Neuer Blutmarker liefert Hinweise auf Fortschreiten der Multiplen Sklerose
Die Nervenschädigung bei Multipler Sklerose lässt sich anhand der Konzentration von Neurofilament im Blut erfassen. Dieses nervenspezifische Protein liefert wertvolle Hinweise über den zu erwartenden Krankheitsverlauf und die Wirksamkeit der Therapie, wie Forschende der Universität und des Universitätsspitals Basel berichten.
17. Februar 2022
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu zeitweisen oder bleibenden Funktionsstörungen und zunehmender Behinderung führt. Sie kann jedoch individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Das macht es schwierig, die Krankheitsaktivität frühzeitig zu erkennen und die Behandlung auf die einzelne Person mit MS anzupassen.
Forschende um Prof. Dr. Jens Kuhle haben nun die Bedeutung des ausschliesslich in Nervenzellen vorkommenden Proteins Neurofilament (NfL) als wertvollen und spezifischen Marker für Nervenschäden bei MS beschrieben. Davon berichten sie im Fachjournal «Lancet Neurology».
Für ihre Studie bestimmten die Forschenden NfL-Konzentrationen in mehr als 20‘000 Blutproben von über 10‘000 MS-Betroffenen und Kontrollpersonen (siehe Box). Dabei konnten sie die Effekte des Alterns und des Körpergewichts auf die gemessenen Konzentrationen bewerten und die Schwelle zu krankhaft erhöhten Werten genauer bestimmen.
Die Daten nutzten sie, um eine internationale Referenzdatenbank zu erstellen, dank der sich die individuellen Blutwerte von MS-Betroffenen aussagekräftig einordnen lassen. Mithilfe dieser Methode konnte das Team zudem die Wirkung verschiedener MS-Therapien besser einander gegenüberstellen.
Marker zeigt aktuelle und künftige MS-Aktivität
In zwei unabhängigen, grossen Gruppen von Personen mit MS zeigte sich ein starker Zusammenhang zwischen einer erhöhten Konzentration von NfL im Blut und einer aktuellen Krankheitsaktivität im zentralen Nervensystem.
Bemerkenswert war, dass die Forschenden mit dieser präzisen Methode eine erhöhte NfL-Konzentrationen auch bei einem Teil der MS-Betroffenen feststellen konnten, bei denen die Erkrankung nach herkömmlichen Kriterien nicht fortzuschreiten schien. «Auch wenn der Zustand dieser Betroffenen mit den heute zur Verfügung stehenden klinischen und bildgebenden Methoden stabil scheint, schreitet die Schädigung des Nervensystems bei einem Teil der Betroffenen offenbar schleichend und zunächst unbemerkt voran», erklärt Dr. Pascal Benkert, der sich die Erstautorenschaft der Studie mit Doktorandin Stephanie Meier teilt.
Die Forschungsgruppe für klinische Neuroimmunologie, die in den Departementen Klinische Forschung und Biomedizin beheimatet ist, zeigt zudem, dass dieser Blutmarker auch gewisse Vorhersagen zulässt: Patientinnen und Patienten mit hohen NfL-Konzentrationen im Blut haben demnach ein erhöhtes Risiko für künftige MS-Krankheitsaktivität. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für entzündliche Schübe oder eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands höher.
Die Resultate der Studie zeigen, dass dieser Blutmarker im Vergleich zu den bisher verwendeten Methoden genauere Aussagen zur Krankheitsaktivität zulässt. «Die Ergebnisse machen Hoffnung, dass man die Therapiewahl künftig besser begründen und auf den individuellen Verlauf abstimmen kann», so Studienleiter Jens Kuhle. «Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer auf die Patientin oder den Patienten massgeschneiderten MS-Therapie.»
Originalpublikation
Pascal Benkert, Stephanie Meier et al.
Serum neurofilament light chain for individual prognostication of disease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study.
Lancet Neurology (2022)
Über die Studie
Die Ergebnisse beruhen auf einer systematischen Untersuchung von über 5000 MS-Betroffenen aus der schweizerischen MS-Kohortenstudie und dem schwedischen MS-Register sowie von über 10'000 Blutproben von rund 5000 gesunden Personen aus den USA und Europa über zehn Jahre hinweg, welche zur Testung und Validierung der Referenzdatenbank herangezogen wurden.