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Sternstunde für Astrophysiker

(Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser)
Zwei winzige, aber sehr dichte Neutronensterne kurz bevor sie verschmelzen und explodieren. Solche Objekte sind die Hauptquelle für sehr schwere chemische Elemente wie Gold und Platin im Universum. (Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser)

Just als der Basler Astrophysiker Friedrich Thielemann den Wissenstand über die Verschmelzung von Neutronensternen in einem Übersichtsartikel zusammenfasste, konnten Forscher das astronomische Ereignis erstmals beobachten. Im Interview beschreibt er, wie Vorhersagen und Beobachtungen zusammenpassen und weshalb das Ereignis unser Verständnis des Universums verändern wird.

18. Oktober 2017

(Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser)
Zwei winzige, aber sehr dichte Neutronensterne kurz bevor sie verschmelzen und explodieren. Solche Objekte sind die Hauptquelle für sehr schwere chemische Elemente wie Gold und Platin im Universum. (Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser)

Ein weltweites Netzwerk von Astronomen konnte diesen Sommer zum ersten Mal sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Lichtwellen beobachten, die von der Kollision zweier Neutronensterne in der Galaxie NGC4993 stammen. Am 16. Oktober hat ein internationales Team von Wissenschaftlern über die kosmische Kollision berichtet.

Prof. em. Dr. Friedrich-Karl Thielemann. (Bild: Universität Basel, Departement Physik)
Prof. em. Dr. Friedrich-Karl Thielemann. (Bild: Universität Basel, Departement Physik)

Herr Thielemann, bereits jetzt gilt diese Beobachtung als epochales Ereignis, das eine neue Ära der Astronomie einläutet. Weshalb?

Man spricht vom Beginn der «Multi-Messenger-Astronomie», was besagt, dass sich ein astronomisches Ereignis dank verschiedener Messinstrumente auf unterschiedliche Art und Weise beobachten lässt. Seit Herbst 2015 können die zwei Ligo-Detektoren in den USA Gravitationswellen mit grosser Präzision nachweisen. Bisher wurde damit vier Mal das Verschmelzen von Schwarzen Löchern beobachtet. Bei der neuen Beobachtung handelt es sich aber um die Fusion von zwei Neutronensternen in einer Entfernung von etwa 130 Millionen Lichtjahren, was man noch nie direkt beobachtet hat.

Was macht diese Beobachtung so besonders?

Der Unterschied ist, dass bei Schwarzen Löchern nach der Verschmelzung keine Information mehr hinausgelangt, aber bei diesem Ereignis gab es danach einen Gammablitz und ein Nachglühen im optischen und Infrarotbereich. Glücklicherweise wurde die Sternenkollision auch vom europäischen Virgo-Detektor registriert. Dadurch liess sich die Richtung der Signale gut lokalisieren. In der Folge richteten Astronomen ihre Messinstrumente und Teleskope auf die Quelle im Sternbild Hydra. Die unterschiedlichen Daten erlauben nun, alle möglichen Aspekte des Objekts zu betrachten und besser zu verstehen.

Welche neuen Erkenntnisse lassen sich nun daraus gewinnen?

1994 hatte ich erstmals zusammen mit anderen Forschern vorausgesagt, dass bei einer Kollision von zwei Neutronensternen etwa ein Hundertstel einer Sonnenmasse herausgeschleudert wird. In der Folge hat unsere Basler Gruppe auch als erste vorhergesagt, aus welchen Elementen dieses Material besteht. Während der Verschmelzung der Neutronensterne bilden sich aus dem neutronenreichen Material schwere Elemente wie Gold, Silber, Platin, aber auch Uran und Plutonium. Das sind anfänglich alles instabile Isotope dieser Elemente, die zerfallen. Dadurch entsteht Wärme, die das herausgeschleuderte Material zum Glühen bringt, was wiederum bedeutet, dass man das im Licht sieht. Aus den im August aufgefangenen Lichtsignalen lässt sich nun schliessen, dass die Zusammensetzung der Materie tatsächlich der Vorhersage entspricht.

Sie haben kürzlich den Kenntnisstand über die Verschmelzung von Neutronensternen in einem Review zusammengefasst – müssen Sie das nun umschreiben?

Nein, unsere Vorstellung wird nun einfach präziser. Was man aus den Beobachtungen sehen kann ist, dass während der Verschmelzung der beiden Sterne anfänglich am Äquator äusserst neutronenreiches Material herausgeschleudert wird. Durch den Zusammenprall und später durch Neutrinowinde wird auch an den Polen Material weggeschleudert. Dieses Material ist aber weniger neutronenreich und es werden Elemente erzeugt, die schwerer als Eisen und Nickel sind, aber maximal so schwer wie Cäsium und Barium.

Wie lassen sich die Elemente nachweisen, die durch die Verschmelzung entstehen?

Während die schweren Elemente zur Lichtabstrahlung im nahen Infrarot führen, emittieren die leichteren Licht im optischen, sichtbaren Wellenlängenbereich. Vergleiche der Messresultate zeigen nun, dass insgesamt rund 0,01 Sonnenmassen sehr neutronenreiches Material und über die Pole rund 0,05 Sonnenmassen mässig neutronenreiches Material ausgeworfen wurde. Diese Effekte konnten wir theoretisch vorhersagen, aber die genauen Zahlen stammen nun aus den Beobachtungen. Konkret sind dies unter anderem etwa 50 Erdmassen Gold und 10 Erdmassen Uran, die bei der nun beobachteten Verschmelzung entstanden sind.

Die Beobachtungen sollen auch neue Erkenntnisse zur Geschwindigkeit liefern, mit der sich das Universum ausbreitet.

In der Astronomie arbeitet man mit sogenannten Standardkerzen, um die Ausbreitung des Universums zu verstehen. Das sind Objekte, deren Helligkeit man kennt, und durch Vergleiche lassen sich Rückschlüsse auf die Entfernung von Objekten ziehen und auf die Geschwindigkeit, mit der sie sich von uns wegbewegen. Heute verwendet man dazu Supernovae vom Typ Ia. Dabei hat man festgestellt, dass das Universum vor ca. sechs Milliarden Jahren begonnen hat, sich schneller auszudehnen, als es sich aufgrund der uns bekannten Kräfte erwarten liesse. Mit den Gravitationswellendetektoren tun sich nun neue Möglichkeiten auf, denn mit dem Empfang von Gravitationswellen kann man direkt die Entfernung zum Objekt bestimmen. Ligo und Virgo werden weiter ausgebaut, zudem werden in Japan und Indien weitere Detektoren gebaut. Wenn alle in Betrieb sind, wird man solche Kollisionen wahrscheinlich einmal pro Woche sehen und dadurch ähnlich grosse Datenmengen erhalten wie heute von Typ-Ia-Supernovae. So wird man die Neutronenstern-Merger auch zur Bestimmung der Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums nutzen können.

Originalbeitrag

F.-K. Thielemann, M. Eichler, I.V. Panov, B. Wehmeyer
Neutron Star Mergers and Nucleosynthesis of Heavy Elements
Annual Review of Nuclear and Particle Science (2017), doi: 10.1146/annurev-nucl-101916-123246


Weitere Auskünfte

Prof. em. Dr. Friedrich-Karl Thielemann, Universität Basel, Departement Physik, Tel. +41 61 207 37 48, E-Mail: f-k.thielemann@unibas.ch

Der Physiker Friedrich-Karl Thielemann, geboren 1951, studierte und promovierte an der TU Darmstadt. Er war an der University of Chicago, am California Institute of Technology, am Max-Planck-Institut für Astrophysik und der University of Illinois tätig sowie von 1986 bis 1994 Professor an der Harvard University. 1994 wurde er Professor für Theoretische Physik am Departement Physik der Universität Basel, wo er mit seinen Doktoranden Christian Freiburghaus und Stephan Rosswog 1999 die ersten Nukleosyntheserechnungen zu Neutronensternverschmelzungen durchführte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die theoretische und rechnergestützte Astrophysik sowie die Beschreibung subatomarer Prozesse in heissen und dichten astrophysikalischen Plasmen. Für seine Arbeiten erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter 2008 den Hans Bethe-Preis der American Physical Society und 2012 den Lise-Meitner-Preis der European Physical Society.

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