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Dossier Migration – Menschen unterwegs (02/2016)

Abstimmung beeinflusst Wohnortwahl

Text: Christoph Dieffenbacher

Negative Einstellungen gegenüber Ausländern und Ausländerinnen können die Entscheidung darüber beeinflussen, wo sie in der Schweiz wohnen. Zu diesem Ergebnis kommen die Ökonomin Michaela Slotwinski und der Ökonom Alois Stutzer von der Universität Basel, basierend auf einer Analyse der Minarett-Abstimmung und Daten zur Wohnortwahl von Ausländern in der Schweiz.

Es war eine denkwürdige Abstimmung, obwohl es um ein bauliches Detail ging, aber um eines mit Symbolcharakter: Im November 2009 nahmen die Abstimmenden in der Schweiz die Anti-Minarett-Initiative mit über 57 Prozent an. Der Neubau von Minaretten bei Moscheen im Lande wurde damit verboten. Vorangegangen war dem ein emotional aufgeladener Abstimmungskampf mit holzschnittartigen Parolen und Plakaten, auf denen Minaretttürme als Raketen erschienen. Fast alle Parteien hatten sich gegen das SVP-Volksbegehren ausgesprochen, doch Prognosen wie Umfragen lagen falsch. Die Schweiz hatte danach international einiges an Kritik einzustecken.

Eine Folge der Minarett-Abstimmung hat nun Michaela Slotwinski gemeinsam mit Alois Stutzer untersucht. Als Mass für negative Einstellungen gegenüber Migranten verwendeten sie die Zustimmung zur Initiative in allen Gemeinden, aber auch vergleichbare Urnengänge der letzten Jahre. Auffällig bei der Minarett-Abstimmung war, dass die Ergebnisse in gewissen Gemeinden sehr deutlich und überraschend von früheren Abstimmungen abwichen – und zwar in Richtung stärkerer Vorbehalte gegenüber Ausländern und Ausländerinnen.

Rückgang um 60 Prozent

Das überraschende Ergebnis in einigen Gemeinden verbinden die Forschenden als «natürliches Experiment» mit statistischem Material zum Umzugsverhalten von ausländischen Haushalten vor und nach der Abstimmung. Wie ihre Studie zeigt, wurden die Entscheidungen über einen Wohnortwechsel davon beeinflusst: Die Wahrscheinlichkeit, dass eingewanderte Personen in eine Gemeinde umzogen, die ausländerkritischer abgestimmt hat, als zu erwarten war, ging nämlich zunächst um etwa 60 Prozent zurück. Erst etwa fünf Monate nach dem Urnengang stiegen die Zuzüge wieder auf frühere Werte. Viele, die einen Umzug planten, hätten offenbar eine andere, tolerantere Gemeinde gewählt, stellten die Forscher fest.

Und: Das veränderte Umzugsverhalten nach der Minarett-Abstimmung manifestierte sich nicht nur bei Eingewanderten aus muslimisch geprägten Ländern, sondern auch bei Ausländern und Ausländerinnen allgemein, erläutert Slotwinski – Personen, die von einem Minarett-Verbot gar nicht betroffen sind. Zudem schienen vor allem Hoch Qualifizierte am empfindlichsten auf die negativen Einstellungen zu reagieren.

Funktionierende Informationsflüsse

«Um dieses Verhalten zu erklären, müssen wir von einer guten Vernetzung der Zugewanderten untereinander ausgehen», kommentiert Prof. Alois Stutzer: «Offenbar funktionieren die sozialen Kontakte und Informationsflüsse gut, und es spricht sich rasch herum, welche Gemeinden ausländerkritisch abgestimmt haben.» Zudem wurde über jene Gemeinden, die nun überraschend so gestimmt haben, auch in den Medien mehr berichtet.

Über die weiteren Gründe, warum sich das veränderte Umzugsverhalten wieder den früheren Zahlen anglich, liessen sich nur Vermutungen anstellen, sagen Slotwinski und Stutzer. Aufgrund der Statistiken lässt sich feststellen, dass in den betreffenden Gemeinden nach der Abstimmung mehr Wohnraum leer stand, was die Mieten hätte sinken lassen können. Dies hätte wiederum bewirkt, dass wieder mehr Ausländer und Ausländerinnen zuzogen, nach dem Motto: «Man mag uns hier zwar nicht, aber die Mieten sind hier günstig.» Dass sich das Umzugsverhalten wieder einpendelte, könnte auch damit zusammenhängen, dass sich die Zuziehenden an die negativen Einstellungen der Schweizer und Schweizerinnen gewöhnt haben oder das Thema weniger in den Medien präsent war.

Alois Stutzer ist seit 2009 Professor für Politische Ökonomie an der Universität Basel.

Michaela Slotwinski forscht an der Universität Basel über Themen an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft.

Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

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