x
Loading
+ -
Schöne Erholung – Neues aus der Schlafforschung (01/2016)

Weisse Flecken auf der Landkarte des Lebens

Text: Katrin Bühler

Wie werden innerhalb von Zellen Signale verarbeitet und Zellbausteine hergestellt Wie entwickeln sich Krankheiten? Durch die Aufklärung komplexer Proteinstrukturen können Forscher am Biozentrum Antworten auf diese Fragen liefern.

Im Labor züchten seine Mitarbeiter tagtäglich Tausende von Kristallen – aber keine gewöhnlichen, wie man sie auf Mineralienbörsen oder als Schmuckstücke findet. Die Forscher kristallisieren Proteine, um deren Struktur und Funktionsweise mittels Röntgenkristallografie zu enträtseln. Für Prof. Timm Maier entstehen so die schönsten Kristalle überhaupt: «Auch wenn sie nur winzig sind, Proteinkristalle haben für mich mehr Ästhetik als jeder Diamant. Und sie besitzen nicht nur äusserliche Schönheit, sie öffnen uns Fenster in die molekularen Dimensionen des Lebens.»

Maier ist Strukturbiologe und forscht seit 2011 am Biozentrum. Sein Spezialgebiet sind die Riesen unter den Winzlingen – er untersucht grosse Proteinkomplexe. «Mich fasziniert ihre Komplexität und Vielfältigkeit», sagt der Forscher. «Diese beschränkt sich keineswegs nur auf ihre Struktur. Auch ihre Bewegungen, ihre facettenreiche Funktion und die Möglichkeiten, sie zu regulieren, bringen uns immer wieder zum Staunen. In ihrer Komplexität gleichen diese winzigen Proteingebilde ganzen Fabriken.»

Proteinfabrik zur Fettsäureherstellung

Zu diesen Fabriken im Miniaturformat zählt die Fettsäuresynthase. Dieses Enzym stellt Fettsäuren her, die Bestandteile von Zellmembranen sind und als wichtige Energiespeicher dienen. Als Maier vor über zehn Jahren anfing, dieses Enzym zu erforschen, war die Struktur noch völlig unbekannt. Und nicht nur das, es gab sogar renommierte Wissenschaftler, die annahmen, dass es unmöglich sei, die Struktur jemals aufzuklären. Dieser Herausforderung hat sich Maier gestellt – mit Erfolg. «Eine bis dahin gänzlich unbekannte Struktur aufzuklären, ist begeisternd», findet Maier. «Man sieht Dinge, die noch nie jemand zuvor gesehen hat, und gleichzeitig kann man auf einmal ganz fundamentale Prozesse verstehen. Da fühlt man sich wie Kolumbus, als er das erste Mal seinen Fuss auf unerschlossenes Land setzte.»

Heute kennen wir dank Maiers Röntgenkristall-Strukturanalysen den Aufbau der Fettsäuresynthase bis ins Detail: Sie besteht aus 14 Proteinregionen, die in einer Abfolge von über 40 Reaktionen aus einfachen Molekülbausteinen eine lange, wasserunlösliche Fettsäurekette zusammensetzt. «Jetzt, Jahre nach der ersten Strukturaufklärung, beginnen wir erst zu verstehen, wie in der Fettsäuresynthase Dynamik und Katalyse zusammenspielen.»

Ansatzpunkte für neue Medikamente

Die Fettsäuresynthase hat allerdings auch eine dunkle Seite: Eine verstärkte Aktivität dieser Proteinfabrik trägt in Tumoren zum schnellen Wachstum und der Vermehrung von Krebszellen bei, weswegen sie ein interessanter Angriffspunkt für Krebsmedikamente ist. Mit der Struktur als Grundlage können nun Forscher weltweit die Bindung und Wirkung neuer Hemmstoffe untersuchen.

Eine wichtige Rolle in der Regulation der Fettsäuresynthase und zahlreicher weiterer Enzyme spielt das Protein TOR. Zusammen mit weiteren Proteinen bildet es den grossen TOR-Komplex I – die Steuerzentrale des Zellwachstums. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern gelang es Maier, die Architektur des riesigen Komplexes aufzuklären. «TOR-Hemmstoffe werden bereits in der Krebstherapie eingesetzt, und ihre Weiterentwicklung birgt grosses Potenzial. Daher war der Proteinkomplex schon seit Langem eines der wichtigsten Ziele in der Strukturbiologie», sagt Maier. «Die Aufklärung der Architektur des TOR-Komplexes war eine grosse Herausforderung, die nur durch intensive Zusammenarbeit und den Einsatz verschiedener Techniken möglich wurde. Und dies ist kein Einzelfall. Wir befassen uns zunehmend mit Fragen, die sich nicht mehr nur mit einer Methode beantworten lassen. Daher sind wir froh, im Biozentrum starke Unterstützung für interdisziplinäre Projekte zu finden.»

Noch druckfrisch ist eine Publikation von Maiers Arbeitsgruppe in «Nature», in der sie die Architektur sogenannter Polyketidsynthasen untersucht. Diese Enzyme kommen in Bakterien und Pilzen vor und dienen als molekulare Fabriken für bioaktive Naturstoffe. Sie sind die natürlichen Produzenten von Antibiotika und auch des TOR-Hemmstoffs Rapamycin, dem das TOR-Protein seinen Namen (target of rapamycin) verdankt. «Wir haben herausgefunden, dass Polyketidsynthasen eine sehr vielseitige und flexible Struktur besitzen», sagt Maier. «Ihr variabler Aufbau ermöglichte in der Evolution den Austausch einzelner Proteinabschnitte und damit die Entstehung einer grossen Vielfalt an Produkten.» Dies macht Polyketidsynthasen auch für die Arzneistoffentwicklung interessant, denn mithilfe neu zusammengesetzter Proteinvarianten könnten unterschiedlichste Medikamentenvorstufen hergestellt werden, die nur schwer chemisch zu synthetisieren sind.

Detaillierteres Bild

Die Strukturbiologie hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt – sie ist integrativ geworden. Während man früher mit einzelnen Techniken isolierte Fragestellungen angegangen ist, kombinieren die Forscher heute verschiedenste Methoden. Die Techniken reichen dabei von der Röntgenkristallografie über die Elektronenmikroskopie bis hin zur Kernmagnetresonanz- und Massenspektroskopie. Dank des enormen technischen Fortschritts und der methodischen Vielfalt können sich die Forscher heute – wortwörtlich – ein viel detaillierteres Bild selbst von äusserst komplexen Proteinen machen.

«Die Strukturen des Lebens visuell zu erkunden, hat mich von Anfang an begeistert. Wir erhalten dreidimensionale Bilder von Proteinen, können sie aus allen Blickwinkeln betrachten und schliesslich ihren Bauplan entschlüsseln», so Maier. «Gleichzeitig erhalten wir ganz grundlegende Einblicke in die Funktionsweise von Zellen, in denen Proteine Signale verarbeiten, Substanzen synthetisieren und Moleküle transportieren. Proteinstrukturen sind ein Schlüssel zum Verständnis des Lebens», sagt Maier mit einem Funkeln in den Augen.

 


Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

nach oben