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Mehr! (02/2021)

Gemeinsam stark.

Text: Noëmi Kern

Sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, liegt in der Natur des Menschen. Was dabei entstehen kann, zeigt das Beispiel Gundeldinger Feld in Basel. Für ein solches Zusammenwachsen sind heterogene Gesellschaften keine Bedrohung, sondern eine Chance.

Blick von oben auf die Aussenterasse eines Restaurants und weitere Gebäude des Gundeldinger Felds.
Das Gundeldinger Feld in Basel. (Foto: Martin Zeller)

Tooor! Die Leute jubeln, es entsteht ein kollektiver Freudentaumel im Fussballstadion. Die Liebe zum Fussball und «ihrem» Verein macht die Menschen im Stadion zu Verbündeten, zu einer Gemeinschaft. Und das, obwohl – oder gerade weil – sie sich kaum kennen. Nach dem Spiel werden sie wieder auseinandergehen – und sich vielleicht nie wieder sehen.

Oto Potluka kennt solche Gemeinschaftsphänomene. Der Staatswissenschaftler forscht am Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel dazu, wie Gemeinschaften entstehen, was sie stärkt und was sie schwächt. Gerade beim Sport zeige sich die Dynamik der Gemeinschaftsbildung gut: «Er ist der kleinste gemeinsame Nenner der Menschen im Stadion. Aus dem Jubel kann mehr entstehen, muss aber nicht», sagt er.

Aber nicht nur Erfolgserlebnisse sorgen für Gemeinschaft. Im Gegenteil, negative Erfahrungen sind sogar ein stärkerer Treiber: «Krisen wie die Corona-Pandemie fördern den Zusammenhalt», sagt er. «Dann sind die Menschen bereit, anderen zu helfen.» Man führe sich vor Augen, dass man selber in einer schwierigen Situation auch froh wäre um Unterstützung.

Schliesslich ist der Mensch ein soziales Wesen. Wir wollen uns mit Gleichgesinnten zusammenschliessen, ein gemeinsames Ziel verfolgen. Deshalb entstehen Gemeinschaften – formell organisierte wie Vereine oder lose Gruppierungen wie eine Jassrunde. Was zählt, ist der Einsatz: «Das Wichtigste ist, dass die Leute aktiv sind. Nur so kann etwas entstehen», sagt Potluka.

Gemeinschaftliches Handeln kann einiges bewirken. Das zeigt das Beispiel Gundeldinger Feld – ein privates Stadtentwicklungsprojekt im Basler «Gundeli»-Quartier. Oto Potluka hat in einer Fallstudie dazu untersucht, wie soziale Innovation in der Stadtentwicklung erfolgreich sein kann.

Ein gemeinsames Ziel eint

Ausgangspunkt des Projekts war der Wegzug eines Maschinenbauunternehmens vor 20 Jahren. «Die Unsicherheit, wie es mit dem Areal weitergeht und wie dies das Zusammenleben im Quartier beeinflusst, bereitete den Anwohnern Sorge», erzählt Potluka. Um eine Lösung zu finden, die zum Quartier passt, machten sich fünf Privatpersonen gemeinsam Gedanken zur Zukunft des Areals. Es sollte ein Raum werden, in dem sich die Quartierbevölkerung begegnet.

Anstatt ihre Ideen einfach umzusetzen, befragten die Initianten weitere Leute zu ihren Wünschen und Bedürfnissen. So kamen auch deren Befürchtungen und Ängste auf den Tisch. «Das ist nur möglich, wenn man miteinander kommuniziert», sagt Oto Potluka. Er ist überzeugt: Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen sind entscheidend, damit funktionierende Gemeinschaften entstehen.

Auf dem Gundeldinger Feld konnten sich verschiedene Interessengruppen einbringen. Das sorgte allerdings auch für Konflikte: Je mehr Leute, desto unterschiedlicher die Ziele. Es war aber auch eine Chance: «Die Ressourcen wachsen mit der Anzahl der Involvierten. Und ein gemeinsames Ziel eint», so Potluka. Durch die Möglichkeit, mitzugestalten, sei die Akzeptanz in der Bevölkerung besser, als wenn irgendein Investor auf dem Areal seine Ideen im Alleingang verwirklicht hätte, vermutet er.

Ohne Geld ging es dennoch nicht. Die Initianten aktivierten ihre eigenen Netzwerke, um Firmen als Mieterinnen und Investoren zu finden. Heute gibt es auf dem Gundeldinger Feld unter anderem Kinderkrippe neben Gastronomie, Brauerei neben Kletterhalle, Tonstudio neben Büroräumlichkeiten. Das ist gelebte Heterogenität par excellence, die längst nicht nur Quartierbewohner anzieht.

Das Fazit aus Oto Potlukas Fallstudie: «Die Erfolgsfaktoren sind für mich Dialog, Machtteilung, Netzwerk und die Finanzierung.» Das erfolgreiche Gundeldinger Feld lädt zur Nachahmung ein. Aber: «Man kann ein Modell nicht einfach an einem anderen Ort implementieren. Jeder Ort hat seine eigenen Gegebenheiten, denen man Rechnung tragen muss.»

Heterogenität als Chance

Das Gundeldinger Feld ist ein Beispiel für eine «Bottom up»-Lösung: Das Projekt wurde von A bis Z auf privater Ebene «von unten» durchgeführt, der Staat musste nicht «top down» eingreifen. Für Oto Potluka ist «bottom up» eine gute Vorgehensweise in einer wachsenden, heterogenen Gesellschaft. Solche Initiativen entstehen vor Ort und berücksichtigen die Bedürfnisse der ansässigen Bevölkerung. In der Wissenschaft spricht man auch von Place Based Management.

Das föderalistische System der Schweiz begünstige das und die direkte Demokratie unterstütze den Dialog. «Nehmen wir die Berner Gemeinde Moutier: Die Menschen durften an der Urne darüber entscheiden, dass sie künftig dem Kanton Jura angehören wollen», sagt Oto Potluka. Ohnehin stellt der Tscheche fest: «In der Schweiz nimmt man sich Zeit, um einen Konsens zu finden.»

Das ist nicht immer einfach: Die Bevölkerung wächst und durch die Migration treffen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen aufeinander. «Dann ist die Kommunikation untereinander besonders wichtig, um sich zu finden und gemeinsam zu Lösungen zu kommen», sagt der Wissenschaftler. Er ist überzeugt: «Gelingt dies, ist die Heterogenität eine Chance für die Gemeinschaft.»

Gemeinschaften bestehen weltweit

Sofern sich denn Menschen, die in der Fremde leben, überhaupt einbringen. Den Vorwurf, dass Expats in ihrer eigenen Blase leben, hört man immer wieder. «Wer Kontakte knüpfen und sich engagieren will, tut das, egal, wo auf der Welt er lebt», sagt Potluka aus eigener Erfahrung. Er selber ist seit drei Jahren aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Binningen. «Meiner Meinung nach ist eine Gemeinschaft aber nicht zwangsläufig ortsgebunden, sie kann auch im virtuellen Raum bestehen.» Die Digitalisierung habe es einfacher gemacht, sich rund um den Globus mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Pandemie hat das nochmals unterstrichen. Dadurch entstehen neue Formen von Gemeinschaften.

Jene, die nur übers Internet existieren, unterscheiden sich dabei von solchen, in denen sich die Leute untereinander persönlich kennen. «Wenn man an einem Ort lebt und die Menschen regelmässig trifft, wirkt die sogenannte innere Kohäsion stärker», weiss Potluka. Je ausgeprägter sie ist, desto höher die Hürde, die Gemeinschaft zu verlassen. «Die Leute im ‹Gundeli› konnten nicht von heute auf morgen wegziehen, als sich die Verhältnisse auf dem Gundeldinger Feld änderten. Aber weil sie sich einbringen konnten, wurde das Projekt zu ihrem eigenen. Das stärkt ihre Verbindung zu diesem Ort.»

Funktionierende Gemeinschaften kommen allen zugute. Die Forschung zeigt, dass eine Gesellschaft, in der sich die Menschen zusammenschliessen, stabiler ist. Indem sie ihre Interessen mit anderen teilen, fühlen sie sich zugehörig. Man spricht dabei von sozialem Kapital: «Wo es viele Gemeinschaften gibt, sind die sozialen Netzwerke dichter. Man kennt sich besser, diskutiert Themen und findet dadurch schneller Lösungen», erläutert Potluka. Das ist gut für den sozialen Frieden.

Kann das Gefühl der Zugehörigkeit nicht auch dazu führen, dass sich Gemeinschaften gegenseitig bekriegen? Der Wissenschaftler verneint und schlägt nochmals die Brücke zum Fussball. «Fans unterschiedlicher Clubs eines Landes sind zwar in der Meisterschaft Rivalen, aber sie können nicht ohne einander. Und auf internationaler Ebene feuern alle dasselbe Team an. Was dann zählt, ist die gemeinsame Freude am Fussball.»


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