Unisonar S6|EP1: Geschlechtervarianz

Wie erleben Trans-Menschen ihren Weg der geschlechtlichen Selbstfindung – und welche Rolle spielt die Medizin dabei? Dr. David Garcia Nuñez, Leiter des Innovationsfokus Geschlechtervarianz am Universitätsspital Basel, spricht im Podcast über medizinische Begleitung, gesellschaftliche Herausforderungen und persönliche Geschichten von Trans-Personen.
In der ersten Folge der 6. Staffel erklärt David Garcia Nuñez, dass geschlechtliche Identität nicht automatisch mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmen muss. Etwa 5 % der Bevölkerung fühlen sich nicht im Einklang mit ihrem zugewiesenen Geschlecht, rund 0,5 % beginnen eine Transition. Diese geschlechtliche Inkongruenz sei weder eine Laune noch ein Fehler, sondern Ausdruck menschlicher Vielfalt, so der Mediziner. Insbesondere im binär strukturierten medizinischen System stelle diese Vielfalt jedoch weiterhin eine grosse Herausforderung dar.
Nicht jede Transition beinhaltet eine Operation – sie kann auch soziale oder juristische Aspekte umfassen. Garcia betont die Bedeutung einer sorgfältigen, individuellen Begleitung, in der Patientinnen und Patienten ihre Bedürfnisse und Wünsche offenlegen können. Erst nach einem intensiven Kennenlernprozess entsteht gemeinsam mit dem medizinischen Team ein Behandlungsplan, der regelmässig überprüft und angepasst wird. Wichtig ist dabei die Möglichkeit, jederzeit auszusteigen oder die Richtung zu ändern.
Zwei persönliche Geschichten: Chloé und Lou
Ein zentrales Thema ist der psychische Druck, den viele Betroffene erleben – nicht zuletzt durch lange Wartezeiten für die Erstkonsultation. In besonders tragischen Fällen führt dies sogar zu Suiziden. Garcia kritisiert den Mangel an spezialisierten Fachpersonen und eine mangelhafte Ausbildung in der Medizin. Die Folge sind überlastete Zentren und strukturelle Barrieren für eine adäquate Versorgung. Trotzdem betont er die Fortschritte, die in der letzten Dekade erzielt wurden – etwa die Abkehr vom starren Diagnoseschema des «Transsexualismus».
Der Podcast gibt mit den Geschichten von Chloé, einer Trans-Frau, und Lou, einem Trans-Mann, einen sehr persönlichen Einblick in das Erleben von geschlechtlicher Nichtübereinstimmung. Beide berichten von einem langen inneren Kampf, dem Aufbau von Schutzmechanismen und der enormen Erleichterung nach dem Coming-out. Für Lou war die Transition sogar der Schlüssel zur Genesung nach jahrelanger psychischer Erkrankung. Beide verdeutlichen, wie zentral gesellschaftliche Akzeptanz und individuelle Begleitung sind.
Neue Konzepte und gesellschaftliche Verantwortung
Garcia plädiert für einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft: Weg von der Vorstellung, Trans sei ein Problem, hin zur Anerkennung von Vielfalt. In einem eigens entwickelten Messverfahren wird die geschlechtliche Kongruenz regelmässig überprüft, um Fortschritte sichtbar zu machen.
Kritisch sieht er den politischen Rückschritt in einigen Ländern, wo über die Geschlechtsidentität anderer Menschen entschieden wird, ohne Fachkenntnis. Die Gesellschaft stehe vor der Aufgabe, Diversität nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu integrieren – jenseits von Symbolpolitik.