Intro "Dana Landau","00:00:00:20","00:00:36:20","Die ideale Gesellschaft, wo überhaupt keine Ressentiments mehr da sind, wo niemand sich benachteiligt fühlt. Das kann es nicht geben. Diese Realität jetzt und der Handlungsfähigkeit einer UNO und auch einer NATO im Kosovokrieg ist einfach, dass diese geopolitische Lage sich in diesen vergangenen 25 Jahren zum Schlechteren verändert hat. Ich denke schon, dass die allermeisten Menschen, die allerallermeisten Menschen in Frieden leben möchten. Daran interessiert sind, eben einfach diese Stabilität und Gewaltfreiheit und die Möglichkeit der politischen Teilhabe, dass sich das die allermeisten Menschen wünschen würden." "Catherine Weyer","00:00:45:18","00:01:15:12","Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Mein Name ist Catherine Weyer. Kinder, die sich um einen Ball streiten, Paare, die sich fetzen und trennen, Nachbarschaftsstreit, die vor Gericht landen, bis hin zu ganzen Nationen, die gegeneinander Krieg führen. Streit gibt es überall. Im besten Fall schaffen wir es, uns wieder zu vertragen. In den fünf Folgen dieser Staffel schauen wir uns mit Expertinnen der Universität Basel fünf Forschungsfelder an, die sich mit Streit und Versöhnung befassen." "Catherine Weyer","00:01:15:14","00:01:32:17","Und heute dreht sich alles um den Frieden. Mir gegenüber sitzt Dana Landau. Sie ist Senior Researcher bei Swisspeace, der Schweizer Friedensstiftung. In ihrer Forschung konzentriert sie sich unter anderem auf Friedens- und Staatsaufbau nach Konflikten. Frau Landau, herzlich willkommen!" "Dana Landau","00:01:32:19","00:01:34:06","Vielen Dank." "Catherine Weyer","00:01:34:08","00:01:53:14","Wir sprechen darüber, ob der Kosovo 25 Jahre nach dem Krieg den Frieden gefunden hat, welche Konsequenzen ein Frieden im Ukrainekrieg haben könnte und weshalb es oft gar nicht so einfach ist zu sagen, wann ein Krieg zu Ende ist. Frau Landau, sind Sie eine gute Friedensschlichterin?" "Dana Landau","00:01:53:16","00:02:06:09","Ja, da müssten Sie wahrscheinlich die Menschen in meinem Leben fragen. Aber ich glaube schon im Alltag, dass man gewisse Dinge anwenden kann, die man so aus der Theorie oder aus der aus dem Beobachten der Politik so kennt." "Catherine Weyer","00:02:06:11","00:02:13:05","In der Theorie gibt es ja den positiven und den negativen Frieden. Können Sie uns kurz erklären, worum es sich dabei handelt?" "Dana Landau","00:02:13:07","00:02:37:11","Ja, es ist so eine Einteilung, die man macht in der Friedensforschung, würde ich jetzt so vereinfachend zusammenfassen: Der negative Frieden ist einfach die Abwesenheit von physischer, direkter physischer Gewalt. Negativ tönt jetzt so wertend gemeint ist, das ist nicht unbedingt wertend gemeint. Es ist einfach wirklich so gemeint. Es ist die Abwesenheit von etwas, also die Abwesenheit von Krieg." "Dana Landau","00:02:37:11","00:03:10:01","Und das würden ja auch wahrscheinlich die meisten Leute so intuitiv beantworten: Was ist Frieden? Einfach Abwesenheit von Krieg oder von Gewalt? Und mit positivem Frieden meint man eigentlich etwas Umfassenderes und zwar, dass auch wirklich die Ursachen hinter Konflikten irgendwie konstruktiv bearbeitet wurden. Also das wird oft mit einer Abwesenheit von sogenannter struktureller Gewalt oder Ungleichheiten gleichgesetzt. Also sind da Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und so bisschen ein allumfassender Begriff." "Dana Landau","00:03:10:03","00:03:35:19","Jetzt zum Beispiel, wenn man jetzt bewaffnete Konflikte und Kriege anschaut, dann wäre eigentlich ein negativer Frieden erreicht, wenn es einen Waffenstillstand gegeben hat, eben die Waffen ruhen. Ein positiver Frieden wahrscheinlich erst, wenn wirklich Reformen oder Veränderungen in der Gesellschaft stattgefunden haben. Wirklich Konfliktursachen angepackt wurden und so das Konfliktpotential auch verändert wurde." "Catherine Weyer","00:03:35:21","00:03:43:00","Wenn Sie die Friedensbemühungen der Vergangenheit und die der letzten Jahrzehnte vergleichen, hat sich das Verständnis von Frieden verändert?" "Dana Landau","00:03:43:02","00:04:23:20","Ja, da kann man schon Entwicklungen sehen. Ich würde sagen, ab den 1990er Jahren gab es auch dadurch, dass die UNO wieder handlungsfähiger wurde – Ende des Kalten Krieges – eine sehr, würde ich sagen ambitionierte Friedenspolitik, wo eigentlich auch Friedensabkommen unterschrieben wurden, die sehr ambitionierte Ziele hatten. Diese Staaten, die zum Beispiel aus Bürgerkriegen herauskamen, umzugestalten, demokratischer zu gestalten, Menschenrechte allen zu ermöglichen usw. Das hat man damals mit so sage ich mal optimistischeren Moment in der Weltpolitik in Verbindung gebracht." "Dana Landau","00:04:23:22","00:04:55:06","Und in den letzten zehn Jahren sehen wir in den internationalen Friedensbemühungen wieder eher weniger ambitionierte Ziele. Also vielleicht ein gewisser Realismus, der wieder eingetreten ist, wo viele Vermittlungsakteure, zum Beispiel auch die UNO selbst merkt: Vielleicht sind lokale Waffenstillstände oder lokale temporäre Abkommen, die nicht die ganzen Kriegsursachen bearbeiten können, schon genug, weil man vielleicht nicht mehr erreichen kann. Also da gibt es schon Veränderungen über die Zeit." "Catherine Weyer","00:04:55:08","00:05:02:21","Dann schauen wir uns jetzt gleich mal ein Beispiel an aus dieser Zeit, aus den 1990-er Jahren, und zwar den Kosovo." "Einspieler","00:05:02:23","00:05:36:16","Die Republik Kosovo liegt in Südosteuropa auf dem westlichen Teil der Balkanhalbinsel und grenzt an Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien. 2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit. Bis heute wurde dies von über 100 Staaten anerkannt, allerdings nicht von Serbien. Die beiden Länder verbindet eine lange Geschichte. Im Mittelalter war der Kosovo im Mittelpunkt des serbischen Staates, bevor das Osmanische Reich in den Balkan vordrang und Kosovo, Serbien und Bosnien zu Provinzen machte." "Einspieler","00:05:36:18","00:06:10:14","Mit der Zeit stellte die albanische Bevölkerung die Mehrheit im Kosovo. Nach dem Balkankrieg annektierte Serbien 1912 den Kosovo, der ab 1918 wie auch Serbien zu Jugoslawien gehörte. Unter dem jugoslawischen Staatsführer Josip Bros Tito erhielt der Kosovo den Status einer autonomen Provinz innerhalb Serbiens. 1989 hob der damalige Präsident der Serbischen Republik, Slobodan Milosevic, dies wieder auf. Es kam in der Folge zu Repressionen gegen die albanische Bevölkerung." "Einspieler","00:06:10:16","00:06:49:22","Diese leistete Widerstand unter anderem durch die militante Gruppe UÇK. Diese führte Angriffe auf serbische Sicherheitskräfte und Einrichtungen durch, was zu einer heftigen militärischen Reaktion der serbischen Streitkräfte führte. Der Konflikt eskalierte 1998, als Berichte über Menschenrechtsverletzungen und ethnische Säuberungen durch serbische Truppen bekannt wurden. Nachdem Friedensverhandlungen scheiterten, griff die NATO in den Konflikt ein und bombardierte serbische Ziele. Die NATO-Intervention führte zur Kapitulation der serbischen Truppen und zur Einrichtung einer internationalen Verwaltung im Kosovo unter den Vereinten Nationen." "Catherine Weyer","00:06:52:21","00:06:59:08","Der Kosovokrieg endete vor 25 Jahren. Heisst das, seit 25 Jahren herrscht Frieden im Kosovo?" "Dana Landau","00:06:59:10","00:07:26:17","Ja, das ist genau die Frage nach der Definition von Frieden. Nach der Definition des negativen Friedens durchaus. Obwohl es zwischenzeitlich auch wieder, sagen wir mal, kleinere Gewaltepisoden gab. Aber in dem Ausmass eines Krieges war das nicht so seit 1999 und das sollte man auch nicht herunterspielen. Das ist sicher sehr wichtig für die betroffenen Menschen, dass es nicht mehr zu einer grossen Gewalteskalation gekommen ist." "Dana Landau","00:07:26:19","00:07:51:24","Die Hauptfrage ist die nach dem Status des Kosovo, also ob es jetzt ein Staat ist, anerkannt von wem und wie es sich auswirkt für die betroffenen Bevölkerungen. Was ja sehr ungewöhnlich und darum auch sehr spannend war, mich auch sehr fasziniert hat an diesem Fall ist, dass es eben damals zwar militärisch ein Ende gab der Gewalt und in dem Sinn ein Fazit, das, wie man jetzt gerade gehört hat die serbischen Truppen mussten sich zurückziehen aus dem Kosovo." "Dana Landau","00:07:52:05","00:08:16:05","Damit war aber nicht die Frage gelöst, was jetzt rechtlich und politisch mit dem Kosovo ist und damals gab es ja die UNO-Mission, die dann zuständig war, den Kosovo wieder aufzubauen und auch für die Bevölkerung dort zu sorgen, bis es eine klare politische Lösung gibt. Und hat das in dieser interimistischen Administrationsmission im Kosovo, wie es damals hiess, gemacht." "Dana Landau","00:08:16:05","00:08:30:01","Über viele Jahre und die Absicht war, dass es dann noch zu Verhandlungen mit Serbien kommen wird. Dass man dann später den Status, also was das für ein politisches Gebilde sein werden soll, noch lösen wird." "Catherine Weyer","00:08:30:03","00:08:36:19","Weshalb hat man es trotz dieser massiven Intervention der UNO nicht geschafft, bis heute klare Verhältnisse zu bekommen?" "Dana Landau","00:08:36:21","00:09:13:06","Kosovo war eine autonome Provinz in Serbien. Serbien selbst war eine Republik in Jugoslawien, also Jugoslawien hatte sechs Republiken und zwei dieser autonomen Provinzen. Und in der Verfassung hatten die nicht den gleichen Status. Das war ganz klar, dass die Republiken, das war ja eine Konföderation an sich, das recht haben, als Republiken sich auch abzuspalten. Und dementsprechend haben sich ja danach im Zuge dieser gewaltsamen Auflösung Jugoslawiens die anderen Republiken eben zum Beispiel Kroatien, Slowenien, Bosnien usw. als unabhängig erklärt." "Dana Landau","00:09:13:08","00:09:45:00","Die autonomen Provinzen hatten so in der Verfassung dieses Recht nicht. Was aber wichtig ist, ist auch die Frage nach den Grenzen. Ganz wichtig wurde festgelegt auch von der internationalen Gemeinschaft, dass diese Entitäten, die sich dann abspalten und eigene Staaten bilden, dass sie das nur in den Grenzen der ursprünglichen Republiken können. Und das war ganz wichtig, weil man festgelegt hat, wenn man das nicht so festlegen würde, dann könnten sich alle Grenzen eigentlich wieder frei wählen lassen." "Dana Landau","00:09:45:00","00:10:18:15","Bzw. man könnte mit Gewalt – das ist natürlich das Risiko – neue Grenzen schaffen. Die Logik, dass eigentlich diese administrativen Grenzen gelten sollen und eben nicht zum Beispiel die ethnische oder religiöse oder sprachliche Zugehörigkeit der Menschen, die da wohnen, war auch ganz wichtig, weil man eigentlich zum Schluss gekommen ist, wenn man das nicht so machen würde, dann könnte man aufgrund solcher Zugehörigkeiten Ansprüche auf Teile andere Staaten oder andere Regionen geltend machen." "Dana Landau","00:10:18:21","00:10:50:10","Und innerhalb dieser Grenzen sollten eigentlich die Menschen alle, egal welche Ethnie oder Zugehörigkeit zu Religion oder Sprache die gleichen Rechte haben. Und basierend auf diesem Prinzip, das eben innerstaatlich es keine Privilegierung geben sollte, wurde dann eben auch der Druck auf Kosovo, welches sich dann unabhängig erklären wollte, sehr stark. Wenn Kosovo unabhängig wird, muss das in den ursprünglichen Grenzen sein und es muss für alle die dort leben die gleichen Rechte usw. geben." "Dana Landau","00:10:50:15","00:11:19:20","Sogar im Gegenteil eine Förderung der Minderheitenrechte, damit diese nicht dominiert werden von der Mehrheit. Dann gab es 2006/2007 von der UNO vermittelte Gespräche, Verhandlungen darüber, wie es weitergehen soll. Und in diesen Verhandlungen wurde eigentlich auch stark von der UNO und der internationalen Gemeinschaft diese Versicherung oder diese Zugeständnisse sozusagen für die Minderheiten festgelegt. Und die sollten dann in die Verfassung des neuen Staates integriert werden." "Dana Landau","00:11:19:22","00:11:42:11","Am Ende gab es kein Abkommen, wo beide Parteien einverstanden waren. Was da passiert ist, ist, dass der Kosovo trotzdem diese verschiedenen Regeln in die Verfassung integriert hat. Es gab noch mehrere Jahre eine internationale Schutzmission, die damit beauftragt war, das Ganze umzusetzen und zu schauen, dass das auch so richtig vonstattengeht. Und dann haben wir eine weitere Runde von Verhandlungen, die die EU fazilitiert hat." "Dana Landau","00:11:42:11","00:12:17:18","Und da war eigentlich die Hoffnung, dass die Tatsache, dass diese beiden Staaten eigentlich in die EU möchten und diese Perspektive einer EU Integration sie eigentlich alle dann wieder annähern könnte bzw. am Ende sowieso die Grenzen wieder weniger wichtig machen würde. War eigentlich die Hoffnung, dass man dort noch mal zu einer Lösung kommt. Offiziell laufen diese Verhandlungen immer noch, aber ich denke, das hat auch eine gewisse geopolitische Dimension, dass das nicht zu einem Abschluss gekommen ist, weil ja auch diese EU Integrationsperspektive nicht mehr so glaubwürdig ist heute, wie sie vor zehn 20 Jahren noch war." "Catherine Weyer","00:12:17:20","00:12:34:03","So wie Sie es beschrieben haben sich das jetzt nicht so aus, dass sich Serbien und Kosovo in nächster Zeit derart annähern würden, dass zum Beispiel Serbien den Kosovo als eigenständigen Staat anerkennen würde. Dennoch: Glauben sie, dass es in absehbarer Zeit positiven Frieden geben kann im Kosovo?" "Dana Landau","00:12:34:05","00:12:59:10","Es ist immer schwierig zu prophezeien, was passieren wird. Aber Sie haben durchaus recht. Ich glaube, der grosse Durchbruch mit einem Friedensabkommen, wo man sich gegenseitig anerkennt und auch Serbien die Staatlichkeit von Kosovo anerkennen würde, ist sehr unwahrscheinlich. In dieser Frage vom Zusammenleben, von der Versöhnung kann auch die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Das sollte man auch nicht vergessen." "Dana Landau","00:12:59:10","00:13:27:07","Schlussendlich geht es darum, wie die Menschen eigentlich miteinander leben. Oft leben Menschen, die sozusagen in die eine oder andere Gruppe fallen würden, eigentlich sehr nahe beieinander, haben auch gemeinsame wirtschaftliche Interessen, ähnliche Alltagsprobleme. Und da gibt es eigentlich viele Initiativen, die versuchen, sozusagen vom bottom up, also vom Grund herauf, diese Konfliktlinien zu überbrücken und da auch Friedensarbeit zu leisten." "Catherine Weyer","00:13:27:09","00:13:31:14","Also würden Sie sagen, verhalten optimistisch." "Dana Landau","00:13:31:16","00:13:34:06","Ja, vielleicht so ja." "Catherine Weyer","00:13:34:08","00:13:46:05","Dann kommen wir jetzt mit dem zweiten Beispiel ins 21. Jahrhundert zu einem laufenden Konflikt, dem Ukraine-Krieg. Auch hier erst mal ein kurzer Rückblick, welche Ereignisse zu diesem Krieg führten." "Einspieler","00:13:46:07","00:14:19:00","Am 18. März 2014 nimmt Russlands Präsident Wladimir Putin die Krim in die Russische Föderation auf. So nennt es zumindest Russland. Der Rest der Welt spricht von einer Annexion. Die Krim, eine Halbinsel im Schwarzen Meer, gehört seit 1954 zur Ukraine. Ein grosser Teil ihrer Bevölkerung besteht aus ethnischen Russen. Eine Tatsache, die Wladimir Putin als Begründung verwendet, weshalb Russland die Krim annektiert, um die russisch-sprachige Bevölkerung zu schützen." "Einspieler","00:14:19:02","00:15:11:06","Die Ukraine ist der zweitgrösste Staat Europas nach Russland. Seit 1991 ist das Land unabhängig. 1994 tritt es an Russland seine Atomwaffen ab, um im Gegenzug Garantien für seine territoriale Integrität zu erhalten. 2013 kommt es in der Ukraine zu monatelangen Protesten der sogenannten Euromaidan-Revolution, nachdem der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch ein Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet. Janukowitsch flieht und im Februar 2014 marschieren russische Soldaten in die Krim und besetzen das Regionalparlament. Mit einem sogenannten Referendum, das sie jedoch nicht unter freien Bedingungen stattfindet und keine Möglichkeit lässt, den Status quo zu wählen, Legitimiert Russland seine Besetzung." "Einspieler","00:15:11:08","00:15:42:18","Seit dieser Annexion herrscht Krieg in der Ostukraine. Trotz zweier Waffenstillstandsabkommen wird seither in dem Gebiet um Luhansk und Donezk gekämpft. Am 24. Februar 2022 marschiert Russland erneut in die Ukraine ein und stösst unter anderem auf die Hauptstadt Kiew vor. Nachdem die Ukraine mehrere Angriffe erfolgreich abwehrte, konzentriert sich Russland seit bald zweieinhalb Jahren vor allem auf den Krieg in der Ostukraine." "Catherine Weyer","00:15:42:20","00:15:49:09","Wir haben jetzt lange über den Kosovokrieg gesprochen. Sehen Sie dort Parallelen zum laufenden Ukraine-Krieg?" "Dana Landau","00:15:49:11","00:16:23:04","Diese beiden Kriege werden manchmal miteinander verglichen. Ich denke, es gibt sehr wichtige Unterschiede. Also völkerrechtlich ist es klar, dass die Ukraine ein international anerkannter Staat ist und war seit 1991 in dem Territorium, das wir gehört haben, inklusive der Krim. Und darum ist es auch völkerrechtlich klar, dass die Annexion der Krim durch Russland völkerrechtswidrig war. Hier haben wir es wirklich ganz eindeutig mit einem zwischenstaatlichen Krieg zu tun." "Dana Landau","00:16:23:06","00:16:55:22","Wohingegen der Kosovo-Krieg ja eben am Anfang ein innerstaatlicher Krieg war. Also da gibt es schon mal sozusagen in der Kategorisierung dieser beiden Kriege Unterschiede. Eine andere Parallele, die ja manchmal gezogen wurde, ist eben diese Frage, habe ich schon erwähnt, ob Minderheiten mit ethnischer Zugehörigkeit sozusagen geschützt werden müssen vom Staat? Da weiss man eigentlich jetzt, obwohl eben die Krim eine komplizierte Geschichte hat und auch gemischte Zugehörigkeit." "Dana Landau","00:16:55:24","00:17:22:24","Völkerrechtlich ist es klar, dass sie zur Ukraine gehörte und auch, dass es unmittelbar vor 2014, vor dieser Annexion, eigentlich kein Begehren gab, sich zu Russland irgendwie anzugliedern oder sich als unabhängig zu erklären. Aber auch dieses Argument, da ist eine Parallele, die wir sehen in der Argumentation, in den Reden von Präsident Putin vor den verschiedenen Phasen, die dieser Krieg hatte. Der begann ja 2014 eben mit der Krim Annexion." "Dana Landau","00:17:23:01","00:17:47:03","Dann gab es den Krieg in der Ostukraine und dann die Invasion der ganzen Ukraine 2022, wenn man das so aus drei Phasen eines Krieges anschaut. Jedes Mal hat er Reden gehalten, wo er immer wieder darauf einging, eine russische Minderheit werde bedroht. Im Fall der Invasion 2022 sprach er sogar von einem Genozid, der an der russischen Bevölkerung in der Ostukraine begangen werde." "Dana Landau","00:17:47:03","00:18:13:07","Dafür gibt es keine Beweise. Es ist nicht so, dass das passiert ist. Aber diese Argumentation, sozusagen einen Genozid Vorwurf als Vorwand zu nehmen für eine Kriegshandlung und auch für das Aufschüren der Unterstützung der eigenen Bevölkerung. Diese Idee, dass man zwar einen offensiven Krieg führt, diesen aber als defensiv bzw. man kommt ja einer Bevölkerung zum Schutz, die diesen Schutz braucht." "Dana Landau","00:18:13:09","00:18:36:04","Das ist eine Argumentation, die wir auch leider aus den 90er Jahren aus den Jugoslawienkriegen kennen. Ach, da gab es falsche Anschuldigungen zum Beispiel im Kosovo-Kontext Es wären anscheinend massive Menschenrechtsverletzungen an der serbischen Minderheit begangen im Kosovo, also von der albanischen Mehrheit. Diese haben sich auch als unwahr herausgestellt und waren auch Vorwände." "Catherine Weyer","00:18:36:06","00:18:59:20","Sie haben gesagt, dass der Krieg in der Ukraine eigentlich schon seit 2014 vorherrscht und dann eigentlich jetzt mit Februar 2022 eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Dazwischen gab es ja ganz viel Zusammenarbeit zwischen Westeuropa und Russland. Es wurden viele Gasverträge geschlossen mit Russland. War das blauäugig von Westeuropa?" "Dana Landau","00:18:59:22","00:19:26:21","Ich denke, im Nachhinein kann man das durchaus so sehen. Ist auch natürlich einfacher, im Nachhinein das so zu sehen. Ich denke, im Nachhinein ist es sehr klar, dass die Bedrohung, die auch von dieser Annexion und von diesen Kriegshandlungen dann auch in der Ostukraine ausgingen, nicht genug ernst genommen und wahrgenommen wurden. Und da haben natürlich auch verschiedene Interessen und eine Güterabwägung mit hineingespielt, die jetzt im Nachhinein wirklich problematisch wirkt." "Catherine Weyer","00:19:26:23","00:19:47:00","Man kann nicht in die Zukunft schauen. Wir müssen auch sagen, wir zeichnen diese Aufnahme am 5. August 2024 auf. Wir wissen nicht, was die nächsten Tage noch bringen werden oder Monate. Dennoch: Glauben Sie, es wird möglich sein, dass die Ukraine und Russland zu einem Frieden kommen werden. Und was für einen?" "Dana Landau","00:19:47:02","00:20:12:20","Ja, ich denke, dieser Krieg wird irgendwann enden und es wird irgendeine Form von Frieden geben. Der springende Punkt ist die Frage: was für einen Frieden? Ich habe da in den letzten anderthalb Jahren mit einer ukrainischen Professorin einen Forschungsstrang dazu verfolgt, wo wir auch angeschaut haben: Uns hat eigentlich interessiert, wie stellen sich Ukrainer einen Frieden vor, wie wird Frieden diskutiert in der Ukraine?" "Dana Landau","00:20:13:01","00:20:39:23","Dazu gibt es ja auch in der Ukraine eine sehr lebhafte Zivilgesellschaft, die sich damit auseinandersetzt. Und wir haben verschiedene öffentliche Statements von zivilgesellschaftlichen Gruppen aus der Ukraine analysiert. Und was da eigentlich dabei herauskam: Es ist klar, dass für einen Grossteil der Ukrainer ihnen, das sieht man auch in Umfragen Frieden eigentlich Sieg beinhalten muss." "Dana Landau","00:20:39:24","00:20:54:13","Also sie sehen, dass der Frieden wird kommen dadurch, dass man den Krieg gewinnt. Das heisst aber nicht, dass Verhandlungen ganz ausgeschlossen sind. Die Frage ist natürlich, unter welchen Bedingungen wird verhandelt und bedingt das irgendwie eine Kapitulation?" "Catherine Weyer","00:20:54:15","00:21:07:00","Was gibt es denn für eine Lösung, um vielleicht allen ein bisschen entgegenzukommen? Oder zumindest, dass der Status der Krim nicht der Grund ist, dass man nicht zu Friedensverhandlungen kommt?" "Dana Landau","00:21:07:02","00:21:37:01","Was am Ende für Kompromisse vielleicht eingegangen werden, das wird an den Konfliktparteien liegen. Da kann man und sollte man von aussen sich weder prophezeien noch Anweisungen geben. Aber es ist natürlich schon nützlich, sich zu überlegen: Gibt es aus der Vergangenheit Beispiele oder Modelle, die man die man nehmen könnte? Es gibt auch Expert*innen, die zum Beispiel darauf verweisen, dass eine Form internationaler Zuständigkeit eines Territoriums, vielleicht sogar à la das Beispiel von Kosovo in dem Ausmass wird es nicht sein, aber dass man sozusagen sagt, es gibt vielleicht eine interimistische territoriale Aufsicht eines internationalen Gefüges oder es könnte die UNO sein oder sonst eine multilaterale Zusammensetzung, die sozusagen auf eine gewisse Zeit zuständig sein könnte. Und so könnte man die Entscheidung darüber, die am Ende doch auch demokratisch legitimiert werden muss, von der Bevölkerung von Ort zehn, 15 oder wie viele Jahre hinauszögern." "Dana Landau","00:22:09:03","00:22:36:01","Das hat man auch in anderen Konflikten gemacht. Es gibt solche Modelle. Es ist nicht undenkbar. Am Ende, genau wie mit den verschiedenen Modellen, die ich vorher beschrieben habe, über institutionelle Arrangements zwischen Minderheiten und Mehrheiten, über Machtteilung, über Quoten liegt es auch zu einem grossen Stück daran, inwiefern die Akteure bereit sind, mit gutem Willen diese Dinge umzusetzen." "Catherine Weyer","00:22:36:03","00:22:51:07","Und wie das Beispiel Kosovo gezeigt hat, darf man nicht vergessen, dann die Entscheidung irgendwann zu fällen. "Dana Landau" Genau. "Catherine Weyer" Anders als im Kosovo halten sich die UNO und die NATO im Ukrainekrieg sehr zurück. Woran liegt das?" "Dana Landau","00:22:51:09","00:23:22:12","Ja, in erster Linie. Also wenn ich mal mit der UNO beginne, ist das natürlich, weil Russland ein Sitz im Sicherheitsrat hat. Als permanentes Mitglied. Laut den UNO-Regeln sind es ja diese fünf Mitglieder des Sicherheitsrates, diese ständigen Mitglieder, die ein Vetorecht haben. Somit kann Russland den Sicherheitsrat eigentlich blockieren und das macht die UNO in grossen Belangen jetzt bei diesen grossen politischen Fragen in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine machtlos und wirkungslos." "Dana Landau","00:23:22:17","00:24:00:09","Man muss dazu sagen, die UNO hat natürlich auch andere Organe, die ganze humanitäre und Entwicklungsarbeit und da ist sie natürlich schon auch sehr aktiv in der Ukraine. Aber auf der politischen Ebene, was Friedensschlichtung oder auch den Einsatz von Blauhelmen oder solche Interventionen bedingen, immer einen Sicherheitsratssentscheid und der ist einfach blockiert. Mit der NATO ist es so, dass viele NATO-Länder natürlich die Ukraine unterstützen, aber sehr vorsichtig sind, nicht selbst in den Krieg hineingezogen zu werden, weil das eine direkte Konfrontation mit einer Nuklearmacht wie Russland einfach zu einer starken Eskalation dieses Krieges führen würde." "Dana Landau","00:24:00:09","00:24:27:16","Und da gibt es berechtigterweise Sorgen und man versucht diesen Mittelweg zu machen, wo man einfach die Ukraine dabei unterstützt, sich zu verteidigen. Diese Realität jetzt und der Handlungsfähigkeit einer UNO und auch einer NATO im Kosovokrieg ist einfach, dass diese geopolitische Lage sich in diesen vergangenen 25 Jahren zum Schlechteren verändert hat. Spezifisch einfach, dass dieser Konflikt zwischen Russland und dem Westen nicht so ausgeprägt war." "Dana Landau","00:24:27:18","00:24:44:00","Darum hat Russland damals diese Resolution 1244, die in diese UNO-Mission zum Wiederaufbau im Kosovo ermöglicht hat, damals nicht blockiert. Und heute wäre das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht möglich, dass Russland das nicht blockieren würde." "Catherine Weyer","00:24:44:02","00:24:50:21","Wenn Sie in die Vergangenheit blicken gibt es denn Beispiele, wo ein positiver Frieden erreicht werden konnte?" "Dana Landau","00:24:50:23","00:25:15:03","Ich denke, auch da kommt es ein bisschen davon, wie weit man diesen Begriff dehnt. Die ideale Gesellschaft, wo überhaupt keine Ressentiments mehr da sind, wo niemand sich benachteiligt fühlt. Das kann es nicht geben. In dem Sinn geht es darum, sich diesem Ideal anzunähern. Aber auf der zwischenstaatlichen Ebene würde ich doch sagen, es ist ein Beispiel, das man oft erwähnt." "Dana Landau","00:25:15:03","00:25:43:05","Aber dass zum Beispiel Deutschland und Frankreich, die heutigen Beziehungen in der EU in diesem Teil Europas, das sich so viele Jahrzehnte, Jahrhunderte vorher bekämpft hat, wäre wahrscheinlich völlig undenkbar gewesen, wenn man das jemandem gesagt hätte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass es so weit kommt, offene Grenzen und und so eine ineinander verwobene Zusammenarbeit, das wäre sicher ein gutes Beispiel." "Catherine Weyer","00:25:43:07","00:25:51:13","Und gibt es Konflikte, die schon sehr lange schwelen und wo man gar nicht einen positiven Ausblick hat?" "Dana Landau","00:25:51:15","00:26:13:08","Ja, und da gibt es wahrscheinlich zurzeit mehrere. Kommt immer ein bisschen davon, wo man den Blick hinrichtet. Aber wir sehen es jetzt auch im Nahen Osten, dass dieser lang anhaltende, viele Jahrzehnte anhaltende Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern immer wieder aufkocht, obwohl es ja auch da Momente gab, wo es so aussah, als ob man an einer Lösung nahe dran ist." "Catherine Weyer","00:26:13:10","00:26:20:15","Sie als Friedensforscherin: Glauben Sie dennoch, dass die Menschen grundsätzlich an Versöhnung interessiert sind?" "Dana Landau","00:26:20:17","00:26:47:05","Versöhnung ist vielleicht auch ein bisschen ein zu grosses Wort. Ich denke das. Ich denke schon, dass die allermeisten Menschen, die allermeisten Menschen in Frieden leben möchten, daran interessiert sind, eben einfach diese Stabilität und und Gewaltfreiheit und die Möglichkeit der politischen Teilhabe, alles das, was wir hier in der Schweiz so als völlig selbstverständlich annehmen und was doch viele Menschen auf der Welt nicht haben, dass sich das die allermeisten Menschen wünschen würden." "Dana Landau","00:26:47:07","00:27:00:00","Nicht immer gelingt es den zuständigen politischen Eliten, das umzusetzen. Aber dass sicher sehr, sehr viele Menschen im Prinzip so veranlagt sind, dass sie das befürworten würden, denke ich schon." "Catherine Weyer","00:27:00:02","00:27:01:18","Frau Landau, vielen herzlichen Dank." "Dana Landau","00:27:01:20","00:27:04:00","Danke Ihnen." Outro "00:27:04:02","00:27:25:15","Dies ist das Ende der fünften Staffel. Sind Sie an weiterer Forschung der Universität Basel interessiert? In der letzten Staffel sprachen wir mit einem Schönheitschirurgen, einer Kulturanthropologin und einem Sportwissenschaftler über Selbstoptimierung. Neue Folgen zu einem anderen Thema gibt es im März 2025. Hier und überall, wo es Podcasts gibt. Bis bald."