Der Wert der baren Münze
Am «Münz» scheiden sich die Geister: Die einen finden das Kleingeld lästig, andere sammeln Geldstücke. Rahel C. Ackermann befasst sich in ihrer Forschung mit Münzen. Im Gespräch erzählt die Archäologin und Numismatikerin, warum es sich lohnt, Geldstücke genauer anzuschauen, und wie eng Münzen und Brauchtum miteinander verknüpft sind.
26. November 2024 | Noëmi Kern
Frau Ackermann, heute bezahlen viele fast nur noch mit Karte oder der App Twint. Sie widmen ihre Forschung der Münzkunde. Was fasziniert Sie an Geldstücken?
Ich betreibe archäologische Numismatik, das heisst, die Münzen, mit denen ich mich beschäftige, sind in aller Regel archäologische Funde. Geldstücke sind unglaublich dichte Informationsquellen – politisch, gesellschaftlich, aber auch in Sachen Kunstverständnis. Wenn man weiss, in welchem Zusammenhang sie gefunden wurden, kommen noch ganz viele Informationen hinzu. Es ist ein Zusammenspiel zwischen der Datierung, ob sie frisch geprägt oder abgenutzt sind und der Distanz zwischen Prägeort und Fundort. Mich fasziniert der Umgang mit Geld, der sich darin widerspiegelt. Bezogen auf das einzelne Objekt ist es die geballte Kommunikation, die heruntergebrochen ist auf ein kleines Bild und eine sehr verkürzte Legende.
Münzen sind also auch ein Kommunikationsmittel?
In der Antike war die Münze das Massenmedium par excellence. Feierte ein römischer Kaiser einen Triumph, gab es in Rom einen Triumphzug und vielleicht wurde zur Erinnerung ein Triumphbogen errichtet.
Das bekam aber nur mit, wer vor Ort war. Bildete man diesen Triumphbogen mit einer entsprechenden Legende auf einer Münze ab, die sich im ganzen römischen Reich verbreitete, sahen alle: «Unser Kaiser hat gewonnen». Auch ein neuer Herrscher konnte so im ganzen Reich bekannt gemacht werden. Dass das Staatsoberhaupt abgebildet wird, kam übrigens schon sehr früh auf.
Das ist auch heute noch so: Auf dem Geld Grossbritanniens ist seit Sommer König Charles zu sehen. Ist das reine Symbolik oder hat es politische Hintergründe?
Ursprünglich ist es ganz klar politisch: Das Staatsoberhaupt war der Münzherr respektive die Münzherrin und garantierte für Echtheit und Wert der Geldstücke. Heute ist es eher symbolisch; eine Tradition, die weitergeführt wird.
Die Schweizer Münzen sehen hingegen seit 140 Jahren gleich aus …
Dieser Umstand widerspiegelt eine unglaubliche Tradition und Wertbeständigkeit sowie Vertrauen in das Geld oder in diesem Fall in die Münzbilder. Ein deutsches Zwanzigpfennigstück von 1880 ist Altmetall, wenn es nicht sehr gut erhalten ist und einen Sammelwert oder emotionalen Wert hat. Unsere Münzen von 1880 können wir noch immer brauchen.
Sie sprechen die Münzbilder an. Was sieht man auf den Schweizer Münzen?
Die Schweizer Münzbilder sind voller Symbolik. Die Helvetia auf den Fünfzigräpplern sowie den Ein- und Zweifränklern sass zunächst, bis man fand, das sei zu passiv. Seit den 1870er-Jahren steht sie heroisch da. Sie ist in sich ruhend, aber sie ist bewaffnet und jederzeit bereit, sich zu wehren. Das ist ein starkes Bild für die politische Einstellung der Schweiz: «Wir sind zwar neutral, aber nicht träge.» Der Frauenkopf auf den 5-, 10- und 20-Rappen-Stücken trägt auf dem Stirnband die Aufschrift «Libertas»: Das ist die Repräsentation der Freiheit. Auch das ist ein starkes Bild für die Schweiz: «Unsere Freiheit ist uns wichtig und die wollen wir behalten.» So gesehen passen beide Münzbilder auch heute noch.
Der Fünfliber zeigt hingegen einen Mann …
Die Schweiz ist halt nicht nur weiblich. Das Gesicht dieses Mannes ist zwar heroisch überhöht, aber an einem Schwingfest könnte man diese Person wiederfinden, die das Urschweizerische repräsentiert.
Sie haben das Vertrauen und die Wertbeständigkeit erwähnt. Was ist aus Ihrer Expertinnensicht «gutes Geld»?
Gutes Geld erfüllt die Vorgaben zuverlässig. Sehr lange – bis Ende des 18. Jahrhunderts oder gar bis ins 19. Jahrhundert – galt das Paradigma, dass der Nominalwert und der Materialwert übereinstimmen, dass also eine Edelmetallmünze den Wert des enthaltenen Goldes oder Silbers hat.
Diese Wertbeständigkeit kennen wir heute noch bei Barren, jedoch nicht mehr bei Münzen. Schlechte Münzen enthalten hingegen zu wenig Edelmetall (vgl. auch Box unten). Aus Sicht der archäologischen Numismatik sind gute Münzen solche, die viele Informationen liefern, die man entschlüsseln kann. Wobei eigentlich jedes Objekt eine Geschichte erzählt, wenn man die richtigen Fragen stellt.
Was macht eine gute Münze aus heutiger Sicht aus?
Aus praktischer Sicht sind es Münzen, die man leicht wieder ausgeben kann – ein 50-Rappen-Stück eher als zehn Fünfräppler oder im Euro-Raum die Ein- und Zwei-Cent-Stücke. Diese landen dann am Flughafen in den Sammelkässeli zugunsten eines Hilfswerks, weil man sie beim Einkaufen kaum loswird. Auf der anderen Seite ist eine gute Münze eine, die einen auf emotionaler Ebene anspricht. Gerade im Ausland schauen viele auf die abgebildeten Motive und behalten Geldstücke als Souvenir. Auch in der Archäologie sind Münzen emotionale Trigger: Eine Münze zu finden ist etwas Besonderes, und eine ganze Gruppe von Münzen ist ein wahrer Jackpot. Für einige ist der Heilige Gral eine keltische Goldmünze, die sie gerne einmal in ihrem Leben finden würden.
Münzen sind also mit Emotionen verknüpft …
Auf jeden Fall! Noch heute bekommen viele Kinder mindestens einmal ein sogenanntes Goldvreneli, also eine Schweizer Goldmünze im Wert von 20 Franken, geschenkt mit der Vorstellung, dass dies etwas Beständiges sei. Ausserdem gibt es viele Bräuche, die nur mit Münzen funktionieren wie das Talerschwingen.
Bekannt ist auch der Münzwurf in einen Brunnen wie die Fontana di Trevi in Rom: Wenn man ein Geldstück hineinwirft und sich dabei etwas wünscht, geht der Wunsch in Erfüllung. Häufig sind Münzen auch Glücksbringer: Die Einräppler verwendete man für Marzipan-Glücksschweinchen und Silvesterdekors, nachdem sie als Zahlungsmittel aus dem Verkehr gezogen worden waren. Man kann natürlich sagen, das ist alles Aberglaube, aber solche uralten Bräuche bestehen, seit es Geldstücke gibt, also seit zweieinhalbtausend Jahren.
Wie gehen Sie selber im Alltag mit Münzgeld um?
Ich trage es im Hosensack bei mir und versuche es auszugeben, wenn ich kann. In der Schweiz gelingt mir das gut, im Ausland habe ich mehr Mühe, weil ich die verschiedenen Münzen nicht so rasch erkenne und dann doch mit einem Geldschein bezahle. Wenn ich beobachte, wie Leute das Wechselgeld interessiert auf besondere Geldstücke prüfen, freut mich das.
Münzproduktion: Prestige und Einnahmequelle
Rahel C. Ackermann hat in ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation die Münzen der «Herren von Haldenstein, Lichtenstein und Grottenstein» untersucht. Die Fundstücke zeugen von einer Produktionsweise, die darauf ausgelegt war, die eigene Kasse zu füllen.
Was ist das Spannende an den Haldensteiner Münzen?
Für mich sind diese Funde besonders spannend, weil sie eine zweigeteilte Produktion widerspiegeln: Aus der Münzstätte Haldenstein bei Chur kamen auf der einen Seite repräsentative grosse Goldmünzen. Die silbernen Gulden aus der Zeit um 1790 sind Exportgeld, man findet sie fast ausschliesslich in Deutschland, Polen und weit verstreut im Heiligen Römischen Reich. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten Bluzger, also Kleinmünzen, die lokal in den Drei Bünden zirkulierten und in Haldenstein massenweise produziert wurden.
Weshalb war es für eine so kleine Herrschaft erstrebenswert, eigene Münzen zu prägen?
Das wäre tatsächlich nicht nötig gewesen: Das Gebiet war dominiert von Stadt und Bistum Chur und wirtschaftlich voll integriert in die Drei Bünde und deren Geldumlauf. Aber Geld zu produzieren war einerseits ein Prestige, andererseits eine gute Einnahmequelle, wenn man das kostenoptimiert betrieb. Im Fall von Haldenstein erhielt Thomas I. von Schauenstein 1611 vom Kaiser seinen Freiherrentitel und gleichzeitig auch das Münzrecht, also die Lizenz, eigene Münzen zu prägen.
Geld prägen und damit Geld verdienen, wie geht das?
Die Haldensteiner beschäftigten keine besonders guten und damit billige Handwerker und Medailleure, um ihre Prägestempel zu schneiden. Ausserdem verwendeten sie gerade so viel Silber, wie für den Nominalwert nötig war, oder sogar weniger. So entstand eine Gewinnmarge, wenn das Geld einmal in Umlauf gebracht war. Wo die Münzen auf den Silbergehalt geprüft wurden, hiess es, sie seien zu schlecht. Sie wurden verboten und mussten eingezogen und eingeschmolzen werden. Deshalb sind heute nur noch wenige dieser Münzen erhalten.