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Erinnern und Vergessen. (01/2021)

Wenn das Virus wiederkommt.

Text: Ori Schipper

Das immunologische Gedächtnis beruht auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Zellen, und Tausende Gene sind daran beteiligt. Zwei Perspektiven auf ein schillerndes und zuweilen schwer fassbares Phänomen.

T-Gedächtniszellen und antikörperproduzierende B-Zellen im Lungengewebe einer Maus
T-Gedächtniszellen (Magenta) und antikörperproduzierende B-Zellen (Cyan) im Lungengewebe einer Maus. (Foto: Swarnalekha et al., Science Immunology)

So rasch ging es noch nie. Dank dem unermüdlichen Einsatz vieler Forschungsgruppen ist es gelungen, innerhalb eines einzigen Jahres wirksame Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zu entwickeln. Unterdessen sind die Impfkampagnen angelaufen, doch schon stellen sich die nächsten Fragen: Wie lange hält der Schutz an? Und hilft die Impfung auch gegen die mutierten Varianten des Coronavirus, die in mehreren Ländern aufgetreten sind?

«Das Ziel jeder Impfung ist, dass sich eine möglichst lang anhaltende immunologische Erinnerung formt», sagt Carolyn King, Forschungsgruppenleiterin am Departement Biomedizin der Universität Basel. Man präsentiert dem Organismus den Krankheitserreger in abgeschwächter Form oder ungefährlichen Einzelteilen, um eine Reaktion des Immunsystems zu provozieren. Wie gut es dadurch lernt, diesen oder mitunter auch mutierte Erreger künftig effizient zu bekämpfen, hängt vom Zusammenspiel der verschiedenen Immunzellen ab, die bei dieser Abwehrreaktion auf den Plan treten. Und die darüber hinaus aktiv bleiben.

Zwar sind heute viele Impfstoffe gut etabliert. Doch welche Zellen genau welche Rolle spielen im immunologischen Gedächtnis, ist noch mit vielen Fragezeichen behaftet. In Fachkreisen wird sogar heftig darüber gestritten. Relevant sind diese Details nicht nur für Forschende, sondern auch für die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen.

Klar ist, dass eine typische Abwehrreaktion in zwei Phasen erfolgt: Die sogenannte angeborene Immunität ist schnell und kann viele Erreger schon wenige Minuten nach ihrem Eindringen angreifen, sie bleibt dabei aber unspezifisch und formt keine lang anhaltende immunologische Erinnerung. Diese entsteht erst in der zweiten Phase bei der sogenannten adaptiven Immunreaktion, wenn das Abwehrsystem eine gezielte Attacke gegen einen bestimmten Erreger aufbaut.

Raschere und effizientere Reaktion

Zentral bei dieser adaptiven Immunreaktion sind Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Immunzellen, die sich grob in drei Gruppen unterteilen lassen: B-Zellen, T-Helfer- und T-Killerzellen. Während B-Zellen vor allem Antikörper produzieren, die spezifisch an den Erreger binden und ihm damit quasi eine Zielscheibe anheften, schütten T-Helferzellen Signalmoleküle aus und unterstützen dadurch andere Immunzellen. Die T-Killerzellen töten infizierte Körperzellen ab.

Schon ab der Geburt verfügen Menschen über T-Zellen mit einer unglaublichen Vielfalt von unterschiedlichen Rezeptoren, sehr individuell geformten Sensoren auf der Zelloberfläche. Bei einer Infektion – oder auch bei einer Impfung – werden nur diejenigen T-Zellen aktiviert, deren Rezeptoren an Bestandteile des Erregers binden können. Daraufhin vermehren sie sich, um den Eindringling zu bekämpfen.

Nach getaner Arbeit sterben die meisten aktivierten Abwehrzellen ab, nur ein kleiner Teil bleibt bestehen: Diese sogenannten Gedächtniszellen sorgen dafür, dass das Abwehrsystem rascher und effizienter reagieren kann, wenn derselbe Erreger nochmals in den Körper eindringt. «Bei Forschungsarbeiten über das T-Zellen-Gedächtnis standen lange die T-Killerzellen im Vordergrund», sagt King.

Das Gedächtnis der Lunge

Die Wissenschaftlerin und ihr Team interessieren sich jedoch vor allem für die T-Helferzellen, deren Zweck in erster Linie darin liegt, B-Zellen zur Produktion von Antikörpern anzuregen. Schon länger bekannt ist, dass diese B-Zellen-Stimulation in der Milz oder in den Lymphknoten stattfindet. Bei Versuchen mit Mäusen und Grippeviren konnten die Forschenden um King diese kürzlich jedoch auch im Lungengewebe nachweisen.

Überraschenderweise blieben die T-Helferzellen weit über das Ende der Infektion hinaus in der Lungenschleimhaut erhalten. Dort interagierten sie mit B-Zellen, um bei einer erneuten Infektion eine lokale Abwehrreaktion auf die Beine zu stellen. In den Experimenten erwiesen sich die T-Helferzellen als wichtig für eine effiziente Abwehr auch von leicht anderen Grippeviren.

Offenbar beherbergt der Körper also nicht nur Gedächtniszellen, die im Blut zirkulieren, sondern er legt zusätzlich an der Front – also im Gewebe, wo gleiche oder ähnliche Erreger wieder eindringen könnten – eine Erinnerung an die Infektion an. «Die Langlebigkeit dieser T-Helferzellen in der Lunge und ihre Fähigkeit, rasch auch auf eine Ansteckung von mutierten Erregern zu reagieren, machen sie zu einem vielversprechenden Ansatzpunkt für einen lang anhaltenden Impfschutz», meint King.

Wie Zahnräder eines Uhrwerks

Wie gut sich das Immunsystem an bereits bekannte Erreger erinnern kann, beschäftigt auch Kings Kollegen Mike Recher, der ebenfalls eine Forschungsgruppe am Departement Biomedizin führt und zudem die Immunschwäche-Sprechstunde am Universitätsspital leitet. Zu ihm kommen Personen, die immer wieder an Infekten leiden.

Am Aufbau und an den Tätigkeiten unseres Abwehrsystems sind mehrere Tausend Gene beteiligt. «Kein Wunder, liegen einer Immunstörung oft genetische Veränderungen zugrunde», sagt Recher. Die Wirkung einer Mutation erklärt er seinen Patientinnen und Patienten mit einem Bildnis: «Die vielen Gene sind wie Zahnräder im komplexen Räderwerk einer mechanischen Uhr. Wenn nur eines dieser Rädchen nicht mehr in die anderen greift, ist die ganze Uhr kaputt.»

Auch wenn die Defekte unterschiedliche Gene (oder Zahnrädchen) betreffen können, ist der Effekt in mehr als der Hälfte der Patienten der gleiche: Dem Immunsystem gelingt es nicht, ausreichende Mengen an Antikörpern zu produzieren. Oft geht dieser sogenannte Immunglobulinmangel mit wiederholten Atemwegsinfekten einher. Sie lassen sich mit einer Immunglobulin-Ersatztherapie vermeiden, die es schon lange gibt – und die sich bewährt hat, meint Recher.

Um einen Mangel an Antikörpern festzustellen, reichen eigentlich wenige Tropfen Blut. Der Test sei einfach und günstig, führt der Immunologe auf. «Trotzdem vergehen für die Betroffenen im Schnitt über zehn Jahre, bevor die Ursache ihrer Gesundheitsprobleme erkannt wird.» In dieser Zeitspanne kann eine unbehandelte Immunschwäche zu irreversiblen Organschäden führen. Für Recher ist deshalb nicht nur das immunologische Gedächtnis wichtig, sondern auch das Erinnerungsvermögen von Ärztinnen und Ärzten, damit sie frühzeitig an die Möglichkeit von Immunschwächen denken und in Verdachtsfällen früher testen.


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