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Augenforschung: Sehkraft erneuern (02/2019)

Montagen zwischen Kunst und Politik.

Text: Ylenia Sartorel

In seinen Fotomontagen hat sich der deutsche Künstler John Heartfield in der Zwischenkriegszeit kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinandergesetzt. Eine Basler Kunsthistorikerin hat seine Werke neu durchleuchtet.

Seiten aus Printmedien mit Illustrationen von Heartfield
Bilder: John Heartfield, Titelblatt der AIZ vom 7. September 1933, Jg. 12, Nr. 35. Studienbibliothek Pinkusstiftung; FLIT-Inserat, Seitenausschnitt aus der Schweizer Illustrierte Zeitung vom 27. Juni 1929, Jg. 18, Nr. 26. Universitätsbibliothek Basel.

Während der Zwischenkriegszeit fertigte der Künstler John Heartfield (1891–1968) eine Reihe von politischen Fotomontagen an, welche populäre Illustrierte wie die auflagenstarke «Arbeiter-Illustrierten-Zeitung» (AIZ) regelmässig abdruckten. Zu einer seiner bekanntesten Arbeiten gehört noch heute «Der Sinn des Hitlergrusses», auf welcher der «Führer» seine Hand nach oben nach Geld streckt, das ihm ein überdimensional grosser Mann überreicht.

Mit Licht und Lupe

Heartfields Fotomontagen, die bisher vor allem aus kunsthistorischer und ästhetischer Sicht erforscht wurden, hat die Kunsthistorikerin und Soziologin Vera Chiquet nun aus einer interdisziplinären Perspektive analysiert. So stellte sie sich etwa die Frage, welche Rolle seine Werke in der Gesellschaft spielten und welche Techniken in den Fotomontagen stecken. Dafür waren ihr nicht nur soziologische, sondern auch kunsthistorische Aspekte wichtig: Mit einem speziellen Licht und einer Lupe konnte Chiquet den Herstellungsspuren anhand der AIZ-Originale nachgehen.

Heartfield, der bereits 1933 aus Nazi- Deutschland flüchten musste und ab 1950 in der DDR lebte, gilt als eigentlicher Erfinder der politischen Fotomontage. Als sensibler Künstler achtete er darauf, was um ihn herum passierte – und verarbeitete dies in seinen Arbeiten. Damit leistete er einen wichtigen Beitrag dazu, mit der Bildmanipulation eine Reflexion bei den Rezipienten auszulösen. «All dies tat er in einer äusserst schwierigen Zeit und trotzdem mit Humor, mit Galgenhumor – es war seine Art, um die schwere Zwischenkriegszeit zu überstehen», sagt die Forscherin.

Reaktion auf Propaganda

Wichtige Voraussetzungen von Heartfields Arbeiten waren die leichte Reproduzierbarkeit und die massenhafte Verbreitung der Fotografie, ein mediengeschichtliches Merkmal jener Zeit. In den Jahren vor 1939 seien die beiden Bildmedien Fotografie und Malerei noch stark miteinander verbunden gewesen, erläutert Chiquet. Fotografien wurden selten als Original abgedruckt, sondern meistens noch von Hand bearbeitet: So wurden für die Werbefotografie aufwendige Retuschierarbeiten vorgenommen.

Heartfield liess auch die Technik, wie sie in der Werbung verwendet wurde, in seine Werke einfliessen, jedoch immer mit einem kritischen Hintergedanken. Seine Fotomontagen und Collagen seien auch als eine Reaktion auf die damalige Propaganda der europäischen Diktaturländer zu verstehen, so die Forscherin. Vor allem die italienischen Faschisten arbeiteten oft mit Fotomontagen mit übertrieben dargestellten Inhalten.

Aus wie vielen verschiedenen Einzelteilen seine Bilder bestehen, sieht man den Arbeiten auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Die einzelnen Fotografien scheinen ineinander überzugehen. Erst am neu zusammengesetzten Inhalt wird erkennbar, dass es sich um eine Montage handelt. «Heartfield hatte nie die Intention, Menschen zu täuschen, sondern wollte das Publikum dazu anregen, über den eigenen Medienkonsum zu reflektieren und ihn kritisch zu hinterfragen», sagt Chiquet. Seine Fotomontagen sollten darauf aufmerksam machen, dass die Technik die Wahrnehmung täuschen kann. Um dies deutlich zu deklarieren, stand jeweils unter den Werken: «Fotomontage: John Heartfield».

Ästhetik der Werbung

Die Werbung als Verbindung zwischen Kunst und Massenmedien: Gerade dass die Aufmerksamkeit im ersten Moment auf das Bild gelenkt werden soll, ist ein typisches Element der Werbung – genauso wie heute. Eine «kluge Falle» nannte der deutsche Philosoph Walter Benjamin dieses Phänomen, die Aufmerksamkeit zu wecken und festzuhalten. «Dass der erste Schein trügt, ist eine Gemeinsamkeit von Werbung und Heartfields Werken – mit dem Unterschied, dass Heartfield auf die Absicht und den Trug von Werbeplakaten und Propaganda hinweisen wollte», sagt Chiquet.

Mit der speziellen Ästhetik seiner Montagen hatte Heartfield nicht die Absicht, komplizierte Kunstwerke zu schaffen, sondern ein breites Illustriertenpublikum anzusprechen. «Seine Arbeiten sind keineswegs komplexe Collagen, die nur mit grossem Aufwand rezipiert werden können, sondern es ist auf einem Blick schon viel erkennbar», sagt Chiquet.

Die Forscherin untersuchte vor allem Heartfields Beiträge in einer der grössten deutschen Publikumszeitschriften jener Zeit. Die AIZ, die vom kommunistischen Verleger und Redaktor Willi Münzenberg geleitet wurde, erschien zwischen 1921 und 1933 in Berlin und von 1933 bis 1938 im Prager Exil. Sie galt für ihre Zeit als eine innovative Illustrierte, die häufig mit Bildern und Bilderzählungen arbeitete. Für die Beliebtheit der Zeitschrift spielte Heartfield eine wichtige Rolle – und zahlreiche Leserinnen und Leser schnitten seine Illustrationen oftmals aus, um sie aufzuhängen.

«Fake News» der Zwischenkriegszeit

«Ich bin fasziniert davon, wie unglaublich stark die verschiedenen Bereiche – Politik, Alltag, Werbung, Kunst, Technik – in den damaligen Massenmedien miteinander verwoben waren», sagt Chiquet, die heute im Digital Humanities Lab der Universität Basel forscht. Heartfield zeige nicht nur politische Themen, sondern lasse auch die zeitgenössische Werbekultur und (Foto-)Techniken in seine Werke einfliessen. Für die Rezeption ist es wichtig, zu wissen, dass es sich jeweils um Montagen handelt.

Auch wenn der gesamte Inhalt eines Bilds nicht der Realität entspricht – die einzelnen Bestandteile tun es. Sie werden durch die Technik der Collage in einen neuen Kontext gestellt und damit umgedeutet. Das Phänomen von «Fake News» war damit bereits in der Zwischenkriegszeit in Deutschland wie in anderen Ländern ein Thema. Mit Manipulation und Absicht wird eine erfundene Nachricht aus (politischem) Anlass verbreitet – damals wie heute.

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