Unisonar S5|EP1: Wieso streiten?
Wir lernen das Streiten von unseren Eltern, formen unsere Persönlichkeit durch Geschwisterstreitigkeiten und müssen erst lernen, dass Beziehungen mit Freund*innen nicht an jedem Streit zerbrechen werden. Ein Gespräch mit der Psychologin Dr. Silvia Meyer über den Sinn von Streit, dessen Einfluss auf unsere Entwicklung und die Notwendigkeit von Versöhnung.
Wieso streiten sich Menschen eigentlich? Diesem Thema widmet sich die erste Folge der 5. Staffel von Unisonar. Die Psychologin Silvia Meyer erklärt im Gespräch, weshalb Streit negativ konnotiert ist, obwohl er wichtig ist für unsere Persönlichkeitsentwicklung und unsere Beziehungen. Silvia Meyer ist leitende Psychologin im Kompetenzzentrum für Schulabsentismus und arbeitet als Psychologin im Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP).
Meyer erklärt, dass Streit oft Teil einer engen Beziehung ist und ein Zeichen dafür, dass uns die betroffene Person wichtig ist. Konflikte entstehen häufig durch gegensätzliche Bedürfnisse, wie das Bedürfnis nach Kontrolle bei Eltern und der Wunsch nach Autonomie bei Jugendlichen. Wenn solche Konflikte konstruktiv ausgetragen werden, bieten sie eine Gelegenheit zur Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die lernen, Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken.
Selbstwirksamkeit dank Geschwisterstreit erlernen
Anhand von Beispielen wie Eltern-Kind-Beziehungen, Geschwisterrivalitäten und Freundschaftskonflikten verdeutlicht Meyer, wie Streits je nach Beziehungsdynamik variieren. Sie hebt hervor, dass Machtgefälle – etwa zwischen Eltern und Kindern – das Lösen eines Streits erschweren können, während Konflikte unter Geschwistern wichtige Lernmomente für Selbstwirksamkeit darstellen.
Bei Jugendlichen spielt die Fähigkeit zur Vergebung eine besondere Rolle, die sich jedoch erst über die Zeit entwickelt. Insbesondere in der Online-Kommunikation können Streits intensiver wirken, da nonverbale Signale fehlen.
Ein Streit muss beendet werden
Meyer betont, dass ein Streit erst dann abgeschlossen ist, wenn eine Form des Abschlusses gefunden wird. Dieser Abschluss muss nicht zwangsläufig eine Versöhnung sein, sondern kann auch bedeuten, dass die Beteiligten akzeptieren, unterschiedlicher Meinung zu bleiben. Wichtig dabei ist, dass jeder Streit die Möglichkeit zur Reflexion bietet, etwa durch das Einbringen von Ich-Botschaften, das Eingeständnis eigener Anteile und das Einüben von Entschuldigungen. So können Streits als Chance gesehen werden, Konfliktlösungsfähigkeiten zu verbessern.
Insgesamt fasst Meyer zusammen, dass konstruktives Streiten und die Fähigkeit zur Versöhnung zentrale Elemente für das soziale Miteinander sind. Sie hebt hervor, dass Eltern eine Vorbildfunktion einnehmen, indem sie ihre eigenen Konflikte respektvoll lösen und auch gegenüber Kindern Fehler eingestehen. Diese Erfahrungen prägen Kinder und Jugendliche und fördern ihre Kompetenzen, später ebenfalls mit Konflikten umzugehen und in ihren Beziehungen Abschluss oder Versöhnung zu finden.