00:00:01:02 - 00:00:38:01 Dominique Grisard Alle haben wir ein Geschlecht, auch wenn wir sagen, wir sind non-binär. Es ist trotzdem eine Form von sich äussern, bezogen auf Geschlechtlichkeit. In der Biologie ist Konsens, dass es viele Geschlechter gibt. Auch aus dieser naturwissenschaftlichen Perspektive. Diese Zweigeschlechterordnung ist sich am Auflösen. Aber da gibt es viele Kräfte, die halten dagegen, Die wollen das nicht. Und die wollen auch etwas bewahren, was wahrscheinlich gar nie so richtig existiert hat. 00:00:38:03 - 00:01:05:06 Catherine Weyer Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissenspodcast der Universität Basel. In dieser Staffel schauen wir uns mit Expert*innen sechs Forschungsfelder an, die sich mit dem Thema Gender befassen. Die Schweiz trägt dieses Jahr den Eurovision Song Contest aus. Dank Nemo und dem Song über die Non-Binarität von Nemo. Nun könnte man denken, dass mit dem Sieg Schwung in die Debatte rund um Non-Binarität und die Akzeptanz von anderen geschlechtlichen Identitäten kommen würde. 00:01:05:08 - 00:01:30:11 Catherine Weyer Bisher ist davon allerdings kaum etwas zu sehen und hören. Im Gegenteil. Woher kommt diese Skepsis? Wieso unterteilen wir in unserer Gesellschaft noch immer so sehr nach dem binären Geschlechtersystem? Und wie könnten wir dies verändern? Darüber spreche ich mit Dominique Grisard. Sie ist Dozentin am Zentrum für Gender Studies und hat sich auf kulturwissenschaftliche Gender Studies spezialisiert. Frau Grisard, herzlich willkommen! 00:01:30:12 - 00:01:32:06 Dominique Grisard Danke. 00:01:32:08 - 00:01:44:18 Catherine Weyer Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauchen wir mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. Frau Grisard, woher kommt dieser Hass gegen Nemo? 00:01:44:20 - 00:02:12:10 Dominique Grisard Dieser Hass kommt daher, dass wir in einer doch weiterhin Zweigeschlechterwelt leben. Eine Ordnung, die wir seit der bürgerlichen Gesellschaft, das ist seit dem 19. Jahrhundert kennen. Und wir teilen diese Welt ein in Mann/Frau, aber auch sonst in entweder oder. Und das ist sehr tief sitzen. Das hat mit unserer Identität zu tun und mit fast allen Bereichen dieser Gesellschaft. 00:02:12:12 - 00:02:27:19 Dominique Grisard Und deshalb auch diese Angst und Verunsicherung, wenn eben Menschen ausscheren, quasi diese Ordnung nicht befolgen und sich anders orientieren. Und das passiert zunehmend mehr heutzutage. 00:02:27:21 - 00:02:49:22 Catherine Weyer Eigentlich ist ja Nemo ein sehr gutes Beispiel. Es ist jetzt nicht das da irgendwelche, dass eine Gefahr von dieser Person ausgehen würde. Im Gegenteil: Versprüht sehr viel Lebensenergie, gewinnt sogar den Eurovision Song Contest und nicht mal das reicht aus, dass man auf Menschen mit mit einer anderen geschlechtlichen Identität zugehen würde. 00:02:50:00 - 00:03:15:14 Dominique Grisard Ja, ich sehe das nicht ganz so kritisch. Ich denke, wenn wir das ein bisschen umfangreicher anschauen, auch historisch zurückgehen, müssen wir einfach anerkennen, dass diese Prozesse lange dauern. Das braucht seine Zeit, und es ist eine gesellschaftliche Debatte und Auseinandersetzung im Gange. Es gibt so viele Beispiele, wo wir sehen, das ist, das hat mit unserer Zeit zu tun, dass sich da was auflöst, diese Zweigeschlechterordnung ist sich am Auflösen. 00:03:15:16 - 00:03:52:18 Dominique Grisard Aber da gibt es viele Kräfte, die halten dagegen, die wollen das nicht und die wollen auch etwas bewahren, was wahrscheinlich gar nie so richtig existiert hat. Aber die wollen bewahren, und das sind diese konservativen Kräfte. Das muss man durchaus ernst nehmen. Wir leben in eine polarisiert Gesellschaft und da gibt es beides, die progressiven Kräfte, die sehr wohl Non-Binarität befürworten und da positiv das betrachten und dann doch eben viele, die Angst davor haben, verunsichert sind und etwas anderes wollen. 00:03:52:20 - 00:04:00:18 Catherine Weyer Es gab auch zahlreiche Artikel zu Nemo und dem Eurovision Song Contest. Wir hören jetzt einen Ausschnitt aus einem Watson Artikel. 00:04:00:20 - 00:04:29:12 Einspieler Nemo holt den ESC in die Schweiz. Das kann ja heiter werden. Nemo hat alle verzaubert. Kommentierte die Berner Zeitung am Montag den Erfolg des Show-Talents aus Spiel auf ihrer Frontseite. Im Gefühlschaos sind solche Schlagzeilen legitim. Aber dass die ganze Schweiz in Jubel ausgebrochen wäre, ist masslos übertrieben. Viele stossen sich an Nemos offensiv zelebriert, der Identität als non-binäre Person. 00:04:29:13 - 00:05:04:12 Einspieler Das gilt besonders für jene Kreise, die sich gern als Superpatrioten inszenieren. Oder für Journalistinnen und Journalisten, die mit Vorliebe gegen alles lästern, was irgendwie welk aussieht. Ihnen scheint es, ob Nemos selbstbewusstem Auftritt, der Song, das Kostüm und den ungenierten Forderungen an die Politik, die Sprache verschlagen zu haben. Andere halten sich weniger zurück. Das zeigen die vielen Hasskommentare gegen Nemo in sozialen oder klassischen Medien, etwa unter einem Meinungsartikel der NZZ, der sich kritisch zur Zulassung eines dritten Geschlechts in der Schweiz äussert. 00:05:04:14 - 00:05:30:07 Einspieler Es lässt sich nicht bestreiten, dass der damit verbundene Aufwand enorm wäre. Wie die NZZ schreibt. Das aber darf kein Grund für Diskussionsverweigerung sein, auch wenn viele ein Problem mit einer Welt haben, die nicht strikt nach Mann und Frau unterscheidet. Der Nationalrat hat im letzten Herbst in alter Zusammensetzung dem Bundesrat einen entsprechenden Auftrag erteilt. Es zeichnen sich schwierige und heftige Debatten ab. 00:05:30:09 - 00:05:34:02 Einspieler Auch für Nemo selbst. 00:05:34:03 - 00:05:40:05 Catherine Weyer Schwierige Debatten. Aber glauben Sie trotzdem, dass es in der Schweiz irgendwann ein drittes Geschlecht geben wird? 00:05:40:07 - 00:06:06:15 Dominique Grisard Es geht ja um den Eintrag wie ein drittes Geschlecht. Und ich bin ja keine Zukunftsforscherin, sondern Geschlechterforscherin und Historikerin. Deshalb kann ich jetzt nicht in die Zukunft schauen. Aber ich sehe jetzt, dass es eben viel Debatte gibt, dass wir auch schwierige Diskussionen führen müssen. Das wird zunehmend schwierig heutzutage, weil wir so polarisiert aufgestellt sind. Aber ich denke, genau darin liegt das Potenzial. 00:06:06:19 - 00:06:34:07 Dominique Grisard Es ist auch ein demokratisches Potenzial der Auseinandersetzung und des sich Wiederfindens und eben weiterhin in der Diskussion zu bleiben, gerade bei diesen Themen, die wirklich mit allen von uns zu tun haben. Weil alle haben wir ein Geschlecht, auch wenn wir sagen, wir sind nun binär. Es ist trotzdem eine Form von sich äussern, bezogen auf Geschlechtlichkeit. Und ich denke, deshalb ist es so wichtig, dass wir dranbleiben und diese Themen behandeln. 00:06:34:09 - 00:06:57:22 Dominique Grisard Das Wichtige ist ja, dass eine Vielfalt lebbar ist, also die bereits ja hier existieren, aber dass die nicht eben ständig Diskriminierungen ausgesetzt sind. Das denke ich, ist das Zentrale, dass wir in einer Welt leben, in der eben viele leben können. Und ich denke, dahin werden wir vielleicht schon kommen. Ja. 00:06:58:00 - 00:07:06:19 Catherine Weyer Sie sind Dozentin am Zentrum für Gender Studies. Welche Rolle spielten die Gender Studies in dieser ganzen Debatte? 00:07:06:21 - 00:07:45:23 Dominique Grisard Das ist immer schwierig: Uns wird immer viel Macht zugesprochen, die wir hätten, in der Art und Weise, wie wir den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen. Und da bin ich jetzt nicht so sicher, wie viel Einfluss die Gender Studies haben. Das Wichtige, was wir leisten, ist, dass wir auch diese Verhältnisse erforschen und was gerade jetzt passiert, diese Diskussionen, diese Diskurse, dass wir darüber forschen, diese analysieren und einordnen und dass wir unseren Studierenden lernen, das kritische Reflektieren darüber und das auch zu vermitteln. 00:07:46:01 - 00:08:18:11 Dominique Grisard Und das machen wir zurzeit. Jetzt gerade ist es diese Vermittlungsarbeit, in dem wir einen Pride Stadtrundgang ausarbeiten, der hoffentlich dann während dem ESC und auch danach Teil des Programms wird, das der Stadtrundgänge der Stadt Basel. Und da geht es um Wissensvermittlung, um diese Geschichte der LGBTIA+ Community in Basel. Weil ich denke, gerade diese Wissensvermittlung ist so wichtig bei Themen, die eben viel Unsicherheit und Angst auslösen. 00:08:18:11 - 00:08:20:05 Dominique Grisard Bei den Menschen. 00:08:20:07 - 00:08:25:01 Catherine Weyer Können Sie uns schon etwas erzählen von dieser Pride Tour? Was man da erfahren wird? 00:08:25:03 - 00:08:45:04 Dominique Grisard Ja, wir sind jetzt am Proben. Es ist sehr, sehr intensiv. Viel der queeren Geschichte hat sich im Kleinbasel abgespielt, aber sicher nicht nur. Wir zeigen auch ab und zu auf die Universität zum Beispiel war auch da, also nicht nur die Gender Studies, auch vorher was In der Geschichte ist da einiges Spannendes passiert. 00:08:45:06 - 00:08:49:14 Catherine Weyer Hat Sie etwas überrascht, jetzt in der Recherche für diese Pride Tour? 00:08:49:16 - 00:09:20:00 Dominique Grisard Überrascht hat mich, dass doch noch viele Kapitel nicht aufgearbeitet sind. Gerade bezogen auf Basel. Ich denke, die schwule Männergeschichte, da gibt es schon einiges und das ist auch sehr, sehr spannend. Aber was andere Identitäten auch Lesben zum Beispiel, aber vor allem dann auch eben Non-Binarität, queere Menschen, queere Menschen of Color, all diese Bereiche, da gibt es noch ganz, ganz wenig. 00:09:20:02 - 00:09:27:13 Dominique Grisard Und da ich glaube, das ist eine Chance für unsere Studierenden, daran zu bleiben und sich diesen Themen zu widmen. 00:09:27:15 - 00:09:34:04 Catherine Weyer Ist auch spannend, wenn das sichtbar gemacht werde. Ich denke, viele Leute, die in Basel auch aufgewachsen sind, wissen noch nichts davon. 00:09:34:06 - 00:09:59:06 Dominique Grisard Ja, genau darum geht es uns auch bei dieser Pride Tour. Das spricht nicht nur die Leute an, die jetzt extra für den ESC anreisen, sondern es geht definitiv auch darum, eben alle anzusprechen, die hier in Basel wohnen, die vielleicht auch unsicher sind bei diesem Themen oder eben nicht genau wissen, was unter dem Akronym und der Abkürzung LGBTIQIA+ sich verbirgt. 00:09:59:08 - 00:10:11:03 Dominique Grisard Ja, die wollen wir ansprechen. Und ich denke genau, wir werden auch nicht so ein Spezialtourdiskurs fahren, sondern wirklich viel auch vermitteln und erklären. 00:10:11:05 - 00:10:16:08 Catherine Weyer Stossen Sie auf offene Ohren, wenn Sie über Gender Studies sprechen? 00:10:16:10 - 00:10:45:08 Dominique Grisard Je nach Kontext stosse ich auf offene Ohren und auch nicht. Es ist definitiv ein Thema und auch eine Disziplin oder ein Fach, das polarisiert, wie ich vorhin angesprochen habe. Eben allgemein. Genderthemen polarisieren und da kann man die Gender Studies auch nicht ausnehmen. Häufig wird es als Ideologie beschrieben, als etwas, das eben eigentlich nicht wissenschaftlich sei. Und das ist insbesondere für unsere Studierenden manchmal sehr schwierig. 00:10:45:08 - 00:11:14:20 Dominique Grisard In der Konfrontation mit auch ihren Eltern, zum Beispiel. Aber ich denke, es wechselt ein bisschen, das wir sehen ein Wandel, dass doch mehr Offenheit auch da ist, dass Eltern um ja da Besseres mehr Verständnis haben, auch mehr wissen, teilweise selber auch schon wenigstens Feministin waren oder sonst sich mit den Themen auseinandergesetzt haben. Also ich denke, da ist schon auch ein Wandel sichtbar. 00:11:14:22 - 00:11:26:09 Catherine Weyer Ich nehme an, es spielt auch das Halbwissen eine grosse Rolle, dass man mal von dem Unterschied zwischen Geschlecht und Gender gehört hat, aber dann hört es dann relativ schnell auf, was die Gender Studies so erforschen. 00:11:26:11 - 00:12:00:04 Dominique Grisard Ja, man kann es Halbwissen nennen. Ich versuche immer zu verstehen, weshalb die Leute eben Angst haben oder Unverständnis oder eher ablehnend einer Sache entgegen stehen und möchte die Menschen auch ernst nehmen und die auch abholen. Warum eben das bei ihnen diese Antipathie oder diese. Ja, das soll nicht hier sein oder nicht an der Uni. Diese Art Reaktion. Ich möchte das verstehen, weil ich denke, dann verstehen wir auch unser Fach besser und weshalb es eben dieses Fach auch braucht. 00:12:00:06 - 00:12:17:10 Catherine Weyer Ihr Fach hat vor einiger Zeit auch einen Blick auf den Schweizer Kulturbetrieb geworfen. Es ging da um eine Studie, wie die Geschlechterverteilung in der Kultur ist und es gab dazu auch Medienartikel unter anderem in der Basellandschaftlichen Zeitung. 00:12:17:12 - 00:12:52:08 Einspieler Eine Studie belegt: Die Schweizer Kultur ist männlich. Eine Studie der Universität Basel im Auftrag von Pro Helvetia zählt die Frauen in Schweizer Kulturbetrieben. Es sind wenige. Die Zahlen sind eindeutig. Die Zahlen sind tief, Die Zahlen überraschen nicht. Knapp 29 % der strategischen Leitungspositionen belegen Frauen. Die Intendanz ist in 35 % der befragten Festivals und Kulturhäusern weiblich. Die Geschäftsleitungen sind allerdings mit einem Frauenanteil von 42 % annähernd ausgeglichen besetzt. 00:12:52:10 - 00:13:17:15 Einspieler Unterschiede gibt es aber nicht nur zwischen den Sparten. Auch beim Lohn zeichnet sich eine Schere ab. Je grösser die Institution ist, desto weniger Frauen gibt es auf den Chefetagen, hält die Studie fest und zitiert dazu anonymisiert eine befragte Person. Bei den kleinen Museen, bei denen es um wenig Geld geht, dort sind viel mehr Frauen an der Spitze, bei den Museen, bei denen es um richtig viel Geld geht. 00:13:17:17 - 00:13:45:01 Einspieler Da sind die Frauen noch immer in der Minderzahl. Was sich auf den Leitungspositionen abzeichnet, spielt sich auch auf den Bühnen ab. Auf ihnen tanzen, solieren und lesen zwar annähernd gleich viele Frauen wie Männer. Dennoch herrsche nach wie vor ein Kult um das männliche Genie. Lediglich 15 % der aufgeführten Theaterstücke schrieben Autorinnen. Kompositionen von Frauen verschwinden in der Klassik mit nicht einmal 2,5 %. 00:13:45:06 - 00:14:03:15 Einspieler Das mag man teilweise mit historischen Entwicklungen begründen können. Es sind schuldigt, aber nicht in Zukunft daran nichts zu ändern. Geradezu still wird es um die Frauen bei Pop, Rock und Jazzkonzerten. Maximal 12 % sind Künstlerinnen. 00:14:03:17 - 00:14:22:06 Catherine Weyer Also wenn man jetzt die männliche Seite hört, dann sind 65 % Intendanten und 85 % der Theaterstücke beispielsweise werden von Männern geschrieben. Im Artikel wird das männliche Genie angedeutet. Und worum geht es da genau? 00:14:22:08 - 00:15:01:21 Dominique Grisard Ja, also diese Forschung, da habe ich auch mit geforscht und wir sind weiter dran an diesem Thema, weil wie gesagt, das ist noch lange nicht im Lot in der Parität, auch wenn es ja nicht unbedingt 50 50 sein muss. Doch in einer gewissen Chancengleichheit sollte da doch sein und ein Teil davon ist sicher dieser männliche Kanon, also der Kanon, sprich dass man weiterhin Picasso-Ausstellungen sieht, dass man weiterhin Faust auf der Bühne spielt, vor allem oder eben männliche Interpreten in der Musik wie Beethoven und Bach. 00:15:01:23 - 00:15:37:20 Dominique Grisard Und das heisst ja nicht, dass man mit denen weg tun soll. Und dennoch wollen wir verstehen, weshalb das so nachhaltig ist, dieser männliche Kanon. Weil, weshalb er so stark an diesen ja sehr markanten Männerfiguren bleiben und daran beteiligt ist sicher dieses Bild also ein Symbolbild des männlichen Genies, so die Vorstellung. Ein Künstler, und ich sage das absichtlich in der männlichen Form, ist jemand, der lebt mit Haut und Haaren für seine Kunst, ist alleine in seinem Kämmerchen und schafft diese Kunst aus sich selbst heraus. 00:15:37:21 - 00:16:04:11 Dominique Grisard Er braucht gar keine anderen. Das ist weiterhin unsere Vorstellung. Das geht einher mit natürlich einer Vorstellung: Ja, diese Person hat nicht nur eine Familie oder wenn, dann ist sie irgendwo still und macht nix. Aber diese Künstler Figur, dieses Genie, die hat nicht noch diese Care-Arbeit-Funktion der kann nicht auch noch Fürsorgearbeit leisten. Das muss dann jemand anders, wenn er überhaupt das hat. 00:16:04:13 - 00:16:41:15 Dominique Grisard Der muss eigentlich auch sehr flexibel sein, ständig bereit und ständig eigentlich ja eigentlich er brennt ja für die Kunst und auch Nomadisches immer, überall am Reisen sehr mobil. Das sind alles Punkte, die dann tatsächlich im realen Leben viel einfacher zu leben sind. Für Menschen tendenziell Männer eben ohne Care-Verantwortung, die auch gewisse Mittel zur Verfügung haben, dass sie ständig reisen können und eben keine Verpflichtungen, die sie zu Hause behalten. 00:16:41:15 - 00:17:04:04 Dominique Grisard Und vor allem auch abends. Ich meine: Wann sind die Proben? Und vor allem wann sind auch die Aufführungen im Theater oder im Konzert? Ist ja meistens auch abends. Und ja, diese verschiedenen Gründe haben mit diesem männlichen Genie zu tun und führen dazu, dass weiterhin doch viel mehr Männer aktiv sind in der Kunst. 00:17:04:06 - 00:17:13:16 Catherine Weyer Ist sich der Kulturbetrieb dessen bewusst oder ist das etwas, das sich historisch so entwickelt hat und man das gar nicht mehr hinterfragt? 00:17:13:18 - 00:17:51:22 Dominique Grisard Also das hat sich historisch so entwickelt, ohne Frage. Und dieses Bild des Künstlers, das ist schon sehr nachhaltig, prägt das viele Menschen, die Schwierigkeiten haben zu verstehen. Wenn jemand dann halt sagt Ja, ich muss jetzt die Probe abbrechen, weil mein Kind ist krank zum Beispiel oder ich muss meine betagte Mutter pflegen. Das ist schon sehr nachhaltig geprägt, dass auch zum Beispiel überhaupt Mutterschaft ist etwas, das weiterhin das Bild des Künstlers beschädigt, als richtig beschädigt und viele dann taxiert werden. 00:17:51:22 - 00:18:34:22 Dominique Grisard Ach, sie ist zu weich, jetzt wo sie Mutter ist. Und es gibt da ganz viele verschiedene Vorstellungen, dann, wie das eigentlich nicht zu vereinbaren ist. Und dennoch gibt es eine gewisses Bewusstsein mittlerweile, vor allem auch bei denjenigen, die dann irgendwann aus dem Kulturbetrieb rausfallen. Aufgrund von Vereinbarkeitsfragen, aber auch zum Teil eben weil ja auch das Geld fehlt. Das ständige Anträge schreiben zum Beispiel ist auch schwierig, also verschiedene Momente eben, die dann auch ein Bewusstsein schärfen und mittlerweile auch viel diskutiert wird über eben den Kulturbetrieb und wie einheitlich der dann doch ist. 00:18:34:23 - 00:18:45:03 Dominique Grisard Das ist schon sehr homogen. Wer eben Kultur schaffen kann und auch wer auf den Bühnen sichtbar wird oder in den Ausstellungen. 00:18:45:05 - 00:19:06:20 Catherine Weyer Und ich nehme an, das multipliziert sich ja dann auch. Also wenn Männer in Leitungsfunktionen sind, zum Beispiel im Theater und ihr Werdegang so akzeptiert ist, dann wird auch keine Toleranz da sein für eine Frau mit beispielsweise Kindern mit Care -rbeit, um da einzusteigen. Da heisst es dann Entweder du performst oder du musst wieder gehen. 00:19:06:22 - 00:19:30:15 Dominique Grisard Absolut. Und das sind weiterhin Vorstellungen auch eben, was man alles tun sollte für die Kunst ist die Vorstellung, man sollte eigentlich leiden. Es braucht diese Leidenschaft. Ob das ist auch damit gemeint, eben ein gewisses Leiden, das man in Kauf nehmen sollte, wenn man eben diesen Weg einschlägt und das weiterhin diese Forschung eben auch. Ja, wenn man da nicht bereit ist, dann ist man halt draussen. 00:19:30:17 - 00:19:58:13 Dominique Grisard Das soll ja auch nicht jedem möglich sein, Kunst oder Kultur zu schaffen. Und das sind wirklich viele alte Bilder, die überarbeitet werden müssen, die bearbeitet werden müssen. Ich denke, da ist auch vieles, das langsam abgelegt wird. Aber strukturell sind neue Bilder noch nicht wirklich verankert und das macht es schwierig. Es kann sein, dass es jetzt eben weibliche Museumsdirektoren gibt, es jetzt einige zum Beispiel. 00:19:58:13 - 00:20:26:00 Dominique Grisard Das ist sehr, sehr erfreulich, aber da ist nichts strukturell verankert. Das heisst, es könnte auch bei der nächsten Berufung, bei der nächsten Wahl eine andere Person wieder Männer sein. Und ich denke, daran muss man bleiben. Eben, dass auch diese anderen Wege auch, wie man leitet, nicht nur wer leitet, aber auch wie man leitet, eben vielleicht auch ein bisschen kooperativer, fürsorglicher leiten. 00:20:26:02 - 00:20:33:19 Dominique Grisard Auch das müsste eben dann auch strukturell verankert werden, damit es nicht einfach an Individuen hängen bleibt. 00:20:33:21 - 00:20:41:08 Catherine Weyer Aber jetzt etwas provokativ gefragt: Was bringt es denn der Kunst, wenn sie weiblicher wird? 00:20:41:10 - 00:21:05:11 Dominique Grisard Es geht ja darum bei der Kunst, dass sie auch eine gewisse Gesellschaft reflektiert und die Vielfalt unsere Gesellschaft und das heisst, sie muss nicht nur weiblich werden, sondern sollte allgemeiner die Vielfalt unsere Gesellschaft reflektieren. Und da würde ich jetzt nicht sagen, das ist ein Erbsenzählen, dass genau gleich viele Vielfalten, die wir in der Gesellschaft sehen, auch in den Künsten sichtbar sein sollte. 00:21:05:11 - 00:21:38:02 Dominique Grisard Aber definitiv mehr als jetzt. Und ich glaube, das Bewusstsein ist schon auch da, dass da eben etwas reproduziert wird, was ganz auch wenige Menschen anspricht und das Interesse ja schon da ist auch, dass wir viele ansprechen mit der Kunst und Kultur. Ja, und deshalb denke ich, brauchen wir das und. Ja, eine gewisse Offenheit über diesen gesellschaftlichen Wandel, der auch in den Kulturbetrieben mitgemacht werden sollte. 00:21:38:04 - 00:21:41:18 Catherine Weyer Wie offen sind denn die Kulturbetriebe für diesen Wandel? 00:21:41:20 - 00:22:19:12 Dominique Grisard Viele davon sind sehr offen und sind sehr bereit und scheitern dann an alteingefahrenen Wegen. Ja, das ist sehr viel Bemühung, da zum Beispiel eben auch anders zu leiten. Wir sehen jetzt schon, dass ein Versuch da ist, die Programmation anders zu gestalten. Zum Beispiel im Kunstmuseum Basel hat wir eine Ausstellung zu Panafrikanische Kunst «When we see us» und das war ein wirklich bewusster Entscheid, andere Kunst endlich einmal auch in Basel zu zeigen. 00:22:19:14 - 00:22:43:18 Dominique Grisard Gleichwohl gibt es auch andere Beispiele, wo man sieht ja, das ganze Jahresprogramm kam raus und nur Musik von männlichen Komponisten wird gespielt und da gibt es schon zwischen den Sparten grosse Diskrepanz, dass es grosse Unterschiede und ich denke, es ist ein Prozess und wir müssen dran bleiben. 00:22:43:20 - 00:22:50:11 Catherine Weyer Wagen Sie eine Einschätzung, wann es besser sein wird in der Kultur? 00:22:50:13 - 00:23:20:01 Dominique Grisard Das Wichtige ist und daran sind wir jetzt: Wir haben ein Monitoring entwickelt. Bezogen auf die Geschlechterverhältnisse und Diversität in Kulturbetrieben. Das heisst, mit diesem Monitoring könnte man eben Langzeitentwicklungen untersuchen und überprüfen. Und das wäre extrem wichtig, weil was wir gemerkt haben in unserer Studie ist, A gibt es ganz wenige Daten und deshalb haben wir wirklich statistisch Daten gesammelt. 00:23:20:03 - 00:23:56:09 Dominique Grisard Aber das müsste jetzt flächendeckend für die Schweiz passieren und regelmässig, in regelmässigen Abständen immer wieder, um das natürlich auch überprüfen zu können. Gleichzeitig braucht es auch qualitative Forschung und das macht mir auch. Interviews, die wir führen, zum Beispiel mit Leitungspersonen in den Kulturbetrieben, um zu fragen Ja, an was fehlt es, wo hapert es? Warum? Eben hat man versucht eine kollektive Leitung und hat dann das aber schnell wieder abgebrochen, dieses Projekt, also wo sind die Schwierigkeiten? 00:23:56:11 - 00:24:06:05 Dominique Grisard Beides ist notwendig, also die Zahlen und dann aber auch eben die Einschätzungen, die wir nur auch über die qualitative Forschung kriegen. 00:24:06:07 - 00:24:24:04 Catherine Weyer Es gibt ja immer wieder Phasen, wo man sehr progressives, wo es vorwärts geht und dann kommen wieder Momente, wo man das Gefühl hat, jetzt gibt es wieder einen riesigen Rückschritt und jetzt diskutiert man wieder über ein Thema, das man doch eigentlich schon vor 30 Jahren durchgekaut hat. Wie frustrierend ist das für Sie als Forscherin? 00:24:24:06 - 00:25:01:18 Dominique Grisard Ich find's eigentlich gar nicht frustrierend. Es ist wirklich auch Teil von, wie gesellschaftliche Prozesse ablaufen. Und wir sehen ja heute tatsächlich auch vieles, das in Frage gestellt wird, bezogen auf Geschlechtervielfalt, Geschlechtergleichheit und Diversität. Vieles, das ja wahrscheinlich abgebaut wird und dann wieder in viel Knochenarbeit, hoffentlich, dann wieder aufgebaut werden kann. Aber ich denke, es ist kein Verlust, sondern es sind ja Prozesse, gesellschaftliche, Kräfteverhältnisse, Machtverhältnisse. 00:25:01:20 - 00:25:28:13 Dominique Grisard Und das ist genau etwas, das wir in der Geschlechterforschung natürlich genau immer wieder analysieren. Ist eben, wie sind die Machtverhältnisse beschaffen, wo treiben die Kräfte hin und wir dann auch kritische Reflexion und Einschätzungen liefern können. Eben was auch notwendig wäre, um eben eine gleiche, egalitäre Gesellschaft zu haben. Und dem möchte ich doch festhalten Normativ. 00:25:28:15 - 00:25:32:17 Catherine Weyer Glauben Sie, dass wir diese Machtverhältnisse irgendwann umkehren können? 00:25:32:19 - 00:26:01:17 Dominique Grisard Ich glaube, Machtverhältnisse sind immer im Wandel und immer in Bearbeitung, auch wenn es manchmal so scheint, als ob sie eben zurückgehen und bewahrt werden. Es ist eine Aushandlung da und ich bin grosser Zuversicht, dass das Rad nicht komplett zurückgedreht wird. Auch in der aktuellen Zeit. Ich denke, es gibt auch zu viele Menschen, die dagegenhalten würden, die auch viel verlieren würden oder es bereits tun. 00:26:01:19 - 00:26:31:15 Dominique Grisard Gerade bezogen auf Geschlecht ist eben zurzeit viel Hass da. Und da denke ich gibt es auch von den Menschen die Allies, also die eigentlich einfach solidarisch sind mit Geschlechtervielfalt, mit Transgender Menschen, inter geschlechtlichen Menschen und non-binären Menschen, dass die sich auch bemühen und aktiv werden und diese Solidarität auch laut und deutlich aussprechen. 00:26:31:17 - 00:26:58:23 Catherine Weyer In der Diskussion rund um Gender-Vielfalt oder eben Binarität berufen sich ja viele Leute darauf, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Und bei den Gender Studies gibt es ja nicht diese klaren Grenzen, sondern da ist alles sehr fluide und es gibt ganz viele verschiedene Möglichkeiten. Ist das eine Schwäche von Ihrem Fach, dass Sie sich nicht auf so klare Definitionen festlegen können? 00:26:59:00 - 00:27:36:12 Dominique Grisard Also wenn wir historisch schauen würden, würden weniger bestreiten, dass es eine Geschlechterordnung gibt und gab seit dem 19. Jahrhundert, wo das sich sicher stark etabliert hat. Worin hat sich das herausgebildet? Und diese Geschlechterordnung ist binär organisiert. Das mit genau zwei Geschlechtern, und da wurde auch die Naturwissenschaften kamen da ja auch zentral auf als Leitdiskurse. Und ja, mit denen wurde auch diese Zweigeschlechterordnung legitimiert bewiesen. 00:27:36:14 - 00:28:10:12 Dominique Grisard Mittlerweile ist auch die Naturwissenschaftsforschung an einem anderen Punkt. Wenn wir jetzt biologische Forschung lesen und das kommt leider in der Populärwissenschaft dann nicht so zum Zuge. Das wird nicht so sichtbar. Aber in der Biologie ist Konsens, dass es viele Geschlechter gibt, auch aus dieser naturwissenschaftlichen Perspektive und eben eigentlich weder eins, wie man gedacht hat im Mittelalter ist man vor einem Geschlecht ausgegangen, da dachte man, das sei die Vagina, sei einfach ein eingekehrter Penis. 00:28:10:13 - 00:28:48:05 Dominique Grisard Und dann eben in der bürgerlichen Gesellschaft, die man von zwei Geschlechtern aus. Und ich denke mal, wenn man jetzt die naturwissenschaftliche Forschung anschaut, dann gehen die eben von einer Geschlechtervielfalt aus. Und so kann man eigentlich zeigen, wie das historisch sich auch immer wieder verändert. Unser Verständnis von Geschlecht. Aber es ist sehr wirkmächtig. Und natürlich ist auch diese Zweigeschlechterordnung, auch wenn sie jetzt langsam am sich auflösen, ist, ist sie weiterhin sehr, sehr wirkmächtig und löst noch viel Leiden aus für sehr viele Menschen, die eben nicht dieser Ordnung entsprechen. 00:28:48:07 - 00:28:53:20 Catherine Weyer Was macht Ihnen Hoffnung, dass es besser werden wird in Bezug auf die Geschlechter? 00:28:53:21 - 00:29:33:04 Dominique Grisard Die Hoffnung macht mir die Gender Studies, dass es die gibt und dass wir hier forschen können über die Geschlechter. Und das heisst, dass wir auch über die Zweigeschlechterordnung forschen. Das tun ja sehr wohl gerade all die Historiker*innen forschen vor allem auch über eben diese Wirkmächtigkeit in den verschiedenen Bereichen. Aber es gibt auch viel andere Forschung, auch Queerforschung, Transgenderforschung, die sehr viel Wichtiges zutage bringt und auch mit, zusammen mit transgender Menschen, aufzeigt, eben was noch zu tun ist. 00:29:33:09 - 00:29:44:00 Dominique Grisard Und ich denke, das ist der richtige Weg, um auch eben diese Gesellschaft gerecht zu werden, die doch eben eigentlich vielfältig ist. 00:29:44:02 - 00:29:45:21 Catherine Weyer Dominique Grisard, vielen herzlichen Dank! 00:29:45:23 - 00:29:48:22 Dominique Grisard Danke! 00:29:49:00 - 00:30:15:20 Catherine Weyer Das war Unisonar, der Wissenspodcast der Universität Basel. Wir freuen uns über euer Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht die Rechtswissenschaftlerin Sandra Hotz über die langsam mangelnden Mühlen des Schweizer Rechts, wieso Männer und Frauen trotz Gleichberechtigungsartikel ungleich behandelt werden und wieso es nur eine Frage der Zeit ist, bis es ein weiteres juristisches Geschlecht neben Mann und Frau geben wird. 00:30:15:22 - 00:30:16:13 Catherine Weyer Bis bald.