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Älter werden (02/2018)

Das unterschätzte Alter.

Interview: Iris Mickein

Jana Nikitin erforscht seit 15 Jahren, wie Menschen Beziehungen knüpfen und aufrechterhalten. Nun hat sie mehrere Studien zur sozialen Annäherungs- und Vermeidungsmotivation über die Lebensspanne abgeschlossen, mit besonderem Fokus auf das Alter.

Jana Nikitin ist Assistenzprofessorin für Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Für sie spielen soziale Motivationen zur Annäherung und Vermeidung eine wichtige Rolle in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Jana Nikitin ist Assistenzprofessorin für Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Für sie spielen soziale Motivationen zur Annäherung und Vermeidung eine wichtige Rolle in zwischenmenschlichen Beziehungen.

UNI NOVA: Frau Nikitin, aus biologischer Sicht ist das Alter ein Abbauprozess. Wie sehen Sie das?

JANA NIKITIN: Die Einschränkungen des Alters sind nicht wegzureden. Und doch leben die Menschen heute immer länger und auch gesünder. Die Psychologie geht davon aus, dass Entwicklung zu jedem Zeitpunkt des Lebens in verschiedenen Funktionsbereichen stattfindet. In jeder Lebensphase gibt es Gewinne wie Verluste. Zu den Stärken des Alters gehört die emotionale Intelligenz. Auch die kristalline Intelligenz des Faktenwissens kann weiter wachsen. Dagegen nimmt die fluide Intelligenz, die sich auf Problemlösungsprozesse bezieht, eher ab. Aber die neuere Forschung zeigt, dass wir selbst diese Art von Intelligenz im Alter mit bestimmten Techniken steigern können.

UNI NOVA: Dennoch gibt es das Bild vom einsamen, alten Menschen.

NIKITIN: Das ist ein negatives Stereotyp. Es ist richtig: Ältere Erwachsene pflegen weniger soziale Kontakte als Menschen jüngeren oder mittleren Alters. Diese Tendenz ist aber nicht negativ motiviert. Im Gegenteil: Ältere berichten über eine relativ hohe Zufriedenheit in ihren sozialen Beziehungen, sei es in der Partnerschaft, in der Familie oder im Freundeskreis. Das zeichnet sie auch im Vergleich zu jüngeren Menschen aus, die ihre Kontakte in der Regel weniger positiv beschreiben.

UNI NOVA: Woran liegt das?

NIKITIN: Mit dem Alter verändern sich die Ressourcen und damit auch die Ziele, die Menschen in ihren Beziehungen verfolgen. Ältere fokussieren stärker auf ihre sozialen Bindungen. Sie pflegen bewusst wenige, aber für sie emotional erfüllende Kontakte. Dabei sind ältere Erwachsene primär motiviert, negative soziale Erlebnisse wie Konflikte zu vermeiden. Das gelingt ihnen in der Regel auch viel besser als jüngeren Menschen, weil sie ein stärkeres Interesse am Wohlbefinden der andern Person haben.

UNI NOVA: Sind ältere Menschen also empathischer?

NIKITIN: Nicht unbedingt. Empathie setzt eine Perspektivübernahme voraus, ein kognitiver Prozess, der älteren Erwachsenen zunehmend schwerfällt. In der Psychologie sprechen wir hier eher von «Responsiveness», der Fähigkeit, sich auf die Bedürfnisse eines Gegenübers einzustellen, selbst wenn man dessen Emotionen nicht versteht. Das wirkt wie ein Beziehungskitt: Ältere Menschen fühlen sich auch in schwierigen Situationen der andern Person nahe, weil sie mehr auf deren Wohlbefinden achten.

UNI NOVA: Wie messen Sie das Interesse am Wohlbefinden des andern?

NIKITIN: Dazu gibt es konkrete Äusserungen von Studienteilnehmern. «Responsiveness» ist aber auch implizit durch Sprachanalyse erfassbar: Ältere Menschen sprechen zum Beispiel häufiger im Plural, benutzen mehr Wir-Wörter, und zwar unabhängig davon, ob sie in einer Situation an einer sozialen Annäherung oder einer Vermeidung interessiert waren, also etwas Positives anstrebten oder etwas Negatives vermeiden wollten. Dieses Verhalten drückt einen Fokus auf das Gegenüber aus, den junge Menschen in schwierigen Situationen zugunsten einer verstärkten Ich-Perspektive verlieren.

UNI NOVA: Was ist für Sie erfolgreiches Altern?

NIKITIN: Erfolgreiches Altern ist ein kreativer Prozess und braucht aktive Gestaltung. Es geht darum, die eigenen Ziele mit Blick auf die eigenen Ressourcen neu zu organisieren. Dazu gehört auch, von unerreichbaren Zielen Abschied zu nehmen.

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