Unisonar S2|EP2: Wie gerecht ist unsere Bildung?
Wie gerecht ist unser Bildungssystem? Darüber sprechen wir mit dem Bildungswissenschaftler Markus Neuenschwander. Er redet über unterschiedliche Lernniveaus in Schulen, warum es kaum jemand schafft, einen höheren Abschluss als die eigenen Eltern zu machen und wie sehr Stereotypen unseren Lernerfolg prägen.
Wie beeinflussen soziale Faktoren wie Herkunft, Geschlecht oder der Bildungsstand der Eltern die Bildungschancen von Kindern? Und welche strukturellen Hürden verhindern Chancengleichheit verhindern? Dazu forscht der Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Markus Neuenschwander. Seine Forschung zeigt, dass Bildungsgerechtigkeit in der Schweiz weit von ihrem Ideal entfernt ist.
Neuenschwander erklärt, dass Bildungsgerechtigkeit dann verletzt wird, wenn der Bildungserfolg eines Kindes stärker von sozialen Faktoren wie Herkunft oder Geschlecht beeinflusst wird als von individuellen Fähigkeiten. Bereits bei der Geburt prägen familiäre Unterschiede die späteren Bildungschancen. Diese Unterschiede setzen sich über alle Bildungsstufen hinweg fort und wirken sich insbesondere bei Übergängen ins Gymnasium oder in höhere Schulniveaus aus.
Herkunftseffekte und Leistungserwartungen
Kinder aus akademischen Familien werden laut Neuenschwander häufiger in Schulniveaus mit höheren Anforderungen aufgenommen, selbst wenn ihre Leistungen vergleichbar mit denen von Arbeiterkindern sind. Dies liegt unter anderem an den Erwartungen von Lehrpersonen und Eltern. Studien zeigen, dass Lehrer*innen bei Kindern aus akademischen Familien höhere Leistungen erwarten und sie entsprechend häufiger fördern. Diese Erwartungen wirken sich stark auf die Bildungslaufbahn aus und verstärken bestehende soziale Ungleichheiten.
Auch das Geschlecht beeinflusst die Bildungschancen. Lehrerinnen haben beispielsweise höhere Erwartungen an die Mathematikleistungen von Jungen und an die Deutschleistungen von Mädchen, unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten. Diese Stereotypen sind tief verankert und beeinflussen die Empfehlungen für höhere Schulniveaus. Neuenschwander betont die Notwendigkeit, Lehrerinnen in ihrer Ausbildung für solche Vorurteile zu sensibilisieren.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Um Bildungsgerechtigkeit zu fördern, schlägt Neuenschwander vor, Lehrpersonen besser zu schulen und die Bildungssysteme so zu gestalten, dass Kinder unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen erhalten. Er verweist auf Länder wie Finnland, die durch integrative Schulsysteme bessere Bildungsergebnisse erzielen und gleichzeitig soziale Ungleichheiten verringern. Die Schweiz könne von solchen Modellen lernen, müsse jedoch auch eigene, systembedingte Schwächen angehen.
Neuenschwander sieht Bildungsgerechtigkeit als erstrebenswertes Ideal, das zwar möglicherweise nie vollständig erreicht wird, aber durch bewusste Massnahmen und Reformen realisiert werden kann. Bildungsgerechtigkeit sei nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch von ökonomischer Bedeutung, da sie die bestmögliche Nutzung des Potenzials aller Kinder fördere.