Intro "Andrea Hofmann","00:00:01:09","00:00:32:21","Wir führen jetzt diesen Krieg im Auftrag Gottes. Gott ist mit uns. Gott prüft uns aber auch. Aber wenn wir uns als ordentliches, frommes Volk verhalten, dann wird das auch alles darauf hinauslaufen, dass wir siegreich aus diesem Krieg herausgehen. Es ging wirklich vier Jahre lang praktisch in jeder Predigt, jeden Sonntag, in der Heimat und an der Front ging es um diesen Krieg, der theologisch gedeutet wurde, wo die Pfarrer versucht haben, diesem durchaus schrecklichen Geschehen irgendwie Sinn zu geben." "Andrea Hofmann","00:00:32:23","00:00:52:14","Dieses ständige Hurrageschreie in den Predigten haben nicht mehr immer – also es ist manchmal wirklich verrückt, weil man da denkt, dass das Krieg die schönste Freizeitaktion sein könnte, die es überhaupt auf dieser Welt gibt." "Sprecher 3","00:00:52:16","00:01:22:06","Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Mein Name ist Catherine Weyer. Kinder, die sich um einen Ball streiten, Paare, die sich fetzen und trennen. Nachbarschaftsstreit, die vor Gericht landen, bis hin zu ganzen Nationen, die gegeneinander Krieg führen. Streit gibt es überall und im besten Fall schaffen wir es, uns wieder zu vertragen. In den fünf Folgen dieser Staffel schauen wir uns mit Expertinnen der Universität Basel fünf Forschungsfelder an, die sich mit Streit und Versöhnung befassen. "Andrea Hofmann","00:01:22:08","00:01:59:11","Und heute dreht sich alles um die protestantische Kirche und wie sie während des Ersten Weltkriegs in Deutschland Soldaten mobilisierte. Mir gegenüber sitzt Andrea Hofmann. Sie ist Professorin für Kirchen- und Theologiegeschichte und hat sich zu Kriegspredigten in der deutsch französischen Grenzregion während des Ersten Weltkriegs habilitiert. Frau Hofmann, herzlich willkommen! "Andrea Hofmann" Hallo Frau Weyer! "Catherine Weyer" Wir sprechen darüber, wie Pfarrer zu dieser Zeit in ihren Predigten den Nationalismus über die christlichen Werte stellten, wie sich die Deutschen mit dem Volk Israel verglichen und welche besondere Rolle das Elsass in diesem weltumspannenden Streit einnahm." "Sprecher 3","00:01:59:13","00:02:20:09","Frau Hofmann, streiten Sie gerne? "Andrea Hofmann" Nein, eigentlich überhaupt nicht. Aber ich glaube, dass Streit einfach zum Leben ja auch dazugehört. Und ich glaube, gerade in so einem Wissenschaftskontext, in dem ich ja bin, da kann Streit auch einfach was Positives sein, was Kreatives sein, was dazu führt, dass man danach auch zu neuen Lösungen kommt. Insofern ist Streit ja nicht nur was Negatives." "Sprecher 3","00:02:20:11","00:02:44:17","Sie haben sich für Ihre Forschung ja auch Streit oder Konflikte ausgesucht. Sie schauen sich an, wie deutsche Theologen einen Einfluss auf den ersten Weltkrieg hatten. Und dabei legen sie einen Fokus auf den süddeutschen Raum und das Elsass. Kirche und Krieg, das passt auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen. "Andrea Hofmann" Ja, auf den zweiten dann irgendwie doch schon. Weil natürlich die Kirche sich ja immer, und das muss sie heute auch, zum Krieg dann irgendwie verhalten muss, wenn er denn da ist." "Andrea Hofmann","00:02:44:19","00:03:11:13","Und gerade beim ersten Weltkrieg haben wir ja noch mal eine komplett andere gesellschaftliche und politische Situation, als das vielleicht heute ist. Und der Kontext dieses Krieges war ja, dass das Deutsche Reich ja erst eigentlich nach dem deutsch-französischen Krieg, der 1871 geendet hat, in dieser Form bestanden hat, als ein ganzes Deutsches Reich und sich jetzt auch als deutsche Nation in diesem europäischen Kontext irgendwie verhalten musste." "Andrea Hofmann","00:03:11:15","00:03:35:04","Und wir haben als eine Voraussetzung noch, dass es seit dem 19. Jahrhundert spätestens ein ganz, ganz starken Nationalismus gegeben hat in ganz Europa. Und natürlich waren auch die Deutschen nationalistisch. Und dieser Nationalismus, der war eben in der Zeit ganz eng verknüpft und in Deutschland im Besonderen mit der protestantischen Theologie. Kaiser Wilhelm der Zweite war ein ganz überzeugter Protestant." "Andrea Hofmann","00:03:35:06","00:04:20:12","Man hat in der Zeit in Deutschland noch das sogenannte landesherrliche Kirchenregiment, das heisst der Kaiser ist eigentlich auch das Oberhaupt seiner Kirche in gewisser Weise. Und das spielt so zusammen, dass Altar und Thron sehr stark miteinander verbunden sind. Und deshalb dieser Nationalismus oder die Nation auch als eine religiöse Sache irgendwie bewertet worden ist. Und so hat man dann auch diesen Krieg eben sakralisiert, würde ich sagen, hat das als einen heiligen Krieg gesehen, wo man davon ausgegangen ist, dass irgendwie das Deutsche Reich jetzt in diesem Krieg eine besondere Aufgabe von Gott hat, die es zu erfüllen hat und dass dieser Krieg eben auch dazu führt, dass das Deutsche Reich eine besondere Stellung in Europa noch bekommt. "Catherine Weyer" Wie sah denn das im Detail aus? Wie wurde das propagiert? "Andrea Hofmann" Also vor allem von von Pfarrern – und das ist das, was ich mir ja auch angeguckt habe in meiner Habilitationsschrift – die haben gepredigt und die haben natürlich auch im Krieg gepredigt über den ganzen Krieg hinweg, jeden Sonntag und dann möglicherweise auch noch wochentags. Und das Interessante ist, dass ich aus dem Ersten Weltkrieg bisher keine Predigt gefunden habe, wo es nicht irgendwie um diesen Krieg gegangen ist." "Andrea Hofmann","00:04:46:20","00:05:13:05","Das heisst, es ging wirklich vier Jahre lang praktisch in jeder Predigt, jeden Sonntag in der Heimat und an der Front ging es um diesen Krieg, der theologisch gedeutet wurde, wo die Pfarrer versucht haben, diesem durchaus schrecklichen Geschehen irgendwie Sinn zu geben. Also sie haben auch versucht, theologisch zu zu sagen, warum es wichtig ist, dass sich jetzt der einzelne Soldat da opfert, also allein schon Opfer ist ja auch ein ganz theologischer Begriff eigentlich." "Andrea Hofmann","00:05:13:07","00:05:37:08","Und so wurde dieser ganze Krieg noch mal mit einem theologischen Inhalt gefüllt und auch theologisch total aufgeladen. "Catherine Weyer" Gibt es Quellen, die zeigen, wie die Kirchengänger darauf reagiert haben, dass plötzlich dieser Krieg so propagiert wird? "Andrea Hofmann" Ja, die gibt es schon. Und zwar: Man hat also einmal so als Quelle den Beleg, dass gerade im August 1914, als das alles so losging, die Kirchen sehr stark gefüllt worden sind." "Andrea Hofmann","00:05:37:08","00:05:55:24","Und das ist natürlich erst mal ein Zeichen dafür, dass die Leute wieder in die Kirche gehen. Das war nämlich vorher auch nicht unbedingt so toll. Und das ist auch ein Bild, was immer propagiert worden ist, dass da halt zu Beginn des Krieges auch in der Bevölkerung eine grosse Begeisterung gewesen ist. Eine grosse Zustimmung für diesen Krieg und die Leute auch gern wieder in die Gottesdienste gegangen sind." "Andrea Hofmann","00:05:56:01","00:06:19:08","Später sieht es bisschen anders aus. Also ich habe mir zum Beispiel auch Soldatenbriefe angeguckt, die so ein bisschen schreiben, wie sie die Feldgottesdienste erleben. Und da ist teilweise schon eine ziemliche Resignation dann auch zu spüren, wo sie sagen na ja, der Pfarrer erzählt da vorne irgendwas vom Reich Gottes, das jetzt kommt, wenn wir da ordentlich kämpfen. Wir sollen uns jetzt opfern, aber für was opfern wir uns eigentlich?" "Andrea Hofmann","00:06:19:11","00:06:44:21","Ist es überhaupt so sinnvoll, was der Pfarrer da sagt? Also so hat man da so ein bisschen beide Seiten. Man kann gleichzeitig aus den Predigten auch manchmal Reaktionen von Gemeindemitgliedern herauslesen, gerade in der Heimat, die einfach Angst hatten, also Angst vor dem Krieg. Und dann ist August, das heisst, die Ernte steht kurz bevor. Gerade auf dem Land ist es ein Riesenproblem, wenn jetzt plötzlich alle Männer an die Front müssen." "Andrea Hofmann","00:06:44:23","00:07:05:15","Das heisst im Prinzip, dass Frauen, Alte und Kinder jetzt die ganze Arbeit übernehmen müssen, die ganze Ernte übernehmen müssen. Und das ist natürlich was, was in der Gesellschaft auch für einen, ja für eine riesige Verunsicherung und zu einem Aufruhr letztlich auch führt. "Catherine Weyer" Konnten sich die deutschen Theologen auch auf biblische Grundlagen stützen? Oder war es mehr einfach der Auftrag des Kaisers, der umgesetzt wurde?" "Andrea Hofmann","00:07:05:17","00:07:26:21","Nein, die konnten sich tatsächlich auf biblische Grundlagen stützen. Und das ist was, was einem als heutige Theologin total aufstösst, weil es eine Form ist, einfach einer Bibelinterpretation, wie wir sie heute nicht mehr machen würden. Aber wenn man sich die Bibel mal anguckt, die ist ja voller Kriege, vor allem im Alten Testament. Ein Grossteil der Geschichten über das Volk Israel, die man so hat, da führt das Volk Israel ja irgendwie Krieg. Und das sind die fünf Bücher Mose und das Buch Josua. Da finden sich viele Beispiele dafür. Und gerade diese Texte sind dann genommen worden in den Predigten und dann wurde drüber berichtet: Na ja, das Volk Israel war das auserwählte Volk Gottes. Gott hatte Grosses mit diesem Volk vor und dieses Grosse wurde aber eben auch dadurch verwirklicht, dass Israel Kriege geführt hat." "Andrea Hofmann","00:07:53:05","00:08:13:05","Dass es ja auch nicht immer siegreich aus diesen Kriegen rausgegangen ist, sondern oft auch da Niederlagen erlitten hat. Und all das wurde so, als eine besondere Wertschätzung Gottes gegenüber dem Volk Israel interpretiert, vielleicht auch als Prüfung. Und dann hat man gesagt: Na gut, und jetzt? Wie sieht es denn heute aus? Wer ist denn heute das erwählte Volk Gottes?" "Andrea Hofmann","00:08:13:05","00:08:38:09","Und das ging teilweise so weit, dass ich einige Pfarrer habe, die dann sagen: Na ja, das deutsche Volk ist das neue erwählte Volk Gottes. Und es ist jetzt so, wie es in Israel damals gewesen ist. Wir führen jetzt diesen Krieg im Auftrag Gottes. Gott ist mit uns, Gott prüft uns aber auch. Aber wenn wir uns als ordentliches, frommes Volk verhalten, dann wird das auch alles darauf hinauslaufen, dass wir siegreich aus diesem Krieg herausgehen." "Catherine Weyer","00:08:38:11","00:09:20:11","Und was ist der Beweis, dass gerade die Deutschen das auserwählte Volk sind? "Andrea Hofmann" Dass ist so die grosse Frage Übrigens sind es nicht nur die Deutschen, die so Ideen hatten, sondern dass das, was in anderen europäischen Nationen so ähnlich. Da sieht man einfach, wie sich Nationalismus und Religion in einer sehr ungesunden Weise miteinander vermischt haben. Wenn man mal guckt, wie dieser Nationsbildungsprozess verlaufen ist und was da so für Begründungsmuster genannt wurden, warum diese deutsche Nation so was Besonderes ist, Da ist eben ein Motiv, was immer wieder kommt, das so typisch für die deutsche Nation die Reformation ist, dass also Martin Luther die Deutschen befreit hat vom Papsttum letztlich und dann eine neue Frömmigkeit eigentlich entwickelt hat, die jetzt wirklich ganz bibelgemäss ist und die dem entspricht, was Gott will. Ich meine, da hat man schon mal ein ganz starkes religiöses Motiv und dann sieht man das praktisch so als eine Linie, sieht in allem, was eigentlich in dieser deutschen Geschichte passiert, irgendwie auch Gottes Handeln und meint dann eben, dass Gottes deutsche Volk eben ganz besonders bedacht hat, immer ganz besonders gern wird auch immer aufgeführt, was wir so an Geistesgrössen in Deutschland gehabt hätten." "Andrea Hofmann","00:09:47:19","00:10:13:19", "Das geht dann von Goethe, Schiller natürlich über Beethoven, Mozart auch noch Johann Sebastian Bach, natürlich Paul Gerhardt-Lieder. So, und da sieht man eben immer auch in diesen diesen berühmten Köpfen irgendwie so eine besondere göttliche Eingebung. Und das führt dann zu so einem Geschichtsbild, wo man durchaus drauf kommen kann, dass man jetzt das neue, erwählte Volk Gottes ist." "Catherine Weyer","00:10:13:21","00:10:30:22","Und wenn die deutsche Bevölkerung langsam findet, ja wie geht es dann weiter? Dieser Krieg dauert jetzt schon zwei drei Jahre, dann kann man sich immer auf das Volk Israel beziehen, die ja auch ziemlich lang gewartet haben. "Andrea Hofmann" Richtig, genau. Und so wird es auch begründet. Also mit Israel war solange in der Wüste und sie haben es ja immer ausgehalten." "Andrea Hofmann","00:10:30:22","00:10:52:13","Es war immer schlimm, aber letztlich hat es doch hat es ja dann geklappt. "Catherine Weyer" Geduld als Tugend. "Andrea Hofmann" Richtig, Genau das ist tatsächlich ein Motiv, was in Kriegspredigten dauernd kommt. "Catherine Weyer" Bei den christlichen Werten spricht man ja oft von Nächstenliebe und Versöhnung. Und das passt ja nicht wirklich zu dem Aufruf zu Krieg, wie es jetzt hier passiert ist. Oder sehe ich das falsch?" "Andrea Hofmann","00:10:52:15","00:11:18:07","Nein, sehen Sie ganz richtig, vor allem aus unserer heutigen Perspektive. Man hat es damals tatsächlich auch immer wieder reflektiert, auch in theologischen Texten, auch in den Predigten, im Übrigen auch in Andachtsschriften, die ich mir auch anschaut. Wir haben ja die Situation und das wird auch in Kriegspredigten, in Andachtsschriften immer wieder reflektiert, dass er jetzt im Ersten Weltkrieg in Europa praktisch dauernd Christen gegen Christen kämpfen in diesem Krieg." "Andrea Hofmann","00:11:18:09","00:11:48:09","Und da denkt man natürlich drüber nach. Aber im Zentrum steht eigentlich das Interesse und das ist bei den anderen Nationen auch so, dass die eigene Nation verteidigt werden muss und dass die anderen Nationen, die ja auch christliche Nationen sind, vielleicht irgendwas falsch gemacht haben und doch nicht so richtig gute Christen sind. Also gerade England wird da stark kritisiert, Frankreich sowieso. Frankreich kann man auch angreifen aus theologischer Sicht in der Zeit, weil man ja in Frankreich schon Laizismus haben in der Zeit." "Andrea Hofmann","00:11:48:11","00:12:10:23","Das wird dann als grosser Verrat auch gewertet. Und dann kann man auch noch mal sagen, na ja, gut, und dann ist es doch jetzt gerechtfertigt, wenn die Deutschen die guten Christen jetzt sich behaupten in diesem Krieg und dann eigentlich dazu beitragen, dass das Christentum wieder in die Welt kommt. Das klingt uns für uns total schwachsinnig, aber das sind so diese Muster." "Catherine Weyer","00:12:11:00","00:12:33:00","Können Sie vielleicht noch kurz erklären, was es mit dem Laizismus auf sich hat? "Andrea Hofmann" Genau. Das heisst eigentlich das da, das war diese enge Verbindung von Thron und Altar, wie wir es in Deutschland haben, das haben wir halt in Frankreich nicht mehr. Das heisst, das sind Staat und Kirche getrennt und dadurch gibt es halt diesen starken Einfluss, wie man das in Deutschland noch hat, von Staat und Kirche jeweils aufeinander da nicht." "Catherine Weyer","00:12:33:02","00:12:48:11","Damit wir mal einen Eindruck bekommen, hören wir einen Ausschnitt aus einer Predigt. Es handelt sich dabei um einen Text von Garnisonspfarrer Stadelmann in Ludwigsburg vom 2. August 1914, dem ersten Tag der Mobilmachung. Wir haben den Text nachvertanen lassen." "Einspieler","00:12:48:13","00:13:22:18","Der Sturm bricht los, die Flammenzeichen rauchen. Von allen Seiten strömen die jungen Männer zu ihren Fahnen. Und morgen schon wird unser Dragoner-Regiment gegen den Feind rücken. Der Sturm kann uns wohl biegen, aber nicht brechen. Wir stehen aufrecht, Mann für Mann, furchtlos und treu. Ein gutes Gewissen haben wir. In 43 Jahren hat das Deutsche Reich den Frieden gewollt und bewahrt." "Einspieler","00:13:22:20","00:13:54:18","In 26 Jahren hat unser Kaiser um den Frieden sich redlich bemüht. Oft stand er auf des Messers Schneide. Unser ehrliches Wollen hat das güldene Kleinod behütet, und bis in die letzten Tage hinein, bis zum Äussersten, ist nichts unversucht geblieben, Frieden zu halten, den Bedrohten zu retten. Der Krieg ist uns aufgenötigt in freventlichem Spiel. Wir haben ihn nicht gesucht, bei Gott nicht." "Einspieler","00:13:54:20","00:14:31:17","Niemand in deutschen Grenzen. Um die Ehre, um den Schutz unseres Vaterlandes geht es für deutsches Wesen. Deutsche Freiheit, deutschen Glauben, deutsche Zukunft für Haus und Herd, für Weib und Kind fechten wir, das spürt ein jeder in unserem Volke. So ziehen wir ins Feld, wie unsere Vorfahren vor 100 Jahren in den Heiligen Krieg, wie unsere Väter vor 44 Jahren, als die treue Wacht am Rhein für die gerechte Sache mit dem festen Glauben:" "Einspieler","00:14:31:19","00:14:35:11","Recht muss doch Recht bleiben." "Catherine Weyer","00:14:35:13","00:14:59:22","Ein gutes Gewissen haben wir, sagt der Pfarrer. Und woher nimmt er diese Gewissheit? "Andrea Hofmann" Er nimmt die einmal daraus, dass man im Deutschen Reich davon ausgeht, dass man einen Verteidigungskrieg führt. Das heisst, es wird propagiert, das Deutsche Reich sei angegriffen worden und müsse sich nun verteidigen. Sie haben nicht aktiv den Krieg erklärt. Das kann man so ein bisschen unterschiedlich sehen, wenn man so guckt, wer wann wem den Krieg erklärt hat." "Andrea Hofmann","00:14:59:24","00:15:25:00","Ausgangspunkt war ja das Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajewo. Deutschland war Bündnispartner von Österreich-Ungarn, hat dementsprechend eben dann den jeweiligen Gegnern dann auch den Krieg erklärt. Das ist so die eine politische Seite, die fürs gute Gewissen sorgt. Und ansonsten und das kommt, glaube ich in diesem Zitat auch ganz schön raus, wie ich das vielleicht am Anfang schon gesagt habe." "Andrea Hofmann","00:15:25:02","00:15:50:13","Die gehen einfach davon aus, dass das ein heiliger Krieg ist. Heilige Kriege hatten wir in der Geschichte schon immer. Ich meine, ich erinnere nur an die Kreuzzüge, worauf Pfarrer Stadelmann verweist. Das sind ja einerseits die Freiheitskriege, als sich die Deutschen von Napoleon befreit haben, das ist so ein Moment, was immer so als Beginn einer Gründung der deutschen Nation auch gesehen wird in den Kriegspredigten." "Andrea Hofmann","00:15:50:13","00:16:19:13","Also diese Freiheitskriege spielen eine riesige Rolle. Und dann der deutsch-französische Krieg 1870/71, wo man sich gegen den Erbfeind Frankreich da zur Wehr gesetzt hat. Und in diese Reihe heiliger Kriege, da ordnet er jetzt den Ersten Weltkrieg jetzt auch ein und betont ja aber gleichzeitig, dass der Kaiser ja schon immer den Frieden gewollt hat und dass der Kaiser eigentlich ein Friedenskaiser in gewisser Weise ist, der jetzt gezwungen ist, da in diesen Krieg einzusteigen." "Catherine Weyer","00:16:19:15","00:16:42:00","Genau, vier Jahre lang predigten die Theologen von der Kanzel, dass dieser Sieg wie eine höhere Sache ist und deshalb notwendig. Und gleichzeitig starben über 2 Millionen deutsche Soldaten in den Schützengräben. Wie reagierten die Theologen denn nach dem Ersten Weltkrieg darauf, dass Deutschland jetzt die Verliererin ist aus diesem Heiligen Krieg? "Andrea Hofmann" Ja, da gibt es ganz unterschiedliche Wege, wie die Pfarrer jetzt reagiert haben." "Andrea Hofmann","00:16:42:00","00:17:06:09","Also einmal gibt es Pfarrer, die sowieso schon Ende 1916 und dann vor allem 1917 begonnen haben, den Krieg kritischer zu sehen. Nicht mehr dieses ständige Hurrageschreie in den Predigten, haben nicht mehr immer – also das ist manchmal wirklich verrückt, weil man da denkt, dass das Krieg die schönste Freizeitaktion sein könnte, die es überhaupt auf dieser Welt gibt." "Andrea Hofmann","00:17:06:11","00:17:29:01","Das ändert sich, da ändert sich die Stimmung. Es wird wesentlich kritischer. Es wird ja auch in der Politik kritischer. Auch in Deutschland werden immer mehr Stimmen laut, die halt sagen: Wir müssen mal über Friedensschluss nachdenken. Und es muss auch ein Frieden möglich sein, der nicht daraus resultiert, dass Deutschland jetzt als Sieger aus diesem Krieg hervorgegangen ist. Das findet man auch bei den Pfarrern." "Andrea Hofmann","00:17:29:03","00:17:55:02","Es gibt aber auch Pfarrer, die weichen von ihrer Sicht gar nicht so richtig ab, dass dieser Krieg so wichtig und sinnvoll ist. Die Pfarrer nehmen da ein Motiv aus. Oder vielleicht kommt es sogar von den Pfarrern. So genau weiss man das gar nicht von der Dolchstosslegende. Also und sagen, dass die Heimat praktisch den Soldaten in den Rücken gefallen ist, weil die Heimat diesen Krieg nicht mehr genug befürwortet hat und die Heimat halt nicht mehr fromm genug gewesen ist." "Andrea Hofmann","00:17:55:02","00:18:23:23","Und so wird die Schuld jetzt in der Heimat gesucht und dann rufen die Pfarrer jetzt eben angesichts der grossen Krise und der Niederlage dazu auf, dass man jetzt Busse tun muss, sich neu besinnen muss, als Deutsche wieder zu dieser Frömmigkeit zurückfinden muss. Es wird jetzt zum Ende des Krieges, gibt es Pfarrer, die interpretieren jetzt die Niederlage als ein Gericht Gottes und sagen: Gott bestraft jetzt sein Volk, weil es nicht fromm genug gewesen ist." "Andrea Hofmann","00:18:24:04","00:18:41:18","Deshalb muss es jetzt Busse tun. Und dann muss man jetzt eben neu anfangen. "Catherine Weyer" Auch vom Ende des Krieges hören wir jetzt noch einen Ausschnitt aus einer Predigt, dieses Mal von dem Elsässer Pfarrer Albert Schweitzer zum Gedächtnis an die gefallenen Soldaten." "Einspieler","00:18:41:20","00:19:09:01","Sie haben sich da hingegeben in allen Ländern, um jeder sein Volk vor den Gräueln des Krieges zu bewahren und ihm die Freiheit zu erhalten. Und jedes Volk muss seinen Toten dafür danken. In den Ländern, denen der Sieg beschieden war, wird die Bedeutung ihres Todes im Jubel, der über die Gräber dahin braust, ausgesprochen, in denen, die unterlagen, gedenkt man ihrer Schmerz bewegt." "Einspieler","00:19:09:03","00:19:38:14","Äussere Umstände entschieden bei den einen, dass der Tod den Sieg besiegelte, bei den anderen, dass er ohne Erfolg war. Aber das ist nicht das Letzte an der Bedeutung ihres Todes. Jetzt, wo wir auf den Krieg als etwas Vollendetes zurückblicken, stehen die, die geopfert wurden als eine Schar, in der es keine Unterschiede von Rasse und Nation mehr gibt, als Menschen, die in Leid und Schmerz geeint sind vor uns und fordern etwas von uns." "Einspieler","00:19:38:16","00:20:07:10","Um unserer Schuld willen sind sie da hingegeben. Zugleich dachte man in allen Völkern vom Wohl und Wehe des einzelnen Menschen. Zu gering beurteilte man das Menschenleben, diesen geheimnisvollen, unersetzlichen Wert. Zu leichtsinnig sprach man vom Krieg und dem Elend, das er bringt. Man war gewohnt, für äussere Erfolge so und so viele Menschenleben in Rechnung zu setzen und verherrlichte und besang diese Unmenschlichkeit." "Einspieler","00:20:07:12","00:20:25:22","So kam, was kommen musste. Aber tausend- und tausendfach schwerer, als man es sich vorgestellt hatte. Ehrfurcht vor Menschen, Leid und Menschenleben, vor dem Kleinsten und Unscheinbarsten sei das eherne Gesetz, das hinfort die Welt regiere." "Catherine Weyer","00:20:25:24","00:20:56:22","Wie schwierig war es für die Theologen, diesen Sinneswandel einzugestehen? "Andrea Hofmann" Ich glaube, total schwierig. Und Albert Schweitzer ist ein schönes Beispiel, weil er auch in einer gewissen Weise rausfällt aus den in Anführungszeichen normalen Theologen-Kreisen. Denn Albert Schweitzer hat ja eine interessante Biografie auch, die noch mal zeigt, warum er vielleicht in einer gewissen Weise auch ein bisschen als Aussenstehender, auf der anderen Seite aber auch als direkt Betroffener, so predigt, wie er das jetzt macht." "Andrea Hofmann","00:20:56:22","00:21:23:14","Also Albert Schweitzer war so ein richtig richtiger Elsässer. Der Vater war Pfarrer gewesen im Münstertal, im Elsass. Aber Albert Schweitzers Frau zum Beispiel hatte deutsche Eltern. Und diese deutschen Eltern, die mussten dann 1918 auch sehr schnell aus Strassburg raus. Also Albert Schweitzer kennt diese elsässische Situation, diese Zerrissenheit zwischen den Nationen. Und auf der anderen Seite kennt er ja noch die Situationen in Afrika." "Andrea Hofmann","00:21:23:16","00:21:56:24","Albert Schweitzer hat den Kriegsanfang in Lambaréné verbracht, gemeinsam mit seiner Frau Helene Schweitzer. Und die sind dann 1917 in Afrika festgenommen worden und wurden in Frankreich bis Juli 1918 interniert. Und sie sind dann im Herbst 1918 zurückgekommen nach Strassburg, wo Albert Schweitzer schon vor dem Krieg als Geistlicher an der Nikolaikirche in Strassburg gearbeitet hat. Das heisst, er hat eigentlich den Krieg gar nicht selber miterlebt im Elsass, sondern war in Afrika." "Andrea Hofmann","00:21:56:24","00:22:41:23","Die meiste Zeit. Hat natürlich über seine beiden Familien da dann Einblicke bekommen. Und jetzt kommt er eben zurück. Und ich glaube, gerade aus dieser zweifachen Perspektive, also einmal aus dieser elsässischen Perspektive und aus dieser Perspektive, dass er gar nicht direkt am Ort des Geschehens ist, kann er so predigen, wie er das jetzt macht. Und er sagt ja, dass ja jetzt die grosse Gemeinsamkeit eigentlich ist, dass alle Völker, egal ob sie jetzt siegreich oder nicht, aus diesem Krieg hervorgegangen sind, dass die Opfer zu beklagen haben und dass man doch eigentlich, aufbauend auf diesem gemeinsamen Leid jetzt dafür sorgen muss, dass so was nicht mehr passiert und dass sich eben in Europa eine Versöhnung andeutet." "Andrea Hofmann","00:22:42:00","00:23:13:22","Das war die Idee von Albert Schweitzer, aber die steht in einer gewissen Weise auch ein bisschen ausserhalb von anderen deutschen Theologen. "Catherine Weyer" Sie haben schon erwähnt, dass das Elsass in einer sehr, wenn wir es mal zerrissenen Situation war. Was haben diese Mobilmachpredigten für diese Region gemacht? "Andrea Hofmann" Ja, es ist ganz interessant, weil mal im Elsass auch die Situation hatte, dass zu Beginn des Ersten Weltkriegs zum Beispiel in Strassburg die französischsprachige Predigt verboten worden ist." "Andrea Hofmann","00:23:13:24","00:23:52:00","Und nach dem Krieg sind aber dann die französischfreundlichen Pfarrer, die wieder beginnen zu predigen. Und das Interessante ist halt, dass sie dann diesen französischen Sieg auch wiederum als ein Zeichen dafür werten, das Gott für eine Nation kämpft, aber in dem Fall eben für Frankreich. Man findet dann in diesen Predigten eigentlich die gleichen Motive wie in den Predigten während des Ersten Weltkriegs, bloss jetzt halt unter anderen Vorzeichen, dass nämlich Gott auf der Seite von Frankreich steht und dieser Sieg über Deutschland doch zeigt genau, welches Volk sich jetzt als das christliche und das frommer Volk erwiesen hat." "Catherine Weyer","00:23:52:02","00:24:30:16","Das heisst, diese Predigten haben auch die Elsässer Bevölkerung weit auseinandergetrieben. "Andrea Hofmann" Ich weiss gar nicht, wie gross dann der Einfluss der Predigten tatsächlich auf die Bevölkerung gewesen ist. Ich weiss aber, dass dieser Krieg an sich, die elsässischen Familien stark beschäftigt hat und auch auseinandergetrieben hat. Und man merkt das bis heute finde ich also, dass das im Elsass der erste Weltkrieg viel stärker noch im Bewusstsein, in der Erinnerung ist, als das in Deutschland ist und dass da natürlich auch diese Predigten irgendwie auch dazu beigetragen haben." "Catherine Weyer","00:24:30:18","00:25:00:16","Und wie sieht es heute aus? Hat die Theologie aus dieser Geschichte gelernt? Distanziert man sich heute stärker von dieser Art Predigt oder findet man das heute noch? "Andrea Hofmann" Ich glaube schon, dass das die Theologie aus dem Ersten Weltkrieg gelernt hat. Aber das war ein längerer Prozess. Gerade am Beispiel des Zweiten Weltkriegs sieht man noch mal, wie die Kirche oder bestimmte Teile der Kirche ja, absolut in eine falsche Richtung, wie wir das heute sehen würden, gelaufen sind." "Catherine Weyer","00:25:00:18","00:25:28:19","Und nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann der Sinneswandel. "Andrea Hofmann" Ja, der kommt dann so langsam, also in der evangelischen Theologie. Und es braucht natürlich, es braucht ja auch bis so Wunden wieder … verheilt sind sie wahrscheinlich nie. Aber bevor man auch bereit ist, wieder aufeinander zuzugehen Grad im Elsass gibt es so seit etwa 1960 kirchlicherseits eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Für mich persönlich spielt es auch noch mal eine wichtige Rolle." "Andrea Hofmann","00:25:28:19","00:25:55:21","Ich habe ein Jahr lang in Strassburg gelebt, um die Habilitation zu schreiben. Das war 2018/2019 und 2018 hat sich ja das Ende des Ersten Weltkriegs gejährt zum hundertsten Mal, und da war ich bei so ein paar deutsch-französischen Aktionen dabei, die mich auch sehr berührt haben und wo ich auch das Gefühl hatte, das war eine gute Aktion und die gut mit diesem besonderen Erlebnis umgegangen sind." "Andrea Hofmann","00:25:55:23","00:26:37:09","Und ich habe zum, das war dann tatsächlich zum Kriegsende, auch ein wirklich schönen Gottesdienst damals mitbekommen. Wir haben das Ende Oktober gemacht im Münstertal, auf dem Altmarkt-Kopf und da hat ein deutsch-französischer Gottesdienst dann stattgefunden. Halt wirklich an einem Ort, wo gekämpft worden ist, wo man die Schützengräben noch sieht. Und das war sehr stark auf die Versöhnung ausgerichtet und mit grossen Versprechen auch, dass man so eine Situation einfach nie wieder haben will und da auch kirchlicherseits alles dafür tut, das ja die friedliche Zusammenarbeit eigentlich bestehen bleibt." "Catherine Weyer","00:26:37:11","00:27:07:04","Glauben Sie, dass die protestantische Kirche aus diesem dunklen Kapitel gelernt hat und dass sie sich auch damit versöhnt hat mit ihrer Rolle von damals? "Andrea Hofmann" Also ich glaube, dass die deutschsprachige protestantische Theologie da durchaus von gelernt hat. Ob man sich tatsächlich mit dieser Geschichte versöhnt hat, ob man sich da jeweils mit versöhnen kann, weiss ich gar nicht. Ich finde es wichtig, das in Erinnerung zu halten, dass da auch eine Schuld auf den Kirchen liegt, sowohl im Ersten Weltkrieg als auch im Zweiten Weltkrieg." "Andrea Hofmann","00:27:07:05","00:27:36:08","Auf der anderen Seite gerade diese Pfarrer, die ich mir jetzt angeguckt habe. Ich habe für die in gewisser Weise schon auch eine Sympathie entwickelt, weil ich schon auch diese Pfarrer in dieser zwiespältigen Situation gesehen habe. Und man merkt es den Predigten auch an, dass sie einfach in einem Spannungsfeld stehen, das sie einerseits vertreten müssen, was die Politik sagt, dass sie ja aber auch Seelsorge für ihre Gemeinde betreiben wollen und dass sie auf der anderen Seite ja selber durch diesen Krieg sehr schwer getroffen waren." "Andrea Hofmann","00:27:36:08","00:28:07:09","Und man merkt schon oft, dass sie auch zweifeln, dass da eine Entwicklung auch passiert. "Catherine Weyer" Frau Hoffmann, vielen herzlichen Dank! "Andrea Hofmann" Ich danke Ihnen. Outro Das war Unisonar, der Wissens-Podcast der Universität Basel. Wir freuen uns über Ihr Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht die Friedensforscherin Dana Landau über unterschiedliche Arten von Frieden und wagt einen Blick hinter das Ende des Ukrainekriegs." "Andrea Hofmann","00:28:07:11","00:28:08:02","Bis bald."