Die Entdeckung von TOR: Vom Labor in die Klinik
In den frühen 1990er Jahren entdeckte der Biochemiker Michael N. Hall das Protein «TOR» in Hefezellen. Später stellte sich heraus, dass TOR bei vielen Organismen das Zellwachstum zentral steuert und mit Krankheiten wie Diabetes und Krebs zusammenhängt. Die Entdeckung von TOR ebnete den Weg für neue Therapien.
Die rasanten technischen Entwicklungen und Fortschritte in der molekularbiologischen Forschung führten in den letzten 50 Jahren zu einem enormen Wissenszuwachs im Verständnis zellulärer Lebensprozesse. Auch wenn sich Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung nicht unmittelbar in medizinischen Anwendungen niederschlagen, so helfen sie uns doch, die Ursachen von Krankheiten besser zu verstehen und neue Behandlungen zu entwickeln.
Ein Beispiel, welchen Stellenwert die Grundlagenforschung für die Medizin hat, ist die Entdeckung des Proteins «Target of Rapamycin», kurz TOR. Der Biochemiker Michael N. Hall hat dieses Protein erstmals vor etwa dreissig Jahren als junger Professor am Biozentrum der Universität Basel in einzelligen Hefen identifiziert und herausgefunden, dass TOR durch das An- oder Abschalten vielfältiger Signalwege eine fundamentale Rolle in der Zelle spielt und deren Stoffwechseln sowie das Wachstum massgeblich steuert.
Das Protein TOR kontrolliert Zellwachstum
«Mit der Entdeckung des TOR-Proteins war es noch lange nicht getan – das war nur der Anfang», sagt Hall. «Über all die Jahre haben wir gelernt, dass TOR das Wachstum einer Zelle kontrolliert und konnten mit anderen Forschenden die zugrundeliegenden Mechanismen aufdecken. Dies sowohl in einfachen Hefezellen als auch in komplexen Organismen wie Pflanzen, Insekten und Tieren, den Menschen eingeschlossen.» In Säugetieren wird das TOR-Protein auch als mammalian TOR oder mTOR bezeichnet.
Mit seiner Forschung hat Hall das Verständnis von Zellwachstum grundlegend verändert. Ging man früher davon aus, dass Zellen einfach so wachsen, wenn genügend Nährstoffe vorhanden sind, konnte Hall beweisen, dass dies ein streng durch TOR regulierter Vorgang ist. Weiterhin kristallisierte sich in den letzten Jahren immer mehr heraus, dass TOR auch beim Altern sowie einer Vielzahl von Krankheiten, wie etwa Krebs, eine wichtige Rolle spielt. Krebszellen sind krankhaft veränderte Zellen, bei denen die Kontrolle über das normale Wachstum verloren gegangen ist. Sie wachsen und teilen sich daher unentwegt.
Krebsentstehung und TOR
Ein Grund für dieses unkontrollierte Wachstum ist unter anderem ein fehlgesteuertes mTOR-Signalnetzwerk. Man schätzt, dass etwa 70 Prozent aller Krebserkrankungen darauf zurückzuführen sind. Anhand von Zellkulturen und Tiermodellen konnte Halls Team belegen, dass mTOR in Tumorgewebe verstärkt aktiv ist und über verschiedene Signalwege das Wachstum der Krebszellen begünstigt. Durch die Behandlung mit dem bekannten Krebsmedikament Rapamycin, welches die Aktivität von mTOR hemmt, kann man das Tumorwachstum oftmals bremsen. Auch die zahlreichen mTOR-Signalwege, die in den vergangenen Jahren aufgeklärt wurden, geben neue Anhaltspunkte für zielgerichtete Krebstherapien.
Mit dem vertieften Verständnis von TOR hat sich auch Halls Betätigungsfeld erweitert. Neben der Grundlagenforschung im Labor, widmet sich seine Gruppe vermehrt translationalen Projekten. Diese Art von Forschung bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Grundlagen- und klinischer Forschung. Gemeinsam mit Medizinerinnen und Medizinern überprüft Hall, ob sich seine Erkenntnisse aus dem Labor auf die Klinik und die Behandlung von Krankheiten übertragen lassen.
Resistente Krebszellen im Fokus
Dafür hat sich der Biochemiker im translationalen Projekt «MERiC» mit dem Universitätsspital Basel und dem Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel zusammengeschlossen. Gefördert wird dieses Konsortium vom Europäischen Forschungsrat ERC mit einem «Synergy Grant». Ziel ist es herauszufinden, welche Signalwege in verschiedenen Krebsarten fehlreguliert sind und wie Krebsmedikamente das Tumorwachstum bremsen. Dies ist von Bedeutung, da Tumorzellen oftmals Wege finden sich der krebshemmenden Wirkung von Medikamenten zu entziehen und ihr unkontrolliertes Wachstum fortzusetzen. Modellsysteme für das Leberzellkarzinom und Analysen von Tumorbiopsien, die Erkrankten zu verschiedenen Zeitpunkten entnommen werden, sollen Aufschluss darüber geben, wie Tumore resistent gegen Medikamente werden.
Diabetes und TOR
Zudem arbeiten Hall und sein Team auch mit klinischen Forschenden am Claraspital in Basel zusammen. Hierbei geht es um die Rolle von mTOR im Stoffwechsel, speziell bei der Entstehung von Diabetes. Untersuchungen von übergewichtigen Mäusen weisen darauf hin, dass Zellen im Fettgewebe diabetisch, also insulinresistent, werden und infolgedessen Entzündungen auftreten. «Dass mTOR involviert ist, wissen wir, aber noch nicht genau wie», sagt Hall. «Die Analyse von Proben aus Fettgewebe von stark übergewichtigen Patienten als auch Normalgewichtigen sowie Diabetikern soll hier Licht ins Dunkel bringen.»
Halls grundlegende Erkenntnisse zu TOR haben es in den vergangenen drei Jahrzehnten von der Grundlagenforschung in die klinische Praxis geschafft. Pharmafirmen entwickeln Krebsmedikamente, sogenannte TOR-Inhibitoren, die einer fehlerhaften Aktivierung von TOR in Tumorzellen entgegenwirken. Dazu gehören die bereits zugelassenen Medikamente «Afinitor» von Novartis oder «Torisel» von Pfizer.
Halls bedeutende Forschungserfolge würdigte die Wissenschaftsgemeinschaft mit zahlreichen hochdotierten Auszeichnungen wie den «Lasker Award», den «Gairdner Award» oder den «Breakthrough Prize in Life Sciences», um nur drei aus einer langen Liste zu nennen. Seit 2014 ist Hall zudem Mitglied in der amerikanischen «National Academy of Sciences» (NAS).
Den Ursachen resistenter Tumore auf der Spur
Der Synergy Grant ist das höchstdotierte Förderinstrument des Europäischen Forschungsrates (ERC). In dem ERC-Projekt Project «MERiC – Mechanism of Evasive Resistance in Cancer» kombinieren Hall und seine Kolleginnen und Kollegen molekulare Grundlagenforschung, klinische Forschung und Computational Sciences und gehen damit den Ursachen der Entstehung resistenter Tumore systematisch auf den Grund. Mit dem Wissen um die Ausweichstrategien von Krebszellen können prädiktive Biomarker identifiziert und effektivere, zielgerichtete Therapien entwickelt werden.