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Krebs. (01/2023)

Mit Minitumoren zur besten Therapie.

Text: Catherine Weyer

Raphaëlle Servant baut Tumore im Kleinstformat nach. Die Doktorandin will mit solchen Organoiden massgeschneiderte Behandlungen ermöglichen.

Raphaëlle Servant am Mikroskop mit einem fluoreszenzgefärbten Organoid auf dem Bildschirm daneben
Raphaëlle Servant und ihre Kollegen prüfen durch verschiedene Tests, ob die Mini-Tumore dem Original gleichen. (Foto: Universität Basel, Eleni Kougionis)

Für Heiner Schläpfer begann es mit Blut in seinem Urin. Seine Ärztin stellte die Diagnose: Prostatakrebs. Darauf folgten eine Prostatektomie, also die Entfernung der gesamten Prostata, Chemotherapie und chemische Kastration. Grundsätzlich lässt sich Prostatakrebs damit gut behandeln: Durch die chemische Kastration erhalten die Krebszellen kein Testosteron mehr, können nicht weiterwachsen und sterben ab. Aber dann erhält Heiner Schläpfer die Hiobsbotschaft: der Krebs ist zurück, die Therapie hat nicht angeschlagen. Noch schlimmer: Der Krebs ist nun aggressiver als zuvor. Eine neue Behandlungsmethode muss her.

Schicksale wie jenes des – erfundenen – Herrn Schläpfer gibt es in der Schweiz täglich. Raphaëlle Servant will Betroffenen mit ihrer Forschung an Prostata-Krebszellen helfen: Sie ist Doktorandin am Departement Biomedizin in der Forschungsgruppe von Dr. Clémentine Le Magnen, die sich vorgenommen hat, den Krebs eines jeden Patienten besser zu verstehen.

Nachdem bei Heiner Schläpfer der Krebs zurückgekommen ist, entnehmen die Urologen eine Biopsie des Tumors und schicken sie in die Pathologie. Dort untersuchen die Pathologinnen die Gewebeprobe und geben einen Schnitt mit Tumorzellen an Raphaëlle Servant und ihre Kolleginnen weiter. Sie präpariert daraus Teile für Analysen und für Organoide. Das sind quasi im Labor gezüchtete Minitumore, die dem Original möglichst ähnlich sein sollen.

Genaues Abbild des Tumors

Um diese Organoide zu erhalten, wird ein Stück der Biopsie in einzelne Zellen zerlegt. Danach pflanzt sie Servant in einer Petrischale auf eine gelartige Matrix, die den Krebszellen ermöglicht, in 3D zu wachsen. In einer Nährlösung mit verschiedenen Wachstumsfaktoren bilden sich allmählich Kügelchen, die im besten Fall ein genaues Abbild des ursprünglichen Tumors sind.

Langfristig sollen diese Organoide helfen, verschiedene Therapien für den jeweiligen Krebs im Labor vorab zu testen und diejenige Behandlung zu identifizieren, die beim Patienten den bestmöglichen Erfolg bringt. Dieses translationale Forschungsprojekt ist nur durch die Zusammenarbeit von Urologinnen, Pathologen und Forscherinnen möglich. Wäre dies bereits für Heiner Schläpfer möglich gewesen, hätte er eine Therapieform erhalten, die spezifisch auf seinen Krebs zugeschnitten wäre.

Gewebe eines Prostatakarzinoms
Gewebe eines Prostatakarzinoms. Der Tumor entsteht im Drüsengewebe der Vorsteherdrüse und verursacht zunächst keine Symptome. Wird der Krebs erst nach Auftreten von Symptomen erkannt, haben sich meist schon Metastasen gebildet. (Bild: Getty Images, Steve Gschmeissner)

Momentan sind die Forschenden aber noch nicht so weit. Da Prostatazellen sehr heterogen sind, sei es schwierig, die richtigen, also zu Krebszellen mutierten zu erwischen, so Servant. «Es dauert mehrere Wochen, bis die Organoide so gross sind, dass wir sie untersuchen können. Und oftmals haben wir dann doch nicht die Krebszellen erwischt, sondern gutartige Zellen.» Im besten Fall dauert es rund einen Monat, bis die Organoide auf eine brauchbare Grösse angewachsen sind, die bei etwa 50 Mikrometern Durchmesser liegt. «Im Moment ist das bei jeder fünften unserer Proben der Fall», schätzt Servant.

Forschung an Prostata-, Nieren- und Blasenkrebs

Ein Grossteil ihrer Arbeit besteht deshalb auch darin, gute Wachstumsbedingungen für die Prostatazellen zu finden, damit sie in den Petrischalen gedeihen. Denn hier fangen die Schwierigkeiten bereits an: Der grosse Vor- und gleichzeitig Nachteil von Prostatakrebs ist, dass er langsam wächst. Das bedeutet, dass die Forschenden nach der Prostatabiopsie verhältnismässig lange Zeit haben, den jeweiligen Tumor zu analysieren, ohne dass der Krebs im Patienten zu weit fortschreitet. Andererseits dauert es aber auch lange, bis die Organoide gross genug sind, um sie testen zu können.

Neben Prostatakrebs untersucht die Forschungsgruppe von Clémentine Le Magnen auch Nieren- und Blasenkrebs, beides Krebsarten, die ebenfalls verhältnismässig langsam wachsen. Wenn Servant Erfolg hat und die Krebsorganoide wachsen, kann sie an ihnen Therapietests durchführen. Bei den Tests geht es darum, unterschiedliche Krebsmedikamente anzuwenden und die optimale Dosierung des optimalen Wirkstoffes herauszufinden.

«Nachdem wir mit viel Zeit und Mühe herausgefunden haben, wie die Zellen am besten wachsen, wollen wir untersuchen, wie wir sie am besten abtöten», fasst Servant zusammen. «Es gibt 1500 chemische Verbindungen, die sich als Krebsmedikamente eignen», erklärt die Doktorandin. Und es komme auf die Eigenschaften des einzelnen Tumors an, welche Kombination an Substanzen die beste Wirkung bringt.

Die Medikamente können die Forschenden mittlerweile automatisiert testen: Ein Gerät, das Ähnlichkeit mit einem kleinen Drucker hat, kann die unterschiedlichen Wirkstoffe in exakt definierten Mengen in die einzelnen Petrischalen spritzen. Sterben die Organoide ab, wissen die Forschenden, dass das Medikament wirkt. Und mit den unterschiedlichen Dosierungen können sie justieren, wie viel des Medikaments ausreichend ist, die Krebszellen auszumerzen, aber die gesunden Körperzellen nicht unnötig zu schädigen.

Suche nach der Krebssignatur

Ein bekanntes Problem bei der Prostatakrebs-Behandlung hat auch Heiner Schläpfer getroffen: dass der Krebs zurückkommt und resistent gegen die Behandlung geworden ist. Weshalb das passiert, müssen die Forschenden erst noch herausfinden.


Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (Mai 2023).

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