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Folge mir! (02/2022)

Wer regiert das Metaverse?

Text: Eva Wolfangel

Wenn aus Social Media virtuelle Realitäten werden, spielen dort viele Effekte der materiellen Welt. Wie das aussehen könnte, zeigt ein Ausflug in eine mögliche Zukunft sozialer Medien.

Computeranimierte Strassenbahn in einer Landschaft mit Wiesen, Bäumen und Bergen
Erkundungstour durch das Decentraland. (Bild: Screenshot)

Die Begrüssung ist herzlich: «Welcome to Decentraland! Gestalte, forsche und handle in der ersten virtuellen Welt, die ihren Nutzern gehört! Verliere dich in einer beeindruckenden Welt. Kaufe und verkaufe Land, Immobilien, Kleidung für Avatare und Namen im Decentraland Marketplace.»

Also nichts wie eingetaucht. Wer Decentraland besuchen will, kann sich einen Avatar aussuchen – und schon nach wenigen Klicks steht man mitten auf der «Plaza», «the heart of Genesis city», wie auf dem Bildschirm steht, «schau dich einfach mal um.» Dann verschwindet die Schrift. Auf einer Seite steht eine gemütliche Sitzbank, auf der anderen befinden sich Hinweistafeln mit Events – und in der Mitte ist ein Pool, vor dem ein Schild zum Eintauchen einlädt.

Dreidimensional und immersiv

Wenn es nach Fabian Schär geht, könnte die Welt Decentraland ein erster Schritt in Richtung Metaversum sein. Der Professor für Distributed Ledger Technology und Fintech an der Universität Basel ist überzeugt, dass soziale Netzwerke der Zukunft dreidimensional und immersiv sind und dass sich Menschen immer mehr in virtuellen Welten bewegen werden: Daraus entsteht das Metaverse, eine Plattformen übergreifende virtuelle Realität, die wir mit Headsets, Computern oder mobilen Geräten besuchen können. «Es wird nicht mehr um eine einzelne Anwendung gehen, sondern um den sozialen Charakter des Metaverse und die Verknüpfung der verschiedenen Anwendungen», sagt Schär.

Ob man es als erstrebenswert erachte, sein soziales Leben im Virtuellen zu verbringen, sei nicht die zentrale Frage, betont der Forscher: Denn unabhängig von den eigenen Präferenzen deute vieles darauf hin, dass sich Netzwerke in diese Richtung entwickeln werden. «Deshalb müssen Nutzerinnen und Nutzer verstehen, welchen potenziellen Risiken sie ausgesetzt sind», warnt Schär.

Nach der Ankündigung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg sind viele besorgt: Der hat nicht nur Millionen in die zukunftsweisende Technologie investiert, sondern auch sein Unternehmen in «Meta» umbenannt und unzweifelhaft klargemacht, dass es in dieser Zukunft eine zentrale Rolle spielen soll. Viele Fachleute ebenso wie Besucher und Besucherinnen bestehender virtueller 3D-Welten sind überzeugt, dass es keine gute Idee ist, wenn ein einzelnes Unternehmen die Macht über unsere künftigen sozialen und wirtschaftlichen Interaktionen hat – und schon gar nicht eines, das sein zweidimensionales soziales Netzwerk Facebook in einer Weise gestaltet, die Hassrede und Falschmeldungen gross werden liess.

Computeranimierte Karte der Strassen und Plätze von Decentraland
Die Karte gibt aus der Vogelperspektive einen Überblick über die Strassen und Plätze von Decentraland. (Bild: Screenshot)

Manche werden künftig im Metaverse ihren Lebensunterhalt verdienen, sie werden Unternehmen gründen und investieren, sie werden Produkte oder auch Events anbieten. So könne aus einer vermeintlichen Spielerei eine Plattform entstehen, deren ökonomische Bedeutung vergleichbar ist mit der eines kleinen bis mittelgrossen Staats, so Schär. Aber was, wenn all das von einem grossen Konzern gesteuert wird? «Das würde zu einem erheblichen Abhängigkeitsverhältnis führen», erklärt Schär. Der Konzern hätte dann die Macht, beliebig Spielregeln der Welt zu ändern und in die Wirtschaft einzugreifen.

Decentraland hingegen ist – wie der Namen schon vermuten lässt – dezentral organisiert: Das heisst, es gehört nicht einem Konzern, sondern den Nutzerinnen und Nutzern. Diese stimmen über die Regeln in ihrer virtuellen Welt ab, das Ganze wird über eine Blockchain organisiert und verwaltet. Das soll einem Monopol entgegenwirken und verhindern, dass ein einzelner Konzern oder Einzelpersonen im Alleingang über diese virtuelle Welt verfügen können.

Spaziergang durch Decentraland

Bei einem Besuch in Decentraland kann man sich treiben lassen und die eine oder andere Merkwürdigkeit entdecken. Die Grafik ist teilweise noch verbesserungswürdig, aber man kann sich vorstellen, dass sich solche Räume in Zukunft mit Leben füllen, dass man hier mit Freundinnen und Freunden schlendern oder ausgehen kann. Will man den zentralen Platz verlassen, kann man entweder spazieren, indem man seinen Avatar mittels Maus oder Tastenkombinationen steuert – oder man kann auf eine Karte klicken. Aus der Vogelperspektive wird deutlich, dass diese Welt wie ein Schachbrettmuster organisiert ist. Wer sie betritt, landet auf der Genesis Plaza, auf den Koordinaten 0,0.

Bei einem Spaziergang begegnet man beispielsweise einem mächtigen Zaun, hinter dem eine Synagoge liegt. Ein paar Schritte weiter ist der «THV Square», an dem ein Unternehmen zu finden ist, das THV heisst und offenbar den Namen des Platzes gleich mitgekauft hat. Dahinter taucht plötzlich eine Strassenbahn auf, und wer sie erwischt, kann eine Runde durch die Zukunft fahren. Berge, Wiesen, bunte Sträucher und viel unbebautes Land – bis an einer Station plötzlich ein Vodafone-Laden auftaucht, inklusive der üblichen Werbeplakate für Telefonverträge und Online-Spiele – leider ohne andere Menschen.

Computeranimierter Zaun mit einer Synagoge dahinter
Der Spaziergang durch die Strassen von Decentraland führt Besucherinnen und Besucher beispielsweise vorbei an einer Synagoge und diversen Geschäften. (Bild: Screenshot vom Decentraland)

Der Standort des Ladens direkt an der Strassenbahn ist vermutlich kein Zufall: So kommen schliesslich mehr Menschen vorbei, genau so wie die journalistische Touristin an diesem Tag. Wahrscheinlich hat Vodafone sich die Location einiges kosten lassen. Das ist eine aktuelle Erkenntnis aus einem Forschungspapier von Fabian Schär und seinen Kollegen Mitchell Goldberg und Peter Kugler: Es gibt unterschiedliche Bodenpreise – Location matters, selbst im Metaverse.

Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit

Erstaunlich ist das, weil man sich in virtuellen Welten mit einem Klick von einem Ort zum anderen beamen kann. Reisen kostet nichts, nicht einmal Zeit. Von daher müsste die Lage eigentlich egal sein. Aber die Ökonomie der Aufmerksamkeit herrscht auch hier: «Zufällige Begegnungen sind wichtig», erklärt Schär, «das hat einen riesigen Effekt, weil alles businessgetrieben ist.» Die Forschungsgruppe hat für ihre Studie ausgewertet, was Nutzende in Decentraland für verschiedene Parzellen bezahlt haben, und daraus Evidenz für die treibenden Faktoren errechnet. Schon bei der ursprünglichen Versteigerung gab es deutlich höhere Gebote für zentrale Orte, etwa in der Nähe der Genesis Plaza, und für solche mit gut einprägsamen Koordinaten. Heute gibt es bereits einen Sekundärmarkt auf einer eigenen Website, auf der Parzellen weiterverkauft werden. «Zwei Parzellen in beliebter Umgebung», inseriert Dan#7492 – und bekommt knapp 7000 Dollar dafür.

7000 Dollar für eine virtuelle Parzelle in Decentraland, wo man bei einem zufälligen Spaziergang vielleicht drei andere Avatare trifft? «Das steht in keinem Verhältnis dazu, was heute dort los ist», sagt Schär. «Es handelt sich um Hochrisikoinvestitionen, bei deren Preisbildung Zukunftserwartungen eine wesentliche Rolle spielen.» Das zeigt, dass einige Menschen davon ausgehen, dass die Bedeutung des Metaversums wachsen könnte. Auch wenn der Begriff «Metaverse» für die meisten noch nach Science-Fiction klingt: Vieles spricht dafür, dass es unser Leben ziemlich verändern wird.


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