«Mit Jacob Burckhardt die Kulturgeschichte reflektieren»
Zum 200. Geburtstag von Jacob Burckhardt (1818–1897) gibt es in Basel eine Reihe von wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen – auch für ein breites Publikum. Welche Bedeutung und Aktualität der bekannte Kulturhistoriker heute noch hat, lautet das Thema. Der Historiker und Mitorganisator Prof. Dr. Lucas Burkart vom Departement Geschichte gibt Auskunft.
05. März 2018
Herr Burkart, Jacob Burckhardt wurde vor 200 Jahren in Basel geboren – welche Bedeutung hatte er für die Stadt und die Universität?
Lucas Burkart: An der Universität war Burckhardt zunächst Professor für Geschichte, dann auch für Kunstgeschichte, und zwar als erster Lehrstuhlinhaber: Er war es, der diese Disziplin in Basel überhaupt begründete. Darüber hinaus gilt er für die Anfänge der Kulturgeschichte weltweit als eine bedeutende und prägende Figur. Sein Werk wurde bis heute in vielen Fächern sehr produktiv rezipiert, in Europa, aber auch darüber hinaus.
Welches sind für Sie seine wichtigsten Werke?
Burkart: Etwa zehn Jahre nach seiner Berufung stellte Burckhardt seine Publikationstätigkeit quasi ein. Er widmete sich vornehmlich der Lehre und konzentrierte sich auf seine Vorlesungen, die er über Jahre weiter ausarbeitete und bis ins hohe Alter hielt. Sein Werk beeindruckt durch die universalhistorische Breite, die von der Griechischen Kulturgeschichte bis ins Revolutionszeitalter reicht. Zu Lebzeiten waren es hauptsächlich drei Veröffentlichungen, für die er bekannt, ja berühmt war: der «Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens» (1855), der noch stark in der Tradition der Kulturreisen steht; 1860 kam sein bis heute bekanntestes und nachhaltigstes Werk heraus, «Die Kultur der Renaissance in Italien»; und 1905 gab sein Neffe Jakob Oeri aus dem Nachlass die sogenannten «Weltgeschichtlichen Betrachtungen» heraus: keine Geschichtstheorie, sondern eher Überlegungen zum Umgang mit der Historie und zu deren Bedeutung für die Gegenwart.
Dieses Buch wollte er aber eigentlich gar nicht publizieren?
Burkart: Burckhardt wollte jeweils selber bestimmen, was von ihm veröffentlicht werden soll und was nicht. Dies betrifft auch seine Korrespondenz: So zerstörte er zum Beispiel sämtliche Briefe, die an ihn gerichtet waren. Erhalten sind dafür seine eigenen Briefe, die inzwischen in zehn Bänden publiziert wurden – da zeigt er sich auch als kritischer Kommentator und ironischer Spötter. Dabei vergriff er sich manchmal auch in Urteil und Ton, etwa in antijüdischen Äusserungen. Daraus jedoch abzuleiten, Burckhardt sei ein Wegbereiter des Antisemitismus im 20. Jahrhundert, ist problematisch. Von ihm selbst stammt die Aussage, dass Urteile «die Todtfeinde der wahren geschichtlichen Erkenntnis» seien.
Weshalb wollte Burckhardt seine eigenen Werke derart stark unter Kontrolle halten?
Burkart: Es kommen hier wohl verschiedene Dinge zusammen: Einmal nahm er seine Vorträge und seine Lehre sehr ernst, dann legte er auch gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit eine gewisse Zurückhaltung an den Tag. Seine Vorlesungen, für die er viel Arbeit aufwendete, überarbeitete er in seiner rund 30-jährigen Lehrtätigkeit mehrfach, reicherte sie immer wieder mit neuen Materialien, Kenntnissen und Überlegungen an. Manche dieser Überarbeitungsschritte lassen sich in den Manuskripten rekonstruieren, weil er in den 1880er-Jahren eine andere Tintenfarbe verwendete. In der kritischen Edition (JBW), die auf 28 Bände angelegt ist und in wenigen Jahren abgeschlossen sein wird, werden solche Aspekte des zu Lebzeiten ja weitgehend unveröffentlichten Werks herausgearbeitet. Damit wird auch eine unverzichtbare Grundlage für eine neuerliche Auseinandersetzung mit Burckhardt geschaffen, denn der grösste Teil seiner Schriften lag bis zu dieser Edition ja gar nicht publiziert vor. In verschiedener Hinsicht wird die Forschung Burckhardt also nochmals neu beurteilen können: die Bedeutung historischer Übergänge, etwa von der Spätantike zum Frühmittelalter, seine Einschätzung des Islam für Europa, die Rolle des Mittelalters für den Aufbruch in die Moderne, also die Renaissance, und anderes mehr.
Zum 200. Geburtstag gibt es dieses Jahr verschiedene Anlässe – welches sind die Höhepunkte?
Burkart: Die Veranstaltungen richten sich teils an ein wissenschaftliches, teils an eine breite, interessierte Öffentlichkeit. So wird um den 200. Geburtstag Burckhardts Ende Mai von der Universität eine internationale Tagung organisiert, die nach der Bedeutung seines Renaissance-Entwurfs für die heutige geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung fragt; konzipiert wurde die Tagung vom Fachbereich Kunstgeschichte und vom Departement Geschichte. An den weiteren Anlässen sind vor allem kulturelle Institutionen beteiligt – Versuche, sein Werk in die Öffentlichkeit zu tragen und nach dessen Aktualität und Relevanz zu fragen. Das wird es in verschiedenen Medien (Film, Soundscape, Performances, Lesungen etc.) geben, an deren Beginn der Dialog zwischen (Kunst-)Historikern und Kulturschaffenden stand.
Es sind also ganz unterschiedliche Kooperationspartner dabei?
Burkart: Es war uns wichtig, verschiedene kulturelle Institutionen und damit unterschiedliche Publika und Beteiligte zu erreichen. Zum Beispiel wurden in einem Projekt Schüler und Schülerinnen mit Burckhardt-Zitaten konfrontiert, die sie auf Plakaten zu kommentieren hatten. Das war schon wegen der für sie ungewohnten Sprache Burckhardts keine geringe Herausforderung. Die Intention war es, den Schülern zu verdeutlichen, dass Geschichte in der Auseinandersetzung zwischen Vergangenheit und Gegenwart entsteht.
Welche Events gibt es im Jubiläumsjahr sonst noch?
Burkart: Den Auftakt macht eine Gesprächsrunde zur «Aktualität des Historischen» im Theater, an der der Schriftsteller Lukas Bärfuss und die Kunstwissenschaftlerin Bice Curiger teilnehmen. Ein weiterer Event ist eine Intervention im Historischen Museum, zu dessen Sammlung der originale Schreib- und Arbeitstisch von Burckhardt gehört. Diesen hat der Gelehrte nach eigenen Vorgaben anfertigen lassen, um für seine Arbeitsmaterialien und Gedanken eine Ordnung zu schaffen – genauso wie wir es heute auf unseren PC-Desktops tun. Mit der Präsentation des Tischs als Virtual Reality wollen wir die Frage nach den historischen Wurzeln digitaler Technologien aufwerfen. Und zugleich erkunden, welche Potenziale virtuelle Welten für die Vermittlung von Geschichte haben. Dieses Projekt reflektiert, welche Vergangenheit unsere digitale Zukunft hat.
Wäre der Einsatz von Virtual Reality von Burckhardts Arbeitstisch in seinem Sinn?
Burkart: Burckhardt gilt gemeinhin als Konservativer – das war er in vielerlei Hinsicht tatsächlich, weniger als Wissenschaftler denn als Bürger. Viele zeitkritische Äusserungen belegen das. An einer Stelle hingegen war er den Entwicklungen seiner Zeit gegenüber geradezu euphorisch eingestellt: der Erfindung und rasanten Verbreitung der Fotografie. Er nutzte dieses Medium für seinen akademischen Unterricht und legte dafür eine 10'000 Abbildungen umfassende Sammlung an: die grösste damalige Sammlung eines Kunst- und Kulturhistorikers. Er war also medienaffin. Ich wage deswegen die These, Burckhardt wäre wohl an einer Auseinandersetzung mit den medialen Möglichkeiten seines Arbeitstischs weit interessierter gewesen als an einer musealen Präsentation des Möbelstücks. Eine solche fordert eher Devotion ein als sie über die eigentliche Bedeutung seiner Nutzung nachdenken lässt. Insofern ist das Projekt durchaus im Sinn von Burckhardt, denn auch heute sind die Geisteswissenschaften gefordert, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu reflektieren. Also zu fragen, was die digitale Zukunft für die Kunst- und Kulturgeschichte bedeutet – so wie es Burckhardt damals für die Fotografie getan hat.
Alle Infos zum Burckhardt-Jubiläumsjahr auf jacobburckhardt.ch sowie auf Facebook, Twitter und Instagram