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Folge mir! (02/2022)

Schnelles Sehen, langsames Sehen.

Text: Angelika Jacobs

Signale aus der Peripherie unserer Netzhaut haben einen viel längeren Weg zum Sehnerv als die aus dem Zentrum der Retina. Warum also nehmen wir keine Verzögerung zwischen unserem zentralen und dem peripheren Blickfeld wahr? Dieser Frage gehen Forschende der Universität Basel und des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) nach.

Kugelförmige Zellkörper zwischen Strängen von Axonen
Die Ganglienzellen der Retina leiten die Signale der Lichtsinneszellen an den Sehnerv. Mikroskopische Aufnahme eines Ausschnitts der Netzhaut: In Cyan sieht man die Zellkörper der retinalen Ganglienzellen, in weiss ihre Fortsätze (Axone). In dunkelblau sind die Zellkerne von Blutgefässzellen zu sehen. (Bild: Annalisa Bucci, IOB)

Rund fünf Zentimeter misst die menschliche Netzhaut im Durchmesser. Über die gesamte Retina verteilt sitzen Lichtsinneszellen, die Lichtreize in elektrische Signale umwandeln. Anschliessend gelangen diese Signale über Nervenzellen (genauer gesagt Ganglienzellen) der Netzhaut zum Sehnerv. Dieser besteht aus Fortsätzen (Axonen) dieser Ganglienzellen und verbindet das Auge mit dem Gehirn. Er entspringt nahe dem Zentrum der Retina im sogenannten blinden Fleck. Die Signale aus der Peripherie haben also einen viel längeren Weg zum Sehnerv als die aus dem Zentrum der Retina. Wie kommt es, dass wir keine Verzögerung zwischen unserem zentralen und dem peripheren Blickfeld wahrnehmen? Rechnet das Gehirn die zeitliche Verschiebung heraus oder geschieht die Synchronisierung bereits in der Retina?

Gesamtbild der Retina
Mikroskopisches Bild der Retina, in Blau sind Blutgefässe eingefärbt, der magenta-farbige Ausschnitt zeigt die Axone der Ganglienzellen, die sich um die Sehgrube (Fovea) biegen. (Bild: Annalisa Bucci, IOB)

Dieser Frage geht die Forschungsgruppe von Felix Franke am Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen von der ETH Zürich nach. Im Zuge ihrer Doktorarbeit hat Annalisa Bucci menschliche Netzhaut von Verstorbenen untersucht, die ihre Organe zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt hatten. Zum einen färbte sie die Zellen der Retina, um die Eigenschaften der retinalen Ganglienzellen und ihrer Fortsätze, der Axone, zu analysieren. Zum anderen konnte sie mithilfe eines elektrodenbepackten Chips, auf den sie ein Stück Netzhaut platzierte, die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung individueller Ganglien und ihrer Axone messen.

So stellte sie fest, dass die Signale aus der Peripherie der Netzhaut tatsächlich schneller transportiert werden als jene aus dem Zentrum. Ein ähnlicher Kompensationseffekt kommt zum Tragen, wenn sich die Axone um die sogenannte Sehgrube (Fovea) herumkrümmen: An diesem Punkt des schärfsten Sehens sitzen die Lichtsinneszellen sehr dicht und die Axone weiter aussen liegender Nervenzellen machen einen Umweg, um diese Stelle frei von störenden Strukturen zu halten. Auch hier holen die Signale den Umweg jedoch wieder auf.

Kugelförmige Zellkörper zwischen Strängen von Axonen
Mikroskopische Aufnahme eines Ausschnitts der Netzhaut. In Cyan sieht man die Zellkörper der retinalen Ganglienzellen, in weiss ihre Fortsätze (Axone). Die Zellkörper messen zwischen 15 und 30 Mikrometer im Durchmesser. (Bild: Annalisa Bucci, IOB)

Die Bilder wurden von Annalisa Bucci im Rahmen ihrer Doktorarbeit realisiert.


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