Molekularer Mechanismus des Langzeitgedächtnisses entdeckt
Forschende der Universität Basel haben einen molekularen Mechanismus entdeckt, der eine zentrale Rolle für ein intaktes Langzeitgedächtnis spielt. Gleichzeitig ist dieser Mechanismus am physiologischen Gedächtnisverlust im Alter beteiligt.
30. November 2020
Verschiedene Lebewesen, vom Wurm bis zum Menschen, verfügen über differenzierte Gedächtnisfunktionen, so etwa über ein Kurz- und ein Langzeitgedächtnis. Interessanterweise sind auf Ebene der Zellen und Moleküle viele dieser Funktionen unter den Lebewesen nahezu identisch. Das Aufspüren der Moleküle, die an den Gedächtnisprozessen beteiligt sind, ist sowohl für die Grundlagen- als auch für die klinische Forschung von grosser Bedeutung, weil sie den Weg zur Entwicklung von Medikamenten gegen Gedächtnisstörungen weisen können.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Transfakultären Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences (MCN) der Universität Basel haben nun durch Studien an Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans) einen molekularen Mechanismus des Langzeitgedächtnisses entdeckt, der auch am Gedächtnisverlust im Alter beteiligt ist. Davon berichten sie im Fachjournal «Current Biology».
Das Team um Dr. Attila Stetak, Prof. Dr. Andreas Papassotiropoulos und Prof. Dr. Dominique de Quervain untersuchte zunächst anhand sensorischer Reize die Lern- und Gedächtnisfähigkeit von genetisch veränderten Fadenwürmern, denen ein bestimmtes Gen, mps-2, fehlte. Dieses Gen enthält den Bauplan für einen Teil eines spannungsabhängigen Ionenkanals in der Nervenzellmembran und steht im Verdacht, eine Rolle bei Gedächtnisfunktionen zu spielen.
Es zeigte sich, dass diese Würmer im Vergleich zu nicht manipulierten Exemplaren zwar gleich gutes Kurzzeitgedächtnis besassen. Mit zunehmender Dauer des Experiments stellten die Forscher allerdings fest, dass die genetisch veränderten Würmer das Erlernte schlechter behalten konnten. Ohne mps-2 hatten die Tiere also ein reduziertes Langzeitgedächtnis.
Altersabhängiger Gedächtnisverlust
Bei Fadenwürmern lässt sich ähnlich wie beim Menschen ein Verlust der Gedächtnisfähigkeit mit zunehmendem Alter beobachten. Die molekularen Grundlagen dieses Prozesses sind jedoch weitgehend unklar. In weiterführenden Experimenten konnten die Forschenden nachweisen, dass natürliche Würmer, die über das mps-2-Gen verfügen, im Alter eine starke Reduktion an MPS-2-Protein aufweisen, dem Produkt des Gens. Dies hing mit einer reduzierten Gedächtnisleistung zusammen.
Dieser Mangel an MPS-2-Protein stellte sich dabei keineswegs als passiver, sondern als aktiv regulierter Prozess heraus. Als verantwortlichen Regulator dieses Mangels konnte das Forschungsteam ein anderes Protein, NHR-66, identifizieren, welches im Alter das Ablesen des mps-2-Gens und damit die Produktion des MPS-2-Proteins aktiv drosselt. Wurde älteren Würmern MPS-2-Eiweiss zugeführt oder NHR-66 ausgeschaltet, hatten sie ein ähnlich gutes Gedächtnis wie jüngere Würmer. Beide Moleküle, MPS-2 und NHR-66, bilden daher interessante Angriffspunkte für Medikamente, die altersabhängiges Vergessen abmildern könnten. In weiteren Studien wollen die Forschenden daher die therapeutischen Möglichkeiten auf Basis ihrer Entdeckung prüfen.
Die aktuelle Studie ist Teil des Basler Genetik-Gedächtnis-Projekts der Transfakultären Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences, welche von Andreas Papassotiropoulos und Dominique de Quervain geleitet wird. Ziel ist eine möglichst rasche Überführung von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in Medikamentenstudien und klinische Projekte.
Originalpublikation
Fenyves BG, Arnold A, Gharat VG, Haab C, Tishinov K, Peter F, de Quervain DJF, Papassotiropoulos A, Stetak A.
Dual role of an mps-2/KCNE-dependent pathway in long-term memory and age-dependent cognitive decline.
Current Biology (2020), doi: 10.1016/j.cub.2020.10.069
Weitere Auskünfte
Prof. Dr. Andreas Papassotiropoulos, Universität Basel, Transfakultäre Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences, Tel. +41 61 267 05 99, E-Mail: andreas.papas@unibas.ch
Dr. Attila Stetak, Universität Basel, Transfakultäre Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences, Tel. +41 61 207 20 02, E-Mail: a.stetak@unibas.ch