Unisonar S5|EP3: Ruanda 1994
1994 starben über 800'000 Ruander*innen. Getötet von Landsleuten. Wie hat das Land diesen Genozid überstanden? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein Gespräch mit der Historikerin Thanushiyah Korn über den kolonialen Rassismus, der den Hass innerhalb der ruandischen Bevölkerung geschürt hatte, und die Rolle der internationalen Gemeinschaft, die im entscheidenden Moment weggesehen hat.
** In dieser Podcast-Folge wird rassistisches Gedankengut der Kolonialmächte thematisiert und zitiert **
Die Unisonar-Folge «Streit und Versöhnung: Ruanda 1994» thematisiert den ruandischen Genozid von 1994 und dessen Ursachen. Die Historikerin Thanushiyah Korn erklärt, wie koloniale Einflüsse von Deutschland und Belgien die künstliche Unterscheidung innerhalb der ruandischen Bevölkerung zwischen Hutu und Tutsi durch rassistische Theorien zementierten und das soziale Gefüge polarisierten. Sie beschreibt, wie die Kolonialmächte und später die internationale Gemeinschaft – auch durch ihre Untätigkeit – das Entstehen des Konflikts mitbegünstigten.
Die von Deutschland und Belgien festgelegten und rassistisch motivierten Ethnienkonstrukte legten den Grundstein für eine Spaltung der Gesellschaft. Nach der Unabhängigkeit sahen sich die Hutu als doppelt kolonisiert, einmal durch die Kolonialmächte und durch die Tutsi, die damals als bevorzugte Schicht galten. Korn erläutert die Eskalation dieses Konflikts nach 1990, als die Ruandisch-Patriotische Front (RPF) aus Tutsi-Exilanten und Hutu-Oppositionellen gegen das Regime des damaligen Ruanda-Präsidenten Juvénal Habyarimana kämpfte.
Kein Eingreifen trotz Vorwarnung
Der Abschuss eines Flugzeugs am 6. April 1994 mit dem ruandischen Präsidenten an Bord liess die Gewalt im Land eskalieren: Tutsi und politisch Andersdenkende wurden von Hutu-Extremisten verfolgt und ermordet. Radiosender wie Radio Télévision Libre des Mille Collines spielten dabei eine Schlüsselrolle, indem sie Hutu-Extremisten zum Genozid aufstachelten.
Korn diskutiert auch die Rolle internationaler Akteure und Institutionen wie der UNO und der Weltbank: Trotz Warnungen vor bevorstehenden Massakern griff die internationale Gemeinschaft nur zögerlich ein; Blauhelme wurden abgezogen, und internationale Kredite unterstützten indirekt die Aufrüstung der ruandischen Armee.
Rassistisches Gedankengut entfachte Genozid
Nach dem Genozid wurden in Ruanda Massnahmen zur Versöhnung eingeleitet. Die neue Regierung unter Paul Kagame setzte auf die Abschaffung ethnischer Kategorien und die Förderung einer vereinten nationalen Identität. Dies soll die ruandische Gesellschaft langfristig stabilisieren und verhindern, dass ethnische Unterschiede erneut zu Konflikten führen.
Thanushiyah Korn kommt zu dem Schluss, dass der ruandische Genozid ein Versagen der internationalen Gemeinschaft darstellt, die nicht rechtzeitig eingegriffen hat, obwohl zahlreiche Warnungen vorlagen. Korn hebt hervor, wie gefährlich rassistisches Gedankengut ist, das durch Kolonialmächte eingeführt und verstärkt wurde. Sie betont, dass eine dauerhafte Versöhnung in Ruanda nur durch die Förderung einer gemeinsamen nationalen Identität möglich ist, in der ethnische Kategorien wie Hutu und Tutsi keine Rolle mehr spielen.
Zeitstrahl
- 1890 Ruanda wird von Deutschland kolonialisiert und Teil von Deutsch-Ostafrika
- 1918 Nach dem Ersten Weltkrieg wird Ruanda Belgien zugeschlagen
- 1962 Unabhängigkeit Ruandas, Grégoire Kayibanda wird Präsident
- 1963 Bürgerkrieg, viele Tutsi flüchten in Nachbarländer
- 1973 Militärputsch, Juvénal Habyarimana wird Präsident
- 1994 Flugzeug mit Präsident Habyarimana stürzt ab, Genozid mit über 800'000 Toten