Ein Rollkoffer voller Mathematik
Mit der «Wissensbox» will die Universität Basel Wissenschaft für Schülerinnen und Schüler der Primarstufe erfahrbar machen. Doktorand Yannik Gleichmann war bei einer dritten Klasse in Bottmingen auf Besuch.
24. Juni 2019
Es ist zehn nach acht, Unterrichtsbeginn für die dritte Primarklasse im Burggartenschulhaus Bottmingen. Eine Schülerin mit blonden Haaren steht vor die Klasse und liest vor: «Heute steht auf dem Stundenplan: Wissensbox, Musik und Schwimmen», dann kehrt sie an ihren Platz zurück. Für die ersten zwei Lektionen ist heute Yannik Gleichmann zuständig, Doktorand am Departement Mathematik und Informatik der Universität Basel. Zusammen mit der Assistentin Sara Bagladi wird er den 23 Schülerinnen und Schülern, alle zwischen acht und neun Jahre alt, die Welt der Mathematik näherbringen.
Mit dabei hat er die Wissensbox, einen silbrigen Koffer auf Rollen, in dem alle Requisiten für sein Vorhaben verpackt sind. Die Wissensbox ist ein neues Angebot der Universität Basel mit dem Ziel, wissenschaftliche Forschung für Primarschülerinnen und -schüler erlebbar zu machen. Dass Doktorierende diesen Unterricht durchführen, ist schweizweit bisher einzigartig.
«Die Kinder haben bestimmt mit einem grauhaarigen, bärtigen Professor gerechnet», scherzt die Lehrerin Romy Oetiker. Mit dieser Vorstellung hat der 26-jährige Yannik Gleichmann so gar nichts gemein. Genau das ist laut Bea Gasser, Leiterin Marketing und Event der Universität Basel auch das Ziel des Projekts: den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Die Wissensbox, erklärt Gasser, sei als Erweiterung der bereits seit 2004 existierenden Kinder-Uni gedacht, die immer weit im Voraus ausgebucht ist. «Mit dem Angebot wollen wir Kinder aus allen Schichten erreichen», sagt Gasser. «Das funktioniert am besten, wenn wir direkt in die Schulen gehen.»
Mathematik ist überall
Yannik Gleichmann beginnt den Unterricht mit einer Frage: «Wo seht ihr in eurem Alltag überall Mathematik?» Ein paar Hände gehen nach oben. «Im Laden an der Kasse», «In der Schule» oder «In meinem Kopf» geben die Kinder zur Antwort. Wie die meisten Laien verbinden auch sie Mathematik vor allem mit Zahlen und Rechnen. Gleichmann hilft ihnen auf die Sprünge. «Mathematik ist in sehr vielen Dingen, vieles würde ohne sie nicht funktionieren. Dank ihr könnt ihr Nachrichten auf dem Smartphone verschicken, dank ihr kann man sicher mit Kreditkarte bezahlen. Auch in einem Flugzeug oder in Computerspielen steckt Mathematik.»
«Heute beschäftigen wir uns vor allem mit Mustern», fährt Gleichmann fort und hängt nacheinander Bilder an die Wandtafel, in denen sie verschiedene Muster erkennen sollen: ein Schachbrett, ein Gartenzaun, eine Sonnenblume, Pflastersteine. Die Schülerinnen und Schüler ringen mit weit in die Luft gestreckten Zeigefingern um die Aufmerksamkeit des Dozenten und wollen eine Antwort geben. Als nächste Aufgabe müssen sie selber auf Mustersuche gehen. Ausgerüstet mit einem Klemmbrett, Papier und Bleistift verteilen sie sich aufgeregt im Schulhaus und bringen fünf Minuten später verschiedene Zeichnungen zurück. Gleichmann zeigt an ein paar Beispielen, wie man in den Mustern Symmetrien erkennen kann.
Auch bei den nächsten Themen werden die Schülerinnen und Schüler stets aktiv mit einbezogen. Etwa wenn es darum geht, ein Puzzle nach der Penrose-Parkettierung zusammenzusetzen oder ein Tetraeder zu falten. «Ich wusste, dass ihnen das gefällt», sagt Romy Oetiker. «Sie lieben Geometrie.» Ausserdem handle es sich um eine sehr leistungsstarke, ambitionierte Klasse. «Die Kinder werden sicher noch zuhause weiter falten und puzzeln.» Die Lehrerin hat den Flyer zu den Wissensboxen an der Messe «tunBasel» gesehen und war sofort interessiert. «Es ist immer gut, wenn zur Abwechslung jemand anderes als die gewohnte Lehrperson da vorne steht.»
Einblick in die Forschung
Dass Doktorierende und nicht etwa Studierende den Unterricht leiten, ist so gewollt. Bea Gasser erklärt: «Es sollen Personen sein, die bereits in der Universität verortet sind, damit die Schülerinnen und Schüler sich ein besseres Bild von Forschenden machen können.» Deshalb ist ein weiterer Programmpunkt der Wissensbox auch die persönliche Vorstellung der Dozierenden. Rund eine Viertelstunde versucht Yannik Gleichmann an diesem Morgen der Klasse sein Forschungsfeld zu erklären.
«In meiner Forschung beschäftige ich mich mit dem Thema Wellen», beginnt er. «Was für Wellen kennt ihr?» Die erste Antwort kommt prompt: «Tsunamiwellen», sagt eine Schülerin. «Schallwellen», sagt ein anderer und Gleichmann ergänzt mit elektromagnetischen Wellen, was den Kindern weniger zu sagen scheint. Gespannt hören sie zu, als er von der Orientierungsmethode der Fledermäuse mittels Schallwellen erzählt. Schliesslich wird es etwas abstrakter als er erklärt, wie man mit einem Netz aus Sendern und Empfängern und mithilfe von Schallwellen unbekannte Gegenstände im Boden orten lassen kann.
Bei der abschliessenden Fragerunde sind die Kinder an überschaubaren Dingen interessiert: «Ist es schwierig an der Universität?», fragt ihn einer und ein anderer: «Was willst du einmal werden?» Die letzte Frage aber hat eine Schülerin: «Hier auf dem Aufgabenblatt steht: Mathematik zum Anfassen. Was bedeutet das?» Gleichmann und Oetiker schmunzeln. «Genau das, was du jetzt zwei Lektionen lang erlebt hast.» Die Klingel läutet das Ende der Stunde ein. Höflich drücken die Kinder Yannik Gleichmann zur Verabschiedung nacheinander die Hand, bevor sie in die Zehn-Uhr-Pause abrauschen.
Wissensbox
Die Wissensbox ist ein Projekt der Universität Basel, das nach einer erfolgreichen Testphase im Frühjahr 2019 gestartet ist. Bisher gibt es zwei Boxen, eine zum Thema Mathematik und eine zum Thema Mikroskopie – die Welt der kleinen Dinge, mit denen Doktorierende auf Anfrage verschiedene Primarschulen in Basel-Stadt und Basel-Land besuchen. Der Inhalt ist partizipativ aufgebaut, wobei er sich am Lehrplan 21 orientiert. Für die Schulen ist die Dienstleistung kostenlos. Ab 2020 stehen zwei weitere Wissensboxen zu den Themen Physik und Chemie im Angebot. Auch über Boxen zur geisteswissenschaftlichen Forschung denke man nach.