«Wir werden keine Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen, wenn sich nicht alle, auch Männer*, beteiligen.»
Am Freitag findet der zweite nationale Frauen*streik statt. Frauen* streiken für Lohngleichheit, unbezahlte Arbeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Prof. Dr. Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterwissenschaften, spricht in einem Interview über Auslöser und Ziele der Streikbewegung.
11. Juni 2019
Frau Maihofer, der letzte Frauen*streik war 1991, also vor 28 Jahren. Was hat sich seither für die Schweizer Frau* in der Gesellschaft verändert?
Seit dem Frauen*streik 1991 ist so einiges in Bewegung geraten. Zum einen wurden auf der rechtlichen Ebene viele wichtige Veränderungen vorgenommen, zum Beispiel wurde das Gleichstellungsgesetz verabschiedet, in welchem es ausdrücklich um die Herstellung nicht nur rechtlicher, sondern tatsächlicher Gleichstellung geht oder die Neuformulierung des Sexualstrafrechts, in dem es um sexuelle Belästigung geht und die Vergewaltigung in der Ehe. Dies waren wichtige Themen der Streikbewegung. Zum anderen hat die Erwerbstätigkeit von Frauen* zugenommen, wenn auch vor allem in Teilzeitpensen. Zudem entwickeln sie verstärkt eine eigene berufliche Identität. Auch in der familiaren Arbeitsteilung hat sich einiges getan: Sie ist nicht mehr strikt konventionell vorgeschrieben und ist heute meist das Ergebnis gemeinsamer Aushandlung. Denn auch bei den Männern* hat sich in den letzten Jahren so einiges verändert. Sie wollen vermehrt präsente Väter sein und daher wünschen auch sie sich die Möglichkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Obwohl sich einiges getan hat, wollen Frauen* für ähnliche Ziele wie 1991 streiken. Wieso?
Die Frauen* wollen nicht nur streiken, sie müssen auch. Ich schliesse mich da der Berner Historikerin Brigitte Studer an: Der Streik ist eine Notwendigkeit – ein Ausdruck und Ergebnis der Zögerlichkeit der Politik. Obwohl sich vieles verändert hat, ist der Wandel stark geprägt durch Persistenzen und Wiederständen, so dass sich Dinge nicht weiterentwickeln. Der Streik soll also deutlich machen, dass es viel zu langsam vorwärtsgeht. Die Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen* wird wesentlich stärker thematisiert als früher, denn sie sind inzwischen präsenter in der Politik, der Berufswelt und der Wissenschaft. Trotzdem steht hinter all dem ein grosses Aber.
Was könnte sich nach dem 14. Juni verändern?
Es geht nicht nur um formale, sondern um tatsächliche Gleichberechtigung. Dies bezieht sich auf Lohngleichheit, aber auch überhaupt in allen Bereichen der Gesellschaft, um die Abschaffung jeglicher Form von Diskriminierung, auch aufgrund von Sexualität, wie dies ja schon manche kantonalen Verfassungen fordern. Auch hoffe ich, dass das Thema der Elternzeit stärker diskutiert wird. Dies ist auch für Männer* zunehmend eine wichtige Forderung.
Sollen Männer* am Frauen*streik teilnehmen? Oder wie könnten sie sich für die Ziele des Frauen*streiks einsetzen?
Das ist eine schwierige Diskussion. Ich persönlich finde es wichtig, dass eine gemeinsame Auseinandersetzung stattfindet. Wir werden keine Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen, wenn sich nicht alle, auch Männer*, beteiligen. So ein Streik ist für sie auch eine Möglichkeit, sich mit all diesen Themen auseinanderzusetzen und zu solidarisieren. Es wäre eine verschenkte Chance, die Männer*, die sich solidarisieren möchten, nicht teilnehmen zu lassen. Andererseits kann ich verstehen, dass es für Frauen* wichtig ist, für sich Räume zu schaffen und eine Solidarisierung untereinander zu finden. Dass sie dabei nicht, wie so oft, unter Männern untergehen möchten, ist ein Argument, das akzeptiert werden sollte. Sie sollten aber die Möglichkeit haben, die Frauen* zu unterstützen, wie zum Beispiel während dem Streik die Kinderbetreuung zu übernehmen.
Welche Auslöser haben den zweiten nationalen Frauen*streik ausrufen lassen?
Zum einen die Stagnation, die in allen gesellschaftlichen Bereichen den Eindruck erwecken lässt, dass da noch viel zu tun ist. Aber zum anderen auch die Gegenbewegungen, dass es z.B. Anti-Feministische-Tendenzen gibt, die gerade medial sehr präsent sind. Ein Punkt ist auch die #metoo-Bewegung und die heftigen Debatten darum. Sie machten nochmals deutlich, wie eng sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt vom herrschenden männlichen Verständnis von Sexualität geprägt ist. Ein weiterer Auslöser ist die Kritik an Homo- und Transphobie sowie am Rassismus. Dieser Frauen*streik fasst die Problematik von Diskriminierung viel breiter, nicht zuletzt deshalb auch das Sternchen.
Sie sind Professorin für Geschlechterforschung seit 18 Jahren. Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft der Frau in der Wissenschaft?
Eine Wissenschaftskultur, die frei von Diskriminierung von Frauen* ist, also dass in Verwaltung, Forschung und Lehre keine sexistischen Arbeitsbedingungen herrschen, gleiche Löhne etc. All dies ist wichtig, damit Frauen* am Wissenschaftsbetrieb tatsächlich gleichberechtigt teilhaben und ihre Fähigkeiten frei entfalten können. Es ist mir ein Anliegen, dass sich in den nächsten Jahren auch in der Schweiz eine exzellente Universität hier nicht nur durch ein grösseres Bewusstsein auszeichnet, sondern auch durch diskriminierungsfreie Strukturen in allen Bereichen. Das wünsche ich mir natürlich nicht nur für die Wissenschaft, sondern allgemein.