Unter dem Radar.
Text: Isabel Wagner*
Das Darkweb hat ein schlechtes Image. Dabei bietet es in erster Linie sichere Kommunikation, für die wir alle einstehen sollten. Ein Plädoyer.
Der Tor-Browser ist die Pforte ins Darkweb. Anders als viele vielleicht denken, kann man darüber auch jede beliebige Internetseite aufrufen. Das Tor-Netzwerk anonymisiert die Verbindung zwischen den Nutzenden und den aufgerufenen Websites. Das funktioniert vereinfacht gesagt über mehrere dazwischen geschaltete Verschlüsselungsschritte. Website-Betreiber können so nicht mehr feststellen, wer ihre Seite aufruft, und niemand kann Daten darüber abgreifen, welche Webseiten eine Nutzerin oder ein Nutzer besucht. Wer sich mit anderen Browsern im Netz bewegt, muss immer davon ausgehen, eine Datenspur zu hinterlassen.
Prominente Negativbeispiele.
Ausserdem gibt es sogenannte «Hidden Services», verborgene Websites und Angebote, die man nur im Tor-Netzwerk erreichen kann – das eigentliche Darkweb. Zugriffe auf diese versteckten Seiten machen laut den Tor-Betreibern nur rund 1,5 Prozent des gesamten Datenverkehrs im Tor-Netzwerk aus. Verlässliche Schätzungen, wie viele dieser Services illegaler Natur sind, gibt es nicht.
Öffentlich werden vor allem Negativbeispiele, wie etwa der Darkweb-Drogenmarktplatz «Silk Road», der 2013 von US-Behörden aufgedeckt wurde. Auch Sammlungen von kinderpornografischem Material verortet die Öffentlichkeit im Darkweb. Dass anonyme Kommunikation unter anderem Kindesmissbrauch und Menschenhandel ermöglicht, ist unbestritten.
Ein britisches Policy Briefing von 2015 zeigt jedoch: Während britische Behörden über 1600 Websites mit kinderpornografischem Material im normalen Netz gefunden haben, waren es im Darkweb gerade mal 36. Das Problem ist im normalen Netz also wesentlich grösser. Das Briefing hält ausserdem fest, dass das Tor-Netzwerk für den Austausch solchen Materials eher unattraktiv ist: Verbindungen sind hier deutlich langsamer als im öffentlichen Internet. Ermittlerinnen und Ermittler können pädophile Netzwerke daher grösstenteils durch Datenverkehr im normalen Web aufdecken.
Zudem hinterlassen kriminelle Aktivitäten im Darkweb auch eine Spur in der echten Welt, wie etwa Geldströme. So waren es Fehler, die der «Silk Road»-Betreiber ausserhalb des Tor-Netzwerks beging, die zu seiner Verhaftung und dem Ende der Drogenplattform führten.
Sicherheit für Whistleblower.
Die andere Seite der Medaille kommt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor: Die Enthüllungen durch Edward Snowden über den Überwachungsapparat von Geheimdiensten hätte es ohne das Tor-Netzwerk in dieser Form nie gegeben. Nach diesem prominenten Fall von 2013 richteten zahlreiche grosse Medienhäuser Kommunikationskanäle für Whistleblower ein, die das Tor-Netzwerk und Hidden Services verwenden.
Einen weiteren wichtigen Aspekt des Darkwebs unterstreichen Statistiken über die Herkunftsländer der Tor-Nutzerinnen und -Nutzer: Personen in zensurgeprägten Ländern wie China, Russland oder Iran sind auf das Tor-Netzwerk zur Informationsbeschaffung angewiesen. Und auf Hidden Services, um anonym Informationen zu veröffentlichen, ohne sich und ihre Familien in Gefahr zu bringen.
Aber auch die breite Bevölkerung in Demokratien ist einem schleichenden Verlust der Privatsphäre ausgesetzt: Über das Ausmass, wie genau unser Onlineverhalten, Bewegungen, Beziehungen und Interessen erfasst werden, machen sich die meisten keine Vorstellungen. Sie denken wahrscheinlich, Sie hätten nichts zu verbergen? Welcher Schaden kann schon entstehen? Leider kann aber niemand absehen, welche Schlussfolgerungen sich durch das Zusammenführen sämtlicher vorhandener Daten über eine Person ziehen lassen. Das Darkweb ist daher vor allem ein wichtiges Mittel, um uns vor dem Verlust unserer Privatsphäre zu schützen. Denn ohne Privatsphäre sind unsere Autonomie und Selbstbestimmung gefährdet.
*aufgezeichnet von Angelika Jacobs
Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (November 2024).