Unisonar S6|EP2: Gender Studies

Was bedeutet es, wenn Geschlechtervielfalt sichtbar wird – und warum ruft das so viel Widerstand hervor? Dominique Grisard, Kulturwissenschaftlerin und Dozentin am Zentrum für Gender Studies der Universität Basel, spricht im Podcast über gesellschaftliche Machtverhältnisse, die Debatte um Non-Binarität und wie Gender Studies zum Verständnis aktueller Umbrüche beitragen.
Der Sieg von Nemo beim Eurovision Song Contest 2024 hätte als Meilenstein für die Anerkennung non-binärer Identitäten gelten können. Doch die Reaktionen zeigen: «Wir leben in einer doch weiterhin Zwei-Geschlechter-Welt», so Dominique Grisard. Die Ordnung von Mann und Frau sei tief in unsere Gesellschaft eingeschrieben – eine historische Konstruktion, die heute bröckelt, aber noch lange nicht verschwunden ist. Polarisierung und Angst prägen die Debatten, selbst wenn das Sichtbarwerden von Vielfalt keine Gefahr, sondern ein Ausdruck demokratischer Offenheit ist.
Die Forderung nach einem dritten Geschlechtseintrag sorgt in der Schweiz für Kontroversen. «Es ist eine gesellschaftliche Debatte und Auseinandersetzung im Gange», sagt Grisard, und genau darin liege das Potenzial. Die Gender Studies leisten hier wichtige Bildungsarbeit: etwa mit einem queeren Stadtrundgang zur Geschichte der LGBTIQ+-Community in Basel. «Wissensvermittlung ist zentral bei Themen, die viel Unsicherheit und Angst auslösen.» Das Ziel sei eine Gesellschaft, in der Vielfalt gelebt werden kann – ohne Diskriminierung.
Genderfragen lösen Widerstand aus, auch gegenüber dem Fach selbst. «Häufig wird es als Ideologie beschrieben, als etwas, das nicht wissenschaftlich sei.» Für Studierende bedeute das oft schwierige Diskussionen im privaten Umfeld. Dennoch sieht Grisard eine wachsende Offenheit – auch bei Eltern, die eigene feministische Erfahrungen mitbringen. Entscheidend sei, Vorbehalte ernst zu nehmen und mit kritischer Reflexion aufzuklären: «Ich möchte die Menschen auch abholen, warum bei ihnen diese Antipathie entsteht.»
Kunstbetrieb: Männerdominanz trotz Gleichstellungsdiskurs
Auch in der Kultur zeigt sich Geschlechterungleichheit deutlich. Nur 29 % der strategischen Leitungspositionen in Schweizer Kulturbetrieben sind von Frauen besetzt. «Ein Teil davon ist sicher dieser männliche Kanon», sagt Grisard, «das Bild des männlichen Genies wirkt nach.»
Dieses Bild – unabhängig, genial, ohne Care-Verantwortung – erschwert es besonders Müttern, in Leitungsfunktionen Fuss zu fassen. Zwar gebe es Fortschritte, etwa durch diverse Ausstellungen, doch strukturelle Veränderungen blieben oft aus: «Es könnte jederzeit wieder kippen.»
Geschlechterordnung im Wandel – aber nicht ohne Widerstand
Trotz Rückschritten und Hass, insbesondere gegenüber trans und non-binären Menschen, zeigt sich Grisard optimistisch: «Machtverhältnisse sind immer im Wandel.» Die Gender Studies dokumentieren und analysieren diese Dynamiken – mit wissenschaftlicher Tiefe und politischer Verantwortung.
Aktuelle biologische Forschung bestätigt zudem: «Auch in der Biologie ist Konsens, dass es viele Geschlechter gibt.» Hoffnung mache ihr, dass diese Erkenntnisse allmählich mehr Gehör finden – auch wenn gesellschaftliche Prozesse Zeit brauchen.