Wie sich soziale Ausgrenzung auf das Wahlverhalten auswirkt
Das Wahlrecht ist ein wichtiger Bestandteil einer Demokratie. Doch nicht alle machen davon Gebrauch. Eine Forscherin der Universität Basel hat untersucht, welche Ursachen das haben könnte.
07. November 2024 | Olivia Fischer
Das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, kennen die meisten Menschen. Ostrazismus – wie das Ausschliessen und Ignorieren einer Person in der Fachsprache heisst – ist weit verbreitet, und hat gravierende Konsequenzen.
Die Forscherin Natalia Bogatyreva von der Fakultät für Psychologie der Universität Basel hat Ostrazismus im Zusammenhang mit dem Wahlverhalten untersucht. Ihr Ergebnis: Sozial ausgeschlossene Menschen gehen weniger oft wählen. Ihre Erkenntnisse hat sie im Journal «Political Psychology» publiziert.
«Ostrazismus betrifft viele Menschen und hat unterschiedliche Formen. Genau das macht dieses Phänomen so spannend», erklärt die Sozialpsychologin. In manchen Fällen wird jemand zum Beispiel nicht in eine Konversation einbezogen oder nicht zu einer Aktivität eingeladen, weil die Person nicht den Normen entspricht. In gravierenderen Fällen geschieht Ausgrenzung aufgrund von Sexualität, einer Behinderung, psychischen Erkrankungen oder Obdachlosigkeit. Das kann zu einem fast vollkommenen Ausschluss aus einer Gemeinschaft oder der Gesellschaft führen.
Ausgrenzung hemmt die Wahlbeteiligung
Um den Zusammenhang zwischen Ostrazismus und dem Wahlverhalten zu untersuchen, wertete Natalia Bogatyreva zwei Umfragen aus, an denen 5765 Menschen aus elf Europäischen Ländern teilgenommen haben. Die Teilnehmenden gaben unter anderem an, ob sie bei der letzten Wahl in ihrem Land ihre Stimme abgegeben haben, und wie oft sie sich im Alltag ausgeschlossen fühlen.
Die Datenauswertung zeigte klar: Je stärker sich eine Person sozial isoliert wähnt, desto höher ist die Chance, dass sie nicht wählen geht. Statistisch bereinigte Vorhersagen aus der Analyse zeigen sogar, dass die am stärksten ausgeschlossenen Menschen nur halb so oft wählen gehen wie Personen, die sozial gut integriert sind.
Eine Frage der Ressourcen
«Demokratisches Wählen ist ein sehr sozialer Prozess. Oft ausgeschlossene Menschen fühlen sich davon nicht mehr angesprochen, da sie emotional von der Gesellschaft abgeschnitten sind», mutmasst Bogatyreva.
Ein anderer Grund könnte sein, dass sozial ausgeschlossene Menschen keine Kapazität mehr haben, sich demokratisch zu beteiligen. «Sich mit Politik zu beschäftigen braucht Zeit und Energie. Ressourcen, die physisch oder psychisch kranken Menschen vielleicht nicht ausreichend zu Verfügung stehen», sagt Bogatyreva.
Nichtsdestotrotz nimmt die Mehrheit der sozial ausgeschlossenen Menschen ihr Wahlrecht wahr. Verleihen sie ihrer Frustration Ausdruck, indem sie populistischen Parteien den Vorzug geben? Diese These liess sich nach Analyse der Forschenden um Natalia Bogatyreva nicht bestätigen. Auch rechts- oder linkspopulistische Ideologien scheinen die Betroffenen nicht zu bevorzugen. «Ausgeschlossene Menschen tendieren dazu,gemässigte Parteien zu wählen, vielleicht auch als Versuch, wieder ein Teil der Gesellschaft zu werden.» Um diese Vermutung zu überprüfen, wäre weitere Forschung nötig.
Für eine demokratischere Gesellschaft
Je mehr Menschen sich an Wahlen beteiligen, desto repräsentativer ist eine Demokratie. Wie kann es gelingen, ausgeschlossene Menschen vermehrt in den Prozess einzubinden? Bogatyreva erklärt: «Das Beste, was ein Staat für ausgeschlossene Menschen tun kann, ist, sie in ihrer psychischen Gesundheit zu unterstützen und zum Beispiel Psychotherapie zugänglicher zu machen.»
Doch auch auf persönlicher Eben könne jede und jeder mithelfen; zum Beispiel indem man grosse Gruppen bildet, die gemeinsam wählen gehen, und bei denen sich alle anschliessen können. Wege wie diese helfen, soziale Ausgrenzung zu vermindern und Demokratien zu stärken.
Originalpublikation
Natalia Bogatyreva et al.
Ostracism as a threat to modern democracies: Evidence from 11 European countries
Political Psychology (2024), doi: 10.1111/pops.13046