Schreckgespenst Zukunft.
Interview: Angelika Jacobs
Die Psychologin Karina Wahl erforscht das Grübeln. Gründe zur Sorge über das, was auf uns zukommt, gibt es reichlich. Ein Gespräch über einen konstruktiveren Umgang mit der Ungewissheit.
UNI NOVA: Frau Wahl, die Folgen der Pandemie, Inflation, Klimakrise … welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?
KARINA WAHL: Ich versuche, nicht ständig darüber nachzugrübeln, aber wenn ich daran denke, empfinde ich beklemmende Sorge.
UNI NOVA: Die heisse Phase der Pandemie ist nun zwar womöglich zu Ende ist. Wir erleben aber schon deutliche Folgen des Klimawandels. Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht vom «brennenden Planet». Was bedeutet das für die Psyche der Menschen?
WAHL: Um das zu beantworten, muss ich etwas ausholen. Die Forschung beschäftigt sich zwar schon länger mit den direkten Folgen des Klimawandels, aber erst seit 10 bis 15 Jahren auch mit den indirekten.
UNI NOVA: Was ist damit gemeint?
WAHL: Man beobachtet zum Beispiel, dass in Regionen, die besonders von Folgen des Klimawandels betroffen sind, Angst, Depressionen, Substanzmissbrauch und dergleichen ansteigen. Das sind direkte Auswirkungen der veränderten Umwelt auf die Psyche. Indirekte Effekte sind Sorgen und Ängste, die der Klimawandel auch bei jenen auslöst, die selbst davon noch nicht so stark betroffen sind. Da steht die Forschung allerdings noch am Anfang und es gibt nur erste Hinweise, wie gross das Ausmass dieser Klimawandelangst ist und welche Ausprägungen sie annimmt.
UNI NOVA: Wie äussert sich Klimawandelangst?
WAHL: Dazu gibt es in Fachkreisen noch keinen endgültigen Konsens. Klimawandelangst umfasst nicht nur Angst im engeren Sinne, sondern auch Gefühle wie Wut, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Frustration oder auch ein Sich-verraten-Fühlen von tatenlosen Regierungen. Es sind Begriffe im Umlauf, wie «Eco Anger», also grosse Wut über den Klimawandel, oder «Eco Grief», das ist die Trauer um den Verlust geliebter Orte, die durch Umweltveränderungen zerstört werden.
UNI NOVA: Die «Fridays For Future»-Bewegung wird vor allem von Jugendlichen getragen. Wie präsent ist Klimawandelangst in der Gesellschaft als Ganzes?
WAHL: Das ist schwer zu beantworten, weil bisherige Umfragen dazu vor allem mit jungen Menschen stattgefunden haben. Beispielsweise haben britische Forschende die Ergebnisse einer globalen Umfrage unter Jugendlichen vorgestellt, und da äusserten rund zwei Drittel der Befragten grosse bis sehr grosse Sorgen über den Klimawandel. Nur ein Drittel macht sich wenig bis keine Sorgen. Dass sich vor allem Jüngere sorgen, ist auch logisch, da sie länger mit stärkeren Folgen des Klimawandels leben müssen.
UNI NOVA: Mit der Pandemie ist der Klimawandel zeitweise aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Auch unter Corona scheint die Psyche vor allem bei Jugendlichen gelitten zu haben. Gibt es da Parallelen?
WAHL: Dazu kann ich nur spekulieren, aber natürlich hängt beides mit einer ungewissen Zukunft zusammen. Ältere haben sich in ihrem Beruf etabliert und im Alltag eingerichtet, Jugendliche suchen erst noch ihren Weg. Da ist der chronische Stress, den die Pandemie und auch der Klimawandel bedeuten, sehr belastend für die Psyche. Im Kern vieler Ängste steckt häufig eine Intoleranz für Unsicherheit, die bei manchen stärker ausgeprägt ist, bei anderen schwächer.
UNI NOVA: Können Sie das genauer erklären?
WAHL: Eine gewisse Unsicherheit im Leben ist normal. Einige kommen gut damit zurecht oder erleben diese sogar als auf- oder anregend, andere empfinden Unsicherheit als stressreich. Sie haben möglicherweise negative, verzerrte Vorstellungen davon, dass man jedes Mass an Unsicherheit ausräumen muss, bevor man sorgenfrei leben kann. Beim Klimawandel und der Pandemie spielen Ungewissheiten, wie sich diese auf unser individuelles Leben auswirken, eine grosse Rolle. Es kann sein, dass jemand, der Unsicherheit nur sehr schwer aushält, besonders empfänglich für starke Ängste und Sorgen in diesen beiden Bereichen ist.
UNI NOVA: Was bewirkt das bei den Betroffenen?
WAHL: Eine typische Reaktion ist, zu versuchen, Sicherheit zu erreichen – ob die Versuche wirksam sind oder nicht. Das kann sogar kontraproduktiv sein: Wenn man sich beispielsweise ständig bei anderen rückversichert, dass schon nichts passieren wird, kann man die eigene Unsicherheit an andere weitergeben. Es gibt dieses Phänomen des sich gegenseitig Hochschaukelns beim Grübeln, in Fachkreisen nennen wir das «Co-Rumination». Das kann das Gefühl der Hilflosigkeit sogar noch verstärken. Um auf das Beispiel der Klimaangst zurückzukommen: Sich Schreckensszenarien auszumalen, kann lähmen.
UNI NOVA: Was würden Sie empfehlen, um dem zu entkommen?
WAHL: Wenn man sich allzu grosse Sorgen macht, muss man unterscheiden: Haben meine Sorgen ein reales Problem als Grundlage oder sind sie diffus und abstrakt? Im ersten Fall braucht es Problemlösungsstrategien, um die Ursachen der Sorgen zu reduzieren. Im zweiten Fall geht es darum, Strategien im Umgang mit übermässigen Sorgen zu finden.
UNI NOVA: Können Sie ein Beispiel geben?
WAHL: Wenn ich mir Sorgen mache, ob ich meine Matura schaffe, ist das ein lösbares Problem: Ich kann ja meinen Notenschnitt ausrechnen und dadurch ein realistischeres Bild meiner Chancen bekommen. Und mich gegebenenfalls mehr anstrengen. Auch der Klimawandel ist real. Ein konstruktiverer Umgang im Sinne von Ursachenbekämpfung wäre zum Beispiel, seinen CO2-Fussabdruck zu reduzieren oder sich zu engagieren, zum Beispiel bei Demonstrationen für eine ambitioniertere Klimapolitik. Wenn man sich engagiert, trifft man auf Gleichgesinnte und kann gemeinsam das Gefühl aufbauen, doch etwas bewirken zu können. Wichtig dabei ist, dass man sich konkrete Schritte als Ziel setzt und hinterfragt, welche Probleme lösbar sind und welche nicht.
UNI NOVA: Aber beim Klimawandel ist das für Laien schwer einzuschätzen und viele der Probleme sind unlösbar für mich als Individuum.
WAHL: Genau, Klimawandel-Angst hat auch diese zweite Komponente. Übermässige Sorgen über unlösbare Probleme brauchen einen anderen Umgang. Was helfen kann, ist, ein Sorgentagebuch zu führen. Sich-Sorgen ist oft wie eine schlechte Angewohnheit, es passiert automatisch. Zu erkennen, was die Auslöser sind, kann ein erster Schritt sein. Dann kann ich lernen, mit diesen Auslösern anders umzugehen, sie zum Beispiel zu hinterfragen und zu versuchen, sie für mich einzuordnen und meinen Fokus mehr auf das zu verschieben, was ich bewirken und erreichen kann. Dadurch werden diffuse Sorgen eher konkret. Eine weitere Strategie wäre die radikale Akzeptanz der Unsicherheit.
UNI NOVA: Zu den Folgen der Pandemie und des Klimawandels kommt nun auch noch der Krieg in der Ukraine. Wie gehen Sie persönlich mit anhaltender Unsicherheit um?
WAHL: Ich informiere mich und suche die Diskussion mit meinem Mann, Freunden oder Kollegen. Das hilft mir, das Grübeln im Zaum zu halten. Gleichzeitig geht es darum, zu akzeptieren, dass man die Ungewissheit über das, was kommt, nicht komplett reduzieren kann. Oder anders gesagt: Ich versuche, meine Toleranz für Unsicherheit zu erhöhen.
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