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Gestresst oder ängstlich? Frag das Gehirn!

Bei der Untersuchung der neuronalen Aktivität in der Amygdala von Mäusen konnten Neurowissenschaftler zwei grosse, antagonistische Neuronengruppen identifizieren. (links: Amygdala-Lokalisation im Maushirn; rechts: Amygdala-Neuronen. Bild: Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research)
Bei der Untersuchung der neuronalen Aktivität in der Amygdala von Mäusen konnten Neurowissenschaftler zwei grosse, antagonistische Neuronengruppen identifizieren. (links: Amygdala-Lokalisation im Maushirn; rechts: Amygdala-Neuronen. Bild: Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research)

Unser Handeln wird von inneren Zuständen wie Angst, Stress oder auch Durst bestimmt – die unser Verhalten stark beeinflussen und motivieren. Wie diese Zustände durch komplexe, im gesamten Gehirn vorhandene Schaltkreise dargestellt werden, war bisher unbekannt. Nun haben Forschende des Friedrich Miescher Instituts (FMI) und der Universität Basel die Aktivität der sogenannten Amygdala bei aktiven Mäusen beobachtet und dabei die neuronale Dynamik aufgedeckt, die verschiedene Verhaltenszustände kodiert, berichten sie in der Zeitschrift «Science».

23. April 2019

Bei der Untersuchung der neuronalen Aktivität in der Amygdala von Mäusen konnten Neurowissenschaftler zwei grosse, antagonistische Neuronengruppen identifizieren. (links: Amygdala-Lokalisation im Maushirn; rechts: Amygdala-Neuronen. Bild: Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research)
Bei der Untersuchung der neuronalen Aktivität in der Amygdala von Mäusen konnten Neurowissenschaftler zwei grosse, antagonistische Neuronengruppen identifizieren. (links: Amygdala-Lokalisation im Maushirn; rechts: Amygdala-Neuronen. Bild: Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research)

Ist eine Maus hungrig, wird sie nach Nahrung suchen. Wenn sie ängstlich ist, wird sie aufhören, ihre Umgebung zu erforschen – und entweder erstarren oder flüchten. Wie solche verschiedenen inneren Zustände mit dem Verhalten eines Tieres korrelieren, ist bisher eingehend erforscht worden. Es ist jedoch nur wenig darüber bekannt, wie das Gehirn diese internen Zustände kodiert und steuert.

Für ihre Studie hat die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Andreas Lüthi am FMI die neuronale Aktivität in der Amygdala von sich frei bewegenden Mäusen in verschiedenen Zuständen untersucht. Die Amygdala ist eine kleine, mandelförmige Gehirnstruktur, die als Knotenpunkt für die Regulation von affektivem, homöostatischem (Hunger und Durst) und sozialem Verhalten über weitreichende Vernetzungen mit vielen Gehirnregionen gilt. Es wird vermutet, dass die Amygdala eine bestimmte Rolle bei der Koordination unserer Hirn- und Verhaltenszustände spielt.

Aktive Neuronen sichtbar gemacht

Die Neurowissenschaftler Prof. Dr. Jan Gründemann und Dr. Yael Bitterman beobachteten mithilfe eines Bildgebungsverfahrens mit einem Miniaturmikroskop die neuronale Aktivität in der Amygdala – und zwar von Mäusen in verschiedenen Umgebungen –, die unterschiedliche interne Zustände und Verhaltensweisen auslösten. Die Forschenden identifizierten dabei zwei grosse, antagonistische Neuronengruppen (Ensembles), die in entgegengesetzten Verhaltenszuständen aktiv waren: Wenn die Mäuse ihre Umgebung erkundeten, war das neuronale Ensemble 1 aktiv; wenn nicht – und sich die Tiere in einem defensiven, nicht explorativen Zustand befanden –, erschien das neuronale Ensemble 2 als aktiv.

Überraschenderweise passte nun die Aktivität der Ensembles aber nicht zu den räumlichen Bereichen, die im Allgemeinen mit Angstzuständen verbunden sind – wie etwa auf einem offenen Feld –, sondern spiegelte momentane Zustandsänderungen der Maus wider. Zudem rechneten die Wissenschaftler nicht damit, dass komplexe innere Zustände und deren Verhaltensweisen mit relativ einfachen, niedrig dimensionalen Aktivitätsmustern in der Amygdala kodiert werden. Ihre Studie zeigt, dass die beiden identifizierten neuronalen Ensembles gegensätzliche, schnelle Veränderungen in inneren Zuständen kodieren, und zwar vor allem in Bezug auf exploratives und defensives Verhalten. Dagegen liefern die Ensembles kein Mass für das generelle Angstlevel eines Tiers.

Gehirn direkt befragt

«Die Stärke dieser Studie liegt darin, dass es uns gelungen ist, das Gehirn direkt nach dem affektiven Zustand der Maus zu befragen», sagt Gruppenleiter Lüthi. «Wenn wir ein Verhalten verstehen wollen, müssen wir das Gehirn verstehen. Schlussfolgerungen zu ziehen, die nur auf standardisierten Verhaltensbeobachtungen basieren, kann irreführend sein.» Als Nächstes will die Forschungsgruppe mehr darüber herausfinden, wie die aktiven Ensembles in der Amygdala entstehen und wie sie andere Regionen im Gehirn beeinflussen können.

Ob diese Ergebnisse für Angststörungen beim Menschen relevant sein können, wird noch diskutiert. «Die Kodierung von inneren Zuständen – etwa von Angst – könnte beim Menschen ähnlich funktionieren wie bei Mäusen», so Lüthi weiter. «Es ist denkbar, dass bei einer Person mit einer Angststörung ein Ungleichgewicht zwischen neuronalen Ensembles besteht, die bestimmte innere Zustände kodieren.» Es werde interessant sein, diese Hypothese in Tiermodellen für psychiatrische Erkrankungen zu überprüfen.

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