Innovativer Therapiehelm verspricht Fortschritte bei der Behandlung von Alzheimer
Mit dem Neurostimulator Miamind entwickelt das Basler Spin-off-Unternehmen Bottneuro einen personalisierten Therapiehelm. Dank gezielter Elektrostimulation des Gehirns soll das neuartige Gerät den Verlauf von Krankheiten wie Alzheimer positiv beeinflussen. Es lockt ein riesiger Markt für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit degenerativen Hirnerkrankungen.
02. April 2024 | Christian Heuss
Mit der elektrischen Reizung bestimmter Hirnareale können degenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson möglicherweise therapiert werden. Das zeigten wissenschaftliche Studien der letzten Jahre, sagt Dr. Bekim Osmani, Mitgründer und CEO von Bottneuro, einem Spin-off des Departements Biomedical Engineering der Universität Basel.
Die gezielte Stimulation von Hirnarealen durch die Schädeldecke ist allerdings ein schwieriges Unterfangen. Unterschiedliche Kopfformen und Gehirngrössen verunmöglichen eine Standarttherapie. Mit dem Neurostimulator Miamind bietet Bottneuro nun eine personalisierte Lösung. Das in Basel entwickelte System besteht aus einem passgenauen Helm, der mit 34 Elektroden ausgestattet ist. Die exakte Form des Helms und die Platzierung der Elektroden wird für jeden Patienten anhand eines MRI-Scans von Kopf und Gehirn bestimmt und am Computer modelliert. Ein 3D-Drucker produziert den fertigen Helm, der perfekt auf dem Kopf sitzt.
«Wir entwickeln das erste medizinische Gerät, das eine personalisierte Elektrostimulationstherapie in einem mobilen Gerät anbietet», sagt Bekim Osmani. Zum Helm gehören auch ein Schultergürtel, in dem die Elektronik zur Steuerung der Elektroden untergebracht ist, und ein Tablet. Damit kann der Patient die Therapie starten. Miamind erzeugt über die 34 Elektroden elektrische Felder, die spezifische Hirnregionen anregen. Mit denselben Elektroden kann das Gerät anschliessend auch ein Elektroenzephalogramm (EEG) erstellen und die Veränderungen der Hirnströme messen.
Therapie für zu Hause
«Bisher mussten Patientinnen für Therapien mit ähnlichen Systemen in die Klinik gehen», sagt Osmani. «Die Therapie konnte nur mit externer Hilfe und aufwendigen Forschungsgeräten durchgeführt werden.» Jetzt ist eine unabhängige Anwendung zu Hause möglich. Die Messdaten werden dem behandelnden Neurologen danach automatisch in die Klinik übermittelt.
Nicht nur die mobile Anwendbarkeit des Geräts ist ein Fortschritt. Auch die individuelle Platzierung der Elektroden je nach Grösse und Form des Gehirns ist therapeutisch interessant. «Wir können so sehr genau bestimmen, welche Areale elektrisch stimuliert werden», sagt der Neurobiologe Dr. Alois Hopf, Chief Scientific Officer von Bottneuro. Die Stimulationstherapie lässt sich aufgrund des Therapieziels der behandelnden Ärztinnen auf die betroffenen Hirnareale abstimmen. Der passgenaue Helm stellt gleichzeitig sicher, dass bei jeder Therapiesitzung an exakt denselben Stellen des Kopfes stimuliert wird.
Erste klinische Studien
Bottneuro entwickelte zusammen mit Elektronikpartnern in der Schweiz Hard- und Software für dieses Gerät. Investoren und Stiftungen finanzierten die Entwicklung des Spin-off-Unternehmens mit bisher sieben Millionen Franken. Mit der kürzlich erfolgten Registrierung als medizinisches Gerät durch Swissmedic ist Bottneuro in eine neue Entwicklungsphase getreten. Nun wird die Wirksamkeit der Elektrostimulation in klinischen Tests untersucht. In einer ersten Phase mit vorerst acht Probanden testet das Unternehmen die Sicherheit und Verträglichkeit von Miamind. Haben die Elektrostimulationen einen Einfluss auf die Aufmerksamkeit der Probanden? Wie funktioniert die Bedienung des Geräts in der Praxis? Solche Fragen studiert das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Prof. Raphael Guzmann, Chefarzt Neurochirurgie am Universitätsspital Basel. Er ist auch Mitgründer von Bottneuro.
«Mobile Stimulationsgeräte haben Potential für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen», sagt er. Erste Studien deuten auf Effekte zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer hin. Auch bei Epilepsie oder einem Hirnschlag könnte die Technologie funktionelle Verbesserung für die Patientinnen bringen. Gleichzeitig betont Guzman, dass der Weg zu einem Wirksamkeitsnachweis von Miamind noch weit ist. «Dazu braucht es randomisierte klinische Studien bei betroffenen Patienten.»
Solche Studien sind äusserst aufwendig und teuer. Die Kosten für entsprechende Studien liegen in der Grössenordnung von 20 bis 50 Millionen Franken. Die Firma hofft mit der Registrierung in Deutschland und in den USA auch Zugang zu ausländischen Investoren zu finden.
Interesse von Privatkliniken
Doch bereits jetzt sucht Bekim Osmani nach Kunden, die das Gerät bei ihren Patientinnen einsetzen möchten. «Wir sehen Interesse bei exklusiven Privatkliniken in der Schweiz und in England, die ihren Patienten innovative therapeutische Anwendungen anbieten.» Das Gerät kostet derzeit etwa 50'000 Franken pro Jahr im Mietmodell oder kann für 190'000 Franken auch gekauft werden.
«Man muss die derzeit noch hohen Kosten des Geräts auch im Verhältnis zum kürzlich in den USA zugelassenen Alzheimer-Medikament Lecanemab sehen», sagt Osmani. Die Gesamtkosten liegen dort bei ca. 80’000 Franken pro Jahr. Bei der Herstellung grösserer Stückzahlen werde auch der Preis von Miamind um einen Faktor fünf sinken.
Neben Alzheimer wäre ein Einsatz auch bei einem Hirnschlag, bei schweren Depressionen, Epilepsie oder Parkinson vorstellbar. Der Nachweis, ob das neuartige Gerät aus Basel für irgendeine der schwerwiegenden Krankheiten einen Nutzen bringt, muss allerdings erst noch erbracht werden.