Intro "Thanushiyah Korn","00:00:01:07","00:00:31:23","Letzten Endes konnte sich niemand zu diesem Zeitpunkt der Eskalation ein Verbrechen dieses Ausmasses in Ruanda wirklich vorstellen. In dieser Bevölkerung existierten verschiedene Bezeichnungen wie Hutu und Tutsi. Diese bezeichneten vor allem Berufskategorien in der lokalen Sprache Kinyarwanda bedeutet Hutu Ackerbauer und Tutsi Viehzüchter. Aber geprägt von Rassentheorien der Zeit interpretierten die Kolonialmächte diese Begriffe als Rassen und später Ethnien um." "Thanushiyah Korn","00:00:32:00","00:00:47:20","Heute ist bekannt, dass es sich bei diesem Verbrechen um einen systematischen Völkermord handelte, der voraus geplant war und ganz klar strukturiert umgesetzt wurde." "Catherine Weyer","00:00:47:22","00:01:17:17","Hallo und herzlich willkommen bei Unisono dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Mein Name ist Catherine Weyer. Kinder, die sich um einen Ball streiten, Paare, die sich fetzen und trennen, Nachbarschaftsstreit, die vor Gericht landen, bis hin zu ganzen Nationen, die gegeneinander Krieg führen. Streit gibt es überall. Im besten Fall schaffen wir es, uns wieder zu vertragen. In den fünf Folgen dieser Staffel schauen wir uns mit Expertinnen der Universität Basel fünf Forschungsfelder an, die sich mit Streit und Versöhnung befassen." "Catherine Weyer","00:01:17:19","00:01:42:24","Und heute dreht sich alles um den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994, als in 100 Tagen über 800.000 Menschen starben. Mir gegenüber sitzt Thanushiyah Korn. Sie ist Historikerin und befasst sich in ihrer Dissertation mit der Frage, wie es zu diesem Genozid kommen konnte und was die internationale Gemeinschaft damit zu tun hat. Frau Korn, herzlich willkommen! "Thanushiyah Korn" Hallo! Vielen Dank für die Einladung." "Catherine Weyer","00:01:43:01","00:02:23:10","Wir sprechen darüber, wie der Rassismus der Kolonialisten die ruandische Bevölkerung auseinandertrieb, welche Rolle die Weltbank in diesem Konflikt spielte und wie die Ruanderinnen und Ruander sich nach diesem Bürgerkrieg und Völkermord wieder verzeihen konnten. Frau Korn, wie kamen Sie dazu, Ihre Dissertation einem solch brutalen Thema zu widmen? "Thanushiyah Korn" Bereits während meines Studiums habe ich mich mit dem Thema beschäftigt und dabei realisiert, dass es sich bei diesem grausamen Verbrechen, das vor 30 Jahren stattgefunden hat, nicht um einen simplen lokalen Konflikt handelte, auf den andere internationale Akteure nur reagiert haben, sondern dass auch die internationale Gemeinschaft eine wichtige Rolle gespielt hat." "Thanushiyah Korn","00:02:23:15","00:02:53:16","Das hat mich nie losgelassen und deshalb habe ich mich dann dazu entschieden, meine Dissertation dazu zu schreiben. "Catherine Weyer" Dann steigen wir doch gleich ein in das Thema Ruanda als Königreich gab es bereits seit mehreren 100 Jahren, bevor die Deutschen das Land 1890 kolonialisierten. Auf was für eine Bevölkerung trafen die Europäer damals? "Thanushiyah Korn" Die ersten Europäer in Ruanda trafen auf ein Königreich, ein sehr organisiertes Militär, gut aufgestellte Gesellschaft, die in ihren Augen als zivilisiert wirkte." "Thanushiyah Korn","00:02:53:18","00:03:25:08","Sie fanden eine Bevölkerungsgruppe vor, die die gleiche Sprache sprach, die gleiche Kultur hatte, die gleiche Religion miteinander teilte und vor allem vom Ackerbau lebte. "Catherine Weyer" Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland die Kolonie an Belgien abtreten. Wie prägten diese beiden Kolonialherrschaften die Bevölkerung Ruandas? "Thanushiyah Korn"Beide Kolonialmächte nutzen die indirekte Herrschaft. Also sie nutzten die traditionelle Herrschaftsstrukturen, um Kontrolle über die Bevölkerung und das Land auszuüben und ihre eigenen Interessen durchzusetzen. "Thanushiyah Korn","00:03:25:14","00:04:03:23","Aber man muss auch sagen: Sie haben die Gesellschaft ganz stark verändert. Denn dazumal in dieser Bevölkerung existierten verschiedene Bezeichnungen wie Hutu und Tutsi. Diese bezeichneten vor allem Berufskategorien. Also in der lokalen Sprache Kinyarwanda bedeutet Hutu Ackerbauer und Tutsi Viehzüchter. Das heisst, es waren sogenannte berufliche Kategorien, die auch sozial flexibel waren, aber geprägt von Rassentheorien der Zeit interpretierten die Deutschen und später auch die belgischen Kolonialmächte diese Begriffe als Rassen und später Ethnien um und kreierten so eine sehr polarisierte Gesellschaft." "Catherine Weyer","00:04:04:00","00:04:12:06","Dazu haben sie auch eine historische Quelle mitgebracht. 1925 schrieb der belgische Minister der Kolonien über die Hutu, Tutsi und Twa." "Einsprecher","00:04:12:08","00:04:38:08","Der Mututsi der guten Rasse hat nichts vom Neger, abgesehen von seiner Farbe. Er ist in der Regel sehr gross, mindestens 1 Meter 80, oft 1 Meter 90 oder mehr. Er ist sehr dünn. Eine Eigenschaft, die sich mit zunehmendem Alter noch mehr bemerkbar macht. Seine Gesichtszüge sind sehr fein, eine hohe Stirn, eine schmale Nase und feine Lippen, die ein schönes, glänzendes Zehntel umrahmen." "Einsprecher","00:04:38:10","00:05:05:22","Die Frauen der Batutsi sind in der Regel hellhäutige als ihre Männer in ihrer Jugend sehr schlank und hübsch, obwohl sie mit zunehmender Alter immer dicker werden. Der Tutsi ist mit einer lebhaften Intelligenz begabt und zeigt eine Verfeinerung der Gefühle, die bei primitiven Völkern selten ist. Er ist der geborene Anführer, fähig zu extremer Selbstbeherrschung und zu kalkuliertem Wohlwollen. Sehr typische Bantu-Merkmale." "Einsprecher","00:05:06:03","00:05:37:15","Sie sind im Allgemeinen klein und dick, haben einen grossen Kopf, einen fröhlichen Ausdruck, eine breite Nase und riesige Lippen. Sie sind extrovertiert, lachen gerne und führen ein einfaches Leben. Der Mu-Twa weist eine Reihe klar definierter körperlicher Merkmale auf. Er ist klein, stämmig, muskulös und stark behaart. Insbesondere auf der Brust. Mit seinem affenartigen, flachen Gesicht und der riesigen Nase ähnelt er den Affen, die er im Wald jagt." "Catherine Weyer","00:05:37:17","00:06:05:21","Diese Beschreibungen muten äusserst stereotyp und rassistisch an. Welchen Einfluss hatte dies auf die ruandische Bevölkerung? "Thanushiyah Korn" In Ruanda selber hatte diese Wahrnehmung einen sehr grossen Einfluss. Einerseits wurden die Tutsi als eine höhere Rasse wahrgenommen und deshalb auch in der indirekten Herrschaft bevorzugt und während die Tutsi während der Kolonialherrschaft grösstenteils bevorzugt wurden, mussten Hutu unter Zwangsarbeit und auch körperlichen Strafen leiden." "Thanushiyah Korn","00:06:05:23","00:06:33:16","Andererseits wurden genau diese Rassentheorien auch der lokalen Bevölkerung unterrichtet, vor allem in Schulen, die von Missionaren geführt wurden. Das heisst, diese Vorstellung, dass es sich bei Hutu und Tutsi um unterschiedliche Ethnien handelte, wurde so auch der eigenen Bevölkerung mitgegeben. "Catherine Weyer" Und das waren letzten Endes Äusserlichkeiten, dass man gesagt hat: Du bist ein Tutsi, weil du hochgewachsen bist und ein bisschen ähnlicher aussiehst wie ein Europäer als ein Hutu." "Thanushiyah Korn","00:06:33:18","00:07:01:13","Genau. Diese Frage stellte sich vor allem, als die Belgier 1933 ein Passsystem eingeführt haben, das es obligatorisch machte für jeden Ruander*in, einen Pass zu tragen, in dem die Herkunft ganz klar gekennzeichnet werden musste. Und bei denjenigen, denen es unklar war, wurden dann pseudowissenschaftliche Messungen durchgeführt und so eigentlich auch mit arbiträren Entscheidungen getroffen, wer jetzt zu welcher Ethnie zugehörig sein sollte." "Catherine Weyer","00:07:01:15","00:07:35:10","Wir haben gesagt, 1890 wurde Ruanda kolonialisiert. 1962 wird Ruanda unabhängig. Was geschah dazwischen? "Thanushiyah Korn" Ende der 1950er Jahre entwickelte sich vor allem unter den Hutu ein Bewusstsein dafür, dass sie doppelt kolonisiert wurden. Sie argumentierten, dass sie einerseits durch die Kolonialmächte selber unterdrückt wurden und andererseits durch die Tutsi, die sie als Kollaborateure des Kolonialregimes sahen. Also forderten sie die Abschaffung der Monarchie und eine Revolution, um die Mehrheit der Hutu an die Macht zu bringen." "Thanushiyah Korn","00:07:35:10","00:08:05:05","Und diese Hutu-nationalistische Bewegung hat die Unabhängigkeit Ruandas geprägt und spielte auch später eine sehr grosse Rolle. "Catherine Weyer" Nach der Unabhängigkeit von Ruanda 1962 galten rund 80% des Landes als Hutu, gegenüber 15 % Tutsi. Der erste Präsident war Grégoire Kayibanda, ein Hutu wie auch später Juvénal Habyarimana. Er war über 20 Jahre lang der Präsident Ruandas. Wie entwickelte sich das Land unter ihm?" "Thanushiyah Korn","00:08:05:07","00:08:43:06","Bereits der erste Präsident Kayibanda traf die Entscheidung, dieses Passsystem nicht abzuschaffen, sondern die Begriffe Hutu und Tutsi dafür zu nutzen, die Hutu zu bevorzugen und das setzte auch Präsident Habyarimana nach seinem Militärputsch so fort. Auch Gewalt gegen Tutsi wurde in dieser Zeit nicht verfolgt. Das führte auch dazu, dass viele Tutsi in die Nachbarländer geflohen sind. Insgesamt hatte aber Habyarimana einen sehr guten Ruf in der internationalen Gemeinschaft, weil er versprach, vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben, was er zur innenpolitischen Priorität auch gemacht hat." "Thanushiyah Korn","00:08:43:08","00:09:12:19","Und er hat sehr enge Beziehungen mit Partnerstaaten gepflegt, wie zum Beispiel die Schweiz, aber auch allen voran Frankreich. "Catherine Weyer" Ab 1990 kommt es zu einem Bürgerkrieg. Welche Parteien waren an diesem Konflikt beteiligt? "Thanushiyah Korn"In Uganda formierte sich eine Gruppe, die Ruandisch-Patriotische Front(RPF), die am 1. Oktober 1990 in Ruanda einmarschierte und den Krieg begann. Präsident Habyarimana kämpfte zurück mit der ruandischen Armee." "Catherine Weyer","00:09:12:21","00:09:45:24","Wer kämpfte aufseiten Ruandas gegen die RPF? "Thanushiyah Korn"Frankreich war schon seit Jahren ein wichtiger Partner Staat Ruandas. Kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges schickte Frankreich Soldaten, Waffen, aber auch finanzielle Mittel an das Habyarimana Regime, um den Krieg gegen die Ruandisch-Patriotische Front zu führen. "Catherine Weyer" Wie verlief dieser Bürgerkrieg? "Thanushiyah Korn" Kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges engagierten sich die Nachbarstaaten, gemeinsam mit den Vereinten Nationen, einen Frieden zu verhandeln." "Thanushiyah Korn","00:09:46:01","00:10:18:03","Die Vereinten Nationen organisierten diese Friedensverhandlungen in Arusha, Tansania. Vor Ort waren die Kriegsparteien selbst, die Nachbarstaaten, aber auch Repräsentanten europäischer Regierungen. Und gemeinsam wurde monatelang ein Frieden ausgehandelt, der vor allem auf politischen Vereinbarungen zwischen der ruandischen Regierung und der Ruandische-Patriotischen Front bezogen waren. Im August 1993 konnten sich die Kriegsparteien einigen und eine Friedensvereinbarung beschliessen. Die Hutu-Extremisten waren bei diesen Verhandlungen nicht vertreten. "Thanushiyah Korn","00:10:18:09","00:10:46:18","Sie wurden auch massiv unterschätzt. Kurz nach der Friedensverhandlungen machten die Hutu-Extremisten im Land Stimmung gegen diesen Frieden. In ihren Augen hat Präsident Habyarimana mit diesen Friedensvereinbarung das Land verraten. "Catherine Weyer" Und dann kam der 6. April 1994. Ein Flugzeug, das auf dem Weg in die ruandische Hauptstadt Kigali ist, wird kurz vor der Landung abgeschossen. Alle Insassen sterben. Mit an Bord sind die Präsidenten von Burundi und von Ruanda." "Thanushiyah Korn","00:10:46:20","00:11:03:00","Bis heute ist nicht abschliessend geklärt, wer das Flugzeug abgeschossen hat. Aber nur Stunden nach dem Anschlag beginnt der Völkermord an den Tutsi und Hutu-Oppositionellen. Wir hören uns dazu einen Beitrag des Schweizer Fernsehens vom 7. April 1994 an." "Einsprecher","00:11:03:02","00:11:32:20","UNO-Beobachter auf Tour in Kigali. Sie sollen den Stammeskonflikt zwischen den Hutus und Tutsis unter Kontrolle halten. Bei ihrer Arbeit wurden heute drei belgische UNO-Soldaten ermordet. Das ist die Ministerpräsidentin des Landes, Agathe Uwilingiyimana. Nach dem Raketenangriff von gestern gab sie noch heute Morgen ein Telefoninterview gerichtet: Ich fürchte um das Leben aller Menschen hier, erklärt sie. Nach noch unbestätigten Berichten soll sie heute ermordet worden sein." "Einsprecher","00:11:32:22","00:12:03:23","Arbeitslose Jugendliche in der Hauptstadt: Sie werden von Oppositionsparteien oder der Regierungspartei mobilisiert, um als Schlägertrupps im alten Stammeskonflikt zwischen den Hutus und den Tutsis eingesetzt zu werden. Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana bei einem früheren Treffen mit Francois Mitterrand. Habyarimana gehört zur Mehrheit der Hutus. Auf Druck der Weltbank und des Westens begann er, sich mit den Tutsis zu arrangieren und sie an der Macht zu beteiligen." "Einsprecher","00:12:04:00","00:12:10:24","Doch an der Nordgrenze führten Tutsi-Rebellen einen Kleinkrieg." "Einsprecher","00:12:11:01","00:12:20:11","Bilder aus Ruanda von heute gibt es keine. Es wären schlimme Bilder, Bilder von Bürgerkrieg und Blutvergiessen." "Catherine Weyer","00:12:20:13","00:12:46:09","Wenn man diesen Beitrag hört, bekommt man den Eindruck von einer riesigen Eskalation. Ein Flugzeug stürzt ab. Die Premierministerin wird umgebracht. UNO Soldaten sterben. Wie kam es dazu? War das eine zufällige Reaktion auf diesen Flugzeugabsturz? "Thanushiyah Korn" Ganz und gar nicht. Die Hutu-Extremisten in der Regierung, aber auch in der Armee haben bereits nach Ausbruch des Bürgerkrieges über mögliche Kriegsstrategien gesprochen." "Thanushiyah Korn","00:12:46:13","00:13:13:17","Dabei war auch Völkermord und der Vernichtungsgedanke eine Option, die sie in Betracht zogen. Es wurden bereits Listen erstellt und Pläne geschmiedet, wie viele Menschen in wie vielen Minuten beispielsweise getötet werden konnten und in welchem Distrikt wie viele Waffen beispielsweise benötigt wurden. Also heute ist bekannt, dass es sich bei diesem Verbrechen um einen systematischen Völkermord handelte, der voraus geplant war und ganz klar strukturiert umgesetzt wurde." "Thanushiyah Korn","00:13:13:19","00:13:41:07","In den zeitgenössischen Medien aber wurde die Gewalt vor allem als eine spontane Reaktion auf die Ermordung des Präsidenten wahrgenommen. Die teils von impulsiven und hasserfüllten Menschen auch verübt wurde. Das hat einerseits mit Stereotypisierungen zu tun und dass man den Krieg als einen hasserfüllten Krieg von Hutu gegen Tutsi wahrgenommen hat. Andererseits hat es auch mit der immensen Brutalität des Verbrechens zu tun." "Catherine Weyer","00:13:41:09","00:14:10:21","Aber wenn wir jetzt einen Schritt zurückgehen zu diesem Bürgerkrieg. Da gab es ein Friedensabkommen, da war die UNO involviert. Es gab ausländische Armeen im Land. Das hat niemand kommen sehen? "Thanushiyah Korn" Im Nachhinein ist es immer sehr schwierig festzustellen als Historikerin, was die zeitgenössischen Akteure hätten wissen können oder sollen. Was aber bekannt ist, ist, dass es zahlreiche Warnungen gab, die die internationale Gemeinschaft als solche auch wahrgenommen hat." "Thanushiyah Korn","00:14:10:23","00:14:42:13","Beispielsweise hat der Leiter der Friedensmissionen der Vereinten Nationen, die bereits vor Ort war, von einem Informanten erfahren, dass eben diese Listen nun erstellt wurden, dass Berechnungen hergestellt wurden, wie viele Waffen in welchen Distrikten benötigt wurden. Und dieser Informant war auch bereit, ihnen das Waffenarsenal zu zeigen. Diese Warnung wurde nicht ernst genommen. Es gab weitere Warnungen: Der belgische Geheimdienst hat registriert, dass es sich bei diesen Milizen um Kriminelle handelte, die sich darauf vorbereiteten, Zivilisten zu ermorden." "Thanushiyah Korn","00:14:42:15","00:15:14:09","Und man muss ganz klar sagen, dass seit Ausbruch des Bürgerkrieges 1990 zahlreiche Menschenrechtsverletzungen im Lande festgestellt wurden und diese teilweise auch in Verbindung mit der Regierung gebracht werden konnten. "Catherine Weyer" Und weshalb hat man diese Warnungen in den Wind geschlagen? Ja, das ist eine sehr schwierige Frage zu beantworten. Einerseits haben sie die Hutu-Extremisten massiv unterschätzt. Andererseits bereits seit Beginn der Friedensmission beispielsweise viel zu wenig Personal und Geld überhaupt in die Region investiert." "Thanushiyah Korn","00:15:14:11","00:15:41:11","Es gab Kommunikationsprobleme zwischen den Institutionen. Letzten Endes konnte sich niemand zu diesem Zeitpunkt der Eskalation ein Verbrechen dieses Ausmasses in Ruanda wirklich vorstellen. "Catherine Weyer" Sie haben vorher auch schon die Propaganda erwähnt. Sie haben ein Zitat aus einer Radiosendung des Radio libre des Mille Collines vom Juni 1994 mitgebracht, das zeigt, wie damals Stimmung gemacht wurde für den Völkermord. Wir haben das Zitat aus dem Englischen übersetzt und nachvertont." "Einsprecher","00:15:41:13","00:16:05:00","Sie werden alle vernichtet werden und niemand wird überleben, um über die Zerstörung zu berichten. Lasst sie kommen. Die Ruander warten schon auf sie mit Macheten und anderen Waffen, die sie zu Genüge erhalten haben. Im gesamten Land haben junge Männer und Frauen die Arbeit angenommen und brennen vor Leidenschaft, die Inkotanyi zu bekämpfen und zu vernichten." "Thanushiyah Korn","00:16:05:02","00:16:40:24","Können Sie kurz das Zitat in den Kontext stellen? Was hören wir da? "Thanushiyah Korn" Seit Beginn des Völkermordes nutzten die Hutu-Extremisten das Radio, um Stimmung gegen die Ruandisch-Patriotische Front, aber auch gegen die Tutsi Stimmung zu machen. Hier fordern sie die Bevölkerung dazu auf, sich im Krieg gegen die Ruandisch-Patriotische Front zu beteiligen und unter anderem im Namen der Selbstverteidigung die Ruandisch-Patriotische Front ein für allemal zu bekämpfen und im weitesten Sinne auch die Tutsi, die sie als Kollaborateure der Ruandisch-Patriotischen Front und eine zukünftige Gefahr sahen." "Catherine Weyer","00:16:41:01","00:17:09:11","Im Zitat heisst es: "Wir haben Macheten und andere Waffen." Das klingt sehr nach Vorbereitung. Wie wurde das vorbereitet und wie wurde das auch finanziert? "Thanushiyah Korn" Zum Zeitpunkt, als der Bürgerkrieg ausbrach, war die ruandische Regierung mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert. Habyarimana hatte das Geld nicht, um den Krieg zu führen. Ein halbes Jahr später geht Habyarimana mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds eine Entwicklungskredit-Vereinbarung ein." "Thanushiyah Korn","00:17:09:13","00:17:46:18","Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds unterstützte das Regime mit einem Entwicklungskredit in der Höhe von 90 Millionen US-Dollar, wovon 55 Millionen auch ausbezahlt wurden. Im Gegenzug aber musste das ruandische Regime sich einem Strukturanpassungsprogramm unterordnen, das heisst, der Entwicklungskredit war an Konditionen gebunden, wie beispielsweise die Liberalisierung der Gesellschaft, Privatisierung, die Reduktion der Staatskosten usw. Einerseits führten diese starken wirtschaftlichen Veränderungen inmitten des Krieges zu einer massiven Destabilisierung des Landes." "Thanushiyah Korn","00:17:46:20","00:18:31:23","Auch soziale Leistungen an die Bevölkerung wurden gekürzt. Arbeitslosigkeit war ein zentrales Thema und insgesamt verminderte sich die Lebensqualität der Bevölkerung. Andererseits ermöglichten die Entwicklungsgelder Habyarimana, in die Militarisierung des Landes zu investieren. Also beispielsweise bestand die ruandische Armee 1990 aus ca. 5000 Soldaten und sehr wenig militärischer Infrastruktur. Nur drei Jahre später, also zwei Jahre nach Beginn dieses Programmes, wuchs die Armee um das Achtfache zu 40.000 Soldaten an, Tausende paramilitärische Truppen wurden ausgebildet, finanziert und es wurden so viele Waffen importiert, dass man jeden dritten erwachsenen Mann in Ruanda nun bewaffnen konnte." "Thanushiyah Korn","00:18:32:00","00:19:00:08","Das Regime, das unter der Wirtschaftskrise litt, konnte sich diese massive Militarisierung gar nicht leisten. Die Weltbank spielte also bei der Kriegsführung, aber auch bei den Vorbereitungen des Völkermordes eine wichtige Rolle. "Catherine Weyer" Also ohne die Entwicklungsgelder der Weltbank hätte es diesen Völkermord dieser Art nicht geben können. "Thanushiyah Korn" Nicht in diesem Ausmass. Der Völkermord dauerte 100 Tage, bis die Ruandische Patriotische Front die Herrschaft im Land an sich nehmen konnte." "Catherine Weyer","00:19:00:10","00:19:29:01","Wie viele Menschen genau starben, kann man nicht sagen. Schätzungen sprechen von 800.000 bis einer Million Toten. Etwa 3/4 der Tutsi-Bevölkerung starb in dieser Zeit. Nach dem Genozid wurde der ehemalige Tutsi-Ooppositionellenführer Paul Kagame Präsident von Ruanda. Das Land erhielt eine neue Flagge und eine neue Nationalhymne. Was hat sich sonst noch verändert im Land? "Thanushiyah Korn" Heute werden die Kategorien Hutu und Tutsi als koloniale Kategorien gesehen, die das Land gespalten haben und sogar zu einem Völkermord geführt haben." "Thanushiyah Korn","00:19:29:03","00:19:57:04","Für die Aufarbeitung des Völkermordes spielt es eine Rolle, dass die Regierung von Anfang an darauf bestand, diese Kategorien abzuschaffen, diese als kolonial zu sehen und einen nationale Identität zu schaffen. "Catherine Weyer" Laut der Historikerin Alison de Force tragen nicht nur die extremistischen Hutu die Schuld an dem Völkermord, sie nimmt auch die internationale Gemeinschaft in die Pflicht. Sie schreibt: "Einspieler" Natürlich tragen diejenigen Ruanda, die den Völkermord organisiert und durchgeführt haben, die volle Verantwortung." "Einspieler","00:19:57:06","00:20:20:13","Doch in einem Völkermord sind viele in irgendeiner Form verwickelt. In gewisser Weise fällt auch auf die Regierungen und Personen, die es unterlassen haben, das Morden zu verhüten oder ihm Einhalt zu gebieten, ein Teil der Schande zurück. Eine besondere Verantwortung trifft darüber hinaus die Mitarbeiter der Vereinten Nationen sowie die drei Regierungen, die hauptsächlich in die Vorgänge in Ruanda verwickelt waren:" "Thanushiyah Korn","00:20:20:15","00:20:47:22","Die UN Mitarbeiter, weil sie es versäumt haben, die Mitglieder des Sicherheitsrates entsprechend zu informieren und zu beraten. Belgien, weil es seine Truppen übereilt aus Ruanda zurückgezogen hat und auch für den völligen Rückzug der UN-Truppen eingetreten ist. Die USA, weil sie Geld sparen statt Leben retten wollten und die Entsendung von Hilfstruppen verzögert haben. Ferner Frankreich, das weiterhin eine Regierung unterstützt hat, die am Völkermord beteiligt war." "Catherine Weyer","00:20:47:24","00:21:14:10","Teilen Sie diese Einschätzung? "Thanushiyah Korn" Teilweise. Also in meinem Verständnis liegt die Verantwortung für den Völkermord ganz klar bei den Hutu-Extremisten, die den Völkermord geplant und auch durchgeführt haben. Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass das Verbrechen, das in 100 Tagen über 800.000 Menschenleben gekostet hat, ohne die Einmischung von internationalen Akteuren gar nicht erklärbar ist. "Catherine Weyer" Das bedeutet In Ruanda hat die internationale Gemeinschaft versagt." "Thanushiyah Korn","00:21:14:12","00:21:46:19","Genau. Viele Forschende haben bereits festgestellt, dass es im Falle von Ruanda um ein Versagen der internationalen Gemeinschaft handelt. Trotz der Völkermordkonvention von 1948 hat die internationale Gemeinschaft im Falle Ruandas nicht eingegriffen und den Völkermord verhindert. Ganz im Gegenteil. Wir haben ja darüber gesprochen, dass eine UN-Friedensmission vor Ort war. Es waren circa 2500 UN-Blauhelme vor Ort, um den Frieden, der in Arusha im August 1993 beschlossen wurde, zu erhalten." "Thanushiyah Korn","00:21:46:21","00:22:17:13","Circa zwei Wochen nach Ausbruch des Völkermordes wurden dann genau diese Friedensmission abgezogen. Nur noch 270 Soldaten verblieben im Land. Durch den Abzug der Friedenstruppen aus dem Land nahm die internationale Gemeinschaft in Kauf, dass tausende Tutsi, die zuvor Schutz bei diesen UN-Blauhelmen gesucht hatten, nun den Mördern ausgeliefert wurden. "Catherine Weyer" Was war der Grund, dass nach dem Beginn eines Genozids Blauhelme abgezogen werden?" "Thanushiyah Korn","00:22:17:15","00:22:51:12","Es gab verschiedene Gründe. Einerseits, weil belgische Soldaten ermordet worden waren und Belgien sich dafür eingesetzt hat, dass die Friedensmission abgezogen wird, um weitere Soldaten zu schützen. Das war übrigens eigentlich eine der Strategien der Hutu-Extremisten gezielt belgische Soldaten in der Friedensmission anzugreifen, um dessen Rückzug zu bewirken. Was auch im Falle funktioniert hat. Andererseits waren es Staaten wie die USA, die nicht interessiert daran war, Gelder und Personal in so eine Friedensmission zu stecken." "Thanushiyah Korn","00:22:51:18","00:23:19:10","Am Ende des Tages war das Argument, dass eine Friedensmission nur da einen Frieden erhalten kann, wo auch ein Frieden ist. Und dieser war in Ruanda zu der Zeit nicht mehr gegeben. "Catherine Weyer" Also man hat die Tutsi Bevölkerung ihrem Schicksal überlassen. "Thanushiyah Korn" Genau. "Catherine Weyer" Nach all dieser Gewalt in dem Land, nach den vielen Morden. Wie hat es Ruanda geschafft, nicht nur zu einem Frieden zu kommen, sondern zu einer Versöhnung?" "Thanushiyah Korn","00:23:19:12","00:23:53:19","Es war und ist ein langjähriger Prozess. Die ruandische Regierung ist sehr bemüht, die Versöhnung im Land aktiv voranzutreiben. Dazu gehört die Bildung, die Aufklärung darüber, wie es überhaupt zu diesem Völkermord kommen konnte. Die Regierung hat die Kategorien Hutu und Tutsi abgeschafft. Sie stehen nicht mehr im Pass und haben keine Bedeutung mehr. Sie versucht, diese Polarisierung zu überwinden. Sie klärt darüber auf, dass diese Kategorien vor allem kolonial geprägt waren und zu der Polarisierung der Gesellschaft beigetragen haben und sehr gefährlich waren, dass es überhaupt sogar zu einem Völkermord kommen konnte." "Thanushiyah Korn","00:23:53:21","00:24:22:04","Sie betonen die Gemeinsamkeiten, dass sie ja eine gemeinsame Sprache teilen, gemeinsame Kultur, Religion und eigentlich ein Land sind. Also die Regierung fördert die Vision einer nationalen Identität, in der es keine Hutu und Tutsi mehr gibt, sondern nur noch Ruander und Ruanderinnen, die gemeinsam in die Zukunft blicken. Der Fall in Ruanda zeigt auch, wie wichtig es ist, stereotypische Vorstellungen über den afrikanischen Kontinent abzubauen." "Thanushiyah Korn","00:24:22:06","00:24:58:00","Wie wir besprochen haben, als der Völkermord ausgebrochen ist, wurden vor allem Bilder von einem bestialischen, barbarischen Verbrechen verbreitet. Das von impulsiven, leidenschaftlich sich hassenden Menschen verübt wurde. So wurde lange nicht erkannt, dass es sich eigentlich um einen systematischen Völkermord handelte. Das heisst, dass wir rassistische und stereotypische Vorstellungen von Kontinenten oder Ländern überwinden müssen. "Catherine Weyer" Aber wenn wir heute auf die politische Landschaft in Europa blicken, mit dem Rechtsruck, den es auch bei den Europawahlen gab, kann man sagen: Viel weiter sind wir noch nicht." "Thanushiyah Korn","00:24:58:02","00:25:30:01","Genau. Wir stehen weiterhin vor der Aufgabe, gegen Rassismus und für Menschlichkeit und Solidarität zu kämpfen. "Catherine Weyer" Frau Korn, vielen Dank für dieses Gespräch. "Thanushiyah Korn" Vielen Dank! Outro Das war Unisonar, der Wissens-Podcast der Universität Basel. Wir freuen uns über Ihr Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht die Theologin Andrea Hofmann über die protestantische Kirche in Deutschland und welchen Einfluss diese mit ihren Predigten auf die Kriegslust im Ersten Weltkrieg hatte." "Thanushiyah Korn","00:25:30:03","00:25:30:18","Bis bald."