein obligatorischer für die meisten Streitigkeiten, der vorgeschrieben ist. Aber in den Kantonen sind diese Behörden sehr unterschiedlich ausgestaltet. In gewissen Kantonen sind das Laien, also Friedensrichter*innen, die hier mit diesen Streitigkeiten dann betraut sind in anderen Kantonen. Basel ist ein Beispiel, ist die Schlichtungssbehörde sogenannt professionalisiert, professionalisiert, weil sie mit Jurist*innen ausgestattet ist." "Cordula Lötscher","00:19:48:16","00:20:17:24","Das heisst, in Basel-Stadt sind das Gerichtsschreiber*innen, die extra für dieses Amt gewählt wurden und Gerichtspräsident*innen ab einem gewissen Streitwert der Streitigkeit. "Catherine Weyer", "Und jetzt sind alle Parteien gekommen. Wie sieht diese Schlichtungsverhandlung aus? "Cordula Lötscher", "Also diese Schlichtungsverhandlung ist sehr formlos ausgestaltet, das heisst, das wird nicht protokolliert, sondern es ist tatsächlich. Diese Verhandlung ist darauf ausgerichtet, eine Einigung zu erzielen zwischen den Parteien." "Cordula Lötscher","00:20:18:01","00:20:44:14","Das bedeutet, grundsätzlich sollten auch die Parteien selbst zu Wort kommen, also unabhängig davon, ob sie eine Anwältin, einen Anwalt mitbringen, sollten sie selbst sprechen und den Konflikt darstellen. Also sie erhalten beide das Wort um zu begründen, warum sie hier sind. Und dann spricht man über Möglichkeiten, sich hier einig zu werden. "Catherine Weyer", "Was gäbe es denn jetzt in diesem Fall für Lösungsmöglichkeiten? Was wäre Ihr Vorschlag? "Cordula Lötscher","Ja, das kommt natürlich sehr darauf an, was hier nicht gewollt ist oder was, was die Parteien möchten. Geht es wirklich um diese Pergola? Oder haben wir vielleicht noch andere Dinge, die da irgendwie schwelen, weil die Pergola steht jetzt schon seit einigen Jahren in diesem Innenhof. Vielleicht gibt es auch ein Interesse, dass sie bleibt. Vielleicht können wir eine Lösung finden mit diesen Airbnb-Touristen, wo wo wir einfach die Nutzung einschränken, versuchen das dass der Lärm so tief wie möglich bleibt oder dass man diese Vermietung auf auf eine gewisse Zeit beschränkt." "Cordula Lötscher","00:21:18:15","00:21:51:14","Da gibt es diverse Lösungen, glaube ich, wo man sich finden könnte. Ob die Parteien dazu bereit sind, sich zu finden, ist eine andere Frage. "Catherine Weyer", Dann gehen wir jetzt mal davon aus, man einigt sich darauf, dass in den Sommermonaten keine Vermietung an Airbnb-Tourist*innen stattfindet und der Saunazugang ist nicht erlaubt für Untermietende und Franca verpflichtet sich, sich um die Pergola zu kümmern, um das anstehende Laub, Wenn es irgendwelche Reparaturarbeiten gibt, ist sie verantwortlich." "Catherine Weyer","00:21:51:16","00:22:17:16","Und dann geht es ein paar Monate und Franca geht im Juni in die Sauna und sieht da einen Touristen. Was machen wir jetzt? "Cordula Lötscher", "Das ist ungünstig. Also idealerweise geschieht das natürlich nicht. In der Idealvorstellung halten sich dann die Parteien an das, was sie vereinbart haben. Wenn das nicht klappt, dann stellt sich die Frage: Wie können wir das durchsetzen?" "Cordula Lötscher","00:22:17:18","00:22:46:24","Ein Vergleich, der vor einer Schlichtungsbehörde geschlossen wurde, hat die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids, das heisst eines Gerichtsentscheid. Das bedeutet, dass man diesen Vergleich auch durchsetzen kann mit staatlicher Hilfe. Also es stehen Vollstreckungsmassnahmen zur Verfügung. Das würde aber bedeuten, dass man ein Vollstreckungsverfahren anheben muss, um diesen Vergleich zu vollstrecken. Es sei denn, man hätte solche Massnahmen bereits in den Vergleich integriert." "Cordula Lötscher","00:22:47:01","00:23:18:01","Das wäre möglich, dass man sagt, man verpflichtet sich unter Strafandrohung nach Artikel 292 StGB zu diesem Verhalten. Das macht man nicht unbedingt in einem Vergleich, wenn man noch davon ausgeht, dass das das ja dann eingehalten wird. Aber es würde zumindest theoretisch der Weg über das Gericht noch einmal zur Verfügung stehen für ein Vollstreckungsverfahren, wo man dann mit solchen Druck- Massnahmen, Strafandrohung, Busse, Ordnungsbusse allenfalls bei Wiederhandlung agieren könnte." "Cordula Lötscher","00:23:18:03","00:23:52:14","Direkter Zwang, würde ich sagen ist eher unwahrscheinlich das dann, dass man die Polizei anrufen kann, damit sie diesen Touristen aus der Sauna rauszerrt, erachte ich nicht als besonders wahrscheinlich, sondern wir agieren hier eigentlich in solchen Fällen eher mit indirektem Zwang, mit eben solchen Strafandrohungen oder oder Bussen. "Catherine Weyer", "Und gibt es in diesem Verfahren auch jemanden, der dann zu Franca geht und sagt: Überleg dir, wie schlimm ist jetzt dieser eine Tourist gegenüber permanentem Streit mit deinen Nachbarn?" "Cordula Lötscher","00:23:52:16","00:24:18:17","Es gibt niemanden, der das so einfach macht. Das ist interessant im Schlichtungsverfahren: Bei dem Schlichtungsverfahren, da, wo es dann eben zum ersten Mal darum geht, sich vielleicht zu finden, da erhalten Sie häufiger auch eine Einschätzung der Prozesschancen. Anwältinnen und Anwälte haben häufig die Funktion, solche Einschätzungen zu geben. Also sie werden als Anwältin, Anwalt häufig kontaktiert mit solchen Problemen und da müssen Sie auch Ihre Klienten oft darüber aufklären." "Cordula Lötscher","00:24:18:17","00:24:51:14","Macht das wirklich Sinn, dass wir das versuchen gerichtlich durchzusetzen, oder ist das eigentlich nicht sinnvoll und eigentlich nicht sinnvoll kann finanzielle Gründe haben, kann aber natürlich auch emotionale Gründe haben. Also ein Konflikt und ein Durchfechten eines Konflikts. Das ist auch belastend. Das kostet Zeit, das kostet Geld und das kostet Energie. Und da haben denke ich schon die Anwältinnen und Anwälte eine grosse Filterfunktion, Weil es ist selten der Fall, dass jemand die Personen so berät, dass sie Verfahren eingehen, die völlig sinnlos sind." "Catherine Weyer","00:24:51:16","00:25:21:21","Wie ist es, wenn die Leute nur noch schriftlich miteinander kommunizieren können oder wollen? "Cordula Lötscher", "Also gerade in emotional anspruchsvollen Situationen würde ich davon abraten, gerade in einer solchen Trennungssituation viel schriftlich hin und her zu kommunizieren, sondern versuchen, das Ganze sehr mündlich zu vollziehen. Das ist auch das Ziel der Prozessordnung grundsätzlich, die am Anfang eigentlich ein mündliches Verfahren vorsieht. Für solche Konflikte genau aus diesem Grund oder ein mündlich geprägtes Verfahren." "Cordula Lötscher","00:25:22:00","00:25:45:11","Also wenn eine Anwältin, ein Anwalt einen Brief schreibt und dort drin etwas schreibt über darüber, dass der Vater nicht Erziehungsfähig sei oder die Mutter zu wenig achte auf, auf was auch immer, dann hat das ein ganz anderes Verletzungspotenzial als eine mündliche Aussage, die getroffen wird zwischen den Parteien, die sich ja sehr gewohnt sind zu streiten, schon häufig schon eine Zeit lang." "Cordula Lötscher","00:25:45:13","00:26:13:19","Also das heisst, das mündliche Streiten, das ist man sich sehr gewohnt und da wirft man sich zum Teil auch Dinge an den Kopf, die man vielleicht grad kontern kann und auf die man reagieren kann, die man relativieren kann. Und dann stehen sie vielleicht nachher nicht mehr so absolut im Raum, wie wenn eine eine schriftliche Kommunikation da ist, ein Brief, da ist Mail, da ist wo solche Aussagen perpetuiert werden und immer wieder hervorgeholt werden, also diese Verletzungen, die sind diesen viel bleibender." "Cordula Lötscher","00:26:13:21","00:26:39:17","Das heisst, man tut häufig den Parteien keinen Gefallen, wenn man in diesem Stadium zu viel schriftlich kommuniziert. Also das geht auch an Anwältinnen und Anwälte: Je ausführlicher diese Gesuche sind am Anfang dieser Verfahren, diese Trennungsverfahren, je mehr geschrieben wird, je mehr die andere Partei, der andere Elternteil auch heruntergemacht wird, schriftlich, desto schwieriger wird es, eine Vereinbarung zu finden." "Cordula Lötscher","00:26:39:19","00:27:22:06","Also schriftliche Kommunikation ist zum Teil wichtig und es gibt Streitigkeiten, wo Sie unbedingt schriftlich kommunizieren müssen. Also, wenn Sie an eine eine Bau Streitigkeit denken, wenn es darum geht, dass ein Haus gebaut wurde und das jetzt Mängel hat, dann sind Sie auch darauf angewiesen, dass Sie beweisen können, dass Sie diese Mängel gerügt haben. Aber da sind wir in einer ganz anderen Streitigkeitsbereich, in ganz anderen Lebensbereichen als eben in diesen emotionalen Streitigkeiten, wo so viele Verletzungen da sind, dass wir uns darauf achten sollten, aus Sicht auf befassten Fachpersonen, dass wir uns darauf achten sollten, dass diese Verletzungen nicht noch schlimmer werden, nicht noch stärker werden, weil die Verletzungen dazu führen, dass das die Möglichkeit, sich einig zu werden, kleiner wird. "Catherine Weyer", "Zum Schluss noch mal die drei grossen Punkte, die wir uns vornehmen sollen, damit wir nach einem Streit der anderen Partei immer noch in die Augen sehen können. "Cordula Lötscher", "Es ist schwierig, drei grosse Punkte hervorzuheben. Ich meine, etwas ganz Wichtiges ist Respekt vor dem Gegenüber. Respekt führt dazu, dass man offen ist gegenüber der Situation des Gegenübers, gegenüber ihren Positionen, Interessen und dass man auch zuhört." "Cordula Lötscher","00:27:54:06","00:28:32:22","Also dass man der anderen Partei zuhört, auch wenn man mit ihr in einem Konflikt steht. Grosszügigkeit ist wichtig, Grosszügigkeit der anderen Partei gegenüber. Grosszügigkeit im Hinblick auf die Frage: Habe ich jetzt recht? Oder ich hätte doch eigentlich recht. Und dann meine ich ganz wichtigen Konflikten. Ein Blick nach vorne, also nicht ein rückwärtsgerichteter, vergangenheitsgerichteter Blick, sondern ein zukunftsgerichtet Blick, weil es bei Konflikten nicht darum geht, in ihnen zu verharren, sondern bei Konflikten geht es idealerweise darum, sie weiterzubringen, auf eine nächste Stufe zu heben oder sogar zu lösen." "Catherine Weyer","00:28:32:24","00:28:58:01","Frau Lötscher, vielen herzlichen Dank. "Cordula Lötscher", "Sehr gern. Outro Das war Unisonar, der Wissens-Podcast der Universität Basel. Wir freuen uns über Ihr Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht die Historikerin Thanushiyah Korn über den Völkermord in Ruanda und wie Rassismus und Stereotypen für den Tod von fast einer Million Menschen verantwortlich waren. Bis bald."