x
Loading
+ -
Rechner der Zukunft (02/2017)

57 Sekunden sind Weltrekord

Text: Benedikt Vogel

Der Quantencomputer, an dem Basler Physiker arbeiten, will den Elektronenspin als Träger digitaler Informationen nutzen. Dafür muss der Spin genug lange stabil gehalten werden. In Basel wurde kürzlich ein neuer Weltrekord aufgestellt.

Im Labor an der Klingelbergstrasse in Basel: Wo früher ein Beschleuniger für Elementarteilchen stand, haben Wissenschaftler ein Experiment aufgebaut, mit dem sie Elektronen auf kleinstem Raum fixieren können. Neben zwei Heliumtanks und einem Turm aus Messgeräten ragt ein Kolben in den Raum. Er trägt an seiner Spitze einen 5 mal 5 Millimeter grossen Chip aus dem Halbleitermaterial Galliumarsenid. Damit untersuchen Forschende um Physikprofessor Dominik Zumbühl, wie ein Elektron so manipuliert werden kann, dass es sich zum Bau eines Quantencomputers eignet.

Erst kürzlich konnten die Wissenschaftler einen Weltrekord vermelden: Sie schafften das Kunststück, den Spin eines Elektrons während 57 Sekunden in einer Richtung zu halten und daran zu hindern, in die Gegenrichtung zu kippen. Damit übertrafen sie den eigenen 1-Sekunden-Rekord von 2008 bei Weitem, aber auch jenen von 30 Sekunden, den ein australisches Team im Frühjahr 2017 mit einem Silizium-Chip aufgestellt hatte. «Dieses Ergebnis ist ein Zwischenschritt auf dem langen Weg zu einem Quantencomputer», sagt Zumbühl. «Wenn wir einen solchen Hochleistungsrechner bauen wollen, müssen wir den Elektronenspin erstens stabil halten und zweitens auch gezielt steuern können.»

Um die Bedeutung des neuen Weltrekords zu ermessen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Basler Physiker mit einem unvorstellbar kleinen Gegenstand hantieren. Das Elektron ist ein Teilchen fast ohne Ausdehnung: Hätte ein Stecknadelkopf die Grösse unserer Sonne, fänden im Durchmesser eines menschlichen Haars immer noch mehr als 1000 Elektronen Platz. Dieser Winzling trägt eine elektrische Ladung, die wegen der Eigenrotation ein – extrem schwaches – Magnetfeld erzeugt: den Spin. Weil ein Magnetfeld stets eine Richtung hat, wird der Elektronenspin gern durch einen Pfeil veranschaulicht. Unter dem Einfluss eines von aussen angelegten Magnetfelds kann der Spin zwei Richtungen einnehmen: «nach oben» oder «nach unten». Im natürlichen Zustand tendiert der Spin dazu, vom Zustand «nach oben» auf den energetisch tieferen Zustand «nach unten» zu kippen.

Diesen Kippvorgang – Physiker sprechen von Relaxation – suchen die Wissenschaftler um Zumbühl zu verhindern oder möglichst lange zu verzögern. Denn nur solange sich der Elektronenspin in einer Richtung halten lässt, kann er als zuverlässiger Informationsträger verwendet werden. Den Forschern ist nun ein Experiment geglückt, in dem der Elektronenspin 57 Sekunden «nach oben» zeigte. Eine stabile und zweckmässige Versuchsanordnung auf kleinstem Raum zu kreieren, war eine grosse Herausforderung. Das Elektron – platziert auf dem erwähnten Chip – muss dabei mit ausgeklügelten Techniken auf 60 Millikelvin – knapp über dem absoluten Nullpunkt – gekühlt werden. Während des mehrtägigen Versuchs wurden Tausende von Relaxationen gemessen – ihr Durchschnittswert betrug 57 Sekunden.

Teil der Versuchsanordnung war ein Mechanismus, mit dem sich feststellen lässt, wie lange der Spin «nach oben» zeigt, bevor er kippt. Die Bestimmung der Spinrichtung ist sehr anspruchsvoll, denn das äusserst schwache Magnetfeld des Elektrons lässt sich nur schwer messen. Die Physiker griffen deshalb zu einem Trick: Sie bestimmten die Spinrichtung nicht über das Magnetfeld, sondern entwickelten eine Messanordnung, die sich die Ladung und das höhere Energieniveau des «Nach-oben»-Zustands zunutze macht.

Die Relaxationszeit von 57 Sekunden ist ein wissenschaftlicher Erfolg. Ob der Quantencomputer einmal Realität wird, hängt allerdings nicht mit der Relaxation, sondern mit der Kohärenz zusammen. Das ist die Dauer, während welcher der Spin zuverlässig in einer Richtung («nach oben» oder «nach unten») gehalten werden kann. Die Erforschung der Relaxation hilft den Pionieren des Quantencomputers, die Kohärenz des Elektronenspins zu nutzen.


Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

nach oben