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campus stories
30. Mai 2024 / Recht , Céline Emch

Wenn Jurastudierende für eine Prüfung zu Schauspieler*innen werden

Mock Trial am Appellationsgericht Basel-Stadt: Jurastudierende bei ihrem ersten Mietrechtsverfahren. (Bild: Céline Emch)
Mock Trial am Appellationsgericht Basel-Stadt: Jurastudierende bei ihrem ersten Mietrechtsverfahren. (Bild: Céline Emch)

Reaktionsvermögen, Taktik und eine gewisse Coolness sind gefragt: In einer simulierten Gerichtsverhandlung zeigen Masterstudierende der Rechtswissenschaft, dass sie nicht nur die Gesetzbücher, sondern auch die juristischen Spielregeln beherrschen.

Eine laute WG nebenan, illegales Glücksspiel im Haus und ein einsturzgefährdeter Erker – das Ehepaar Kaiser hatte sich das Leben in ihrer neuen Wohnung anders vorgestellt. Als dann auch noch der geliebte Kronleuchter von der Decke fiel, lief das Fass über und die beiden kündigten ihre Wohnung fristlos. Einige Monate später stehen sie dann mit ihrer Vermieterin vor dem Zivilgericht. Wer hätte gedacht, dass ein heruntergefallener Kronleuchter einen Rechtsstreit auslösen kann? 

Was nach einem Drehbuch für eine Anwaltsserie klingt, ist die Realität für Masterstudierende der Rechtswissenschaft der Universität Basel, die ihre erste Gerichtsverhandlung simulieren.

Diese Gelegenheit liess sich Robin Stoffel als frisch gebackener Masterstudent nicht nehmen. Ihm wurde die Rolle des zweiten Richters/Statthalters in einem Mietrechtsverfahren zugeteilt. «Der Sachverhalt ist sehr vielschichtig», erzählt er. «Kurz gesagt geht es darum, dass die Mieter Kaiser aus verschiedenen Gründen fristlos gekündigt haben. Da die vertragliche Kündigungsfrist aber sechs Monate beträgt, fordert die Vermieterin die Miete für diesen Zeitraum. Darüber hinaus verlangt sie eine Entschädigung für den Schaden, der durch den heruntergefallenen Kronleuchter am Parkettboden entstanden ist.» Insgesamt geht es um eine Summe von 34'600 Franken, über deren Zahlung das Gericht zu entscheiden hat.

Robin Stoffel studiert Rechtswissenschaft im ersten Semester des Masters. (Bild: Céline Emch)
Robin Stoffel studiert Rechtswissenschaft im ersten Semester des Masters. (Bild: Céline Emch)

Spontanität ist gefragt

Nach der Eröffnung durch den Gerichtspräsidenten werden zwei Zeugen und ein Sachverständiger vernommen, gefolgt von den Schlussplädoyers der beiden Anwältinnen. Danach ziehen sich die zwei Richter und die Richterin zur Urteilsberatung zurück. «Als zweiter Richter/Statthalter leite ich die Beratung und stelle den ersten Urteilsantrag, auf den die anderen Richter*innen mit ihren eigenen Vorschlägen reagieren können», erklärt Robin. Haben sich die Richter*innen geeinigt, verkündet und begründet die dritte Richterin schliesslich das Urteil, das von der Gerichtsschreiberin nochmals verlesen und verteilt wird.

Die Rollen sind also verteilt, der Ablauf ist klar und die Fakten sind bekannt. Was kann da noch schiefgehen für die Prüfung?

Die Zeugenaussage als grosse Unbekannte

«Man kann noch so viel auswendig lernen, letztendlich gibt es gewisse Unsicherheitsfaktoren, die man nur durch Erfahrung überwinden kann. Über die genauen Formulierungen oder die Wortwahl, die man wie in meinem Fall als zweiter Richter/Statthalter benutzen muss, findet man in keinem Buch genaue Informationen. Es kommt schlussendlich immer auf die Situation an. Es ist somit praktisch unmöglich, einen echten Fall zu finden, der perfekt auf die eigene Situation passt und als Vorlage verwendet werden könnte», so Robin.

Letztlich bleibe aber immer ein bestimmter Unsicherheitsfaktor, der auch den erfahrensten Juristen noch zum Schwitzen bringen kann: die Zeugenaussage.

Von roten Socken und falsch ausgesprochenen Nachnamen

«Während der Verhandlung müssen wir die Zeugenaussagen in kürzester Zeit aufnehmen und verarbeiten, um unsere vorbereiteten Plädoyers oder Urteilsanträge demendsprechend anzupassen. Dabei müssen wir die für den Fall entscheidenden Informationen herausfiltern und Störfaktoren ausblenden», sagt Robin.

Und solche «Störfaktoren» hat es einige, denn die Zeug*innen geben sich alle Mühe, die Studierenden durch ihr Verhalten aus der Reserve zu locken. Ein arroganter Architekt korrigierte die Richter*innen ständig bei der Aussprache seines Namens, der Gutachter ist so zerstreut wie die Beweisunterlagen, die er überall im Raum verteilt und auch die Nachbarin sorgt mit ihren Antworten für einige amüsante Momente. Auf die Frage, ob ihr im Haus etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei, antwortet sie ohne zu zögern: «Ja, die roten Socken in der Wäsche haben mich schon gestört.» Nicht gerade die Antwort, die sich die Richter*innen erhofft hatten. Doch das Gericht bleibt gelassen und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Robin erklärt: «Natürlich war der Auftritt der Zeug*innen nur gespielt, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass Menschen vor Gericht tatsächlich so reagieren können. Für die meisten ist eine Aussage vor Gericht ein aussergewöhnliches Ereignis. Dass die Leute da emotional oder nervös werden, ist normal. Gerade wenn man aber selbst auch unerfahren ist, können solche Dinge verunsichern.»

Robin Stoffel, zweiter Richter/Statthalter (links) und Alessandro Samà, Gerichtspräsident (rechts) diskutieren ihre Meinungsverschiedenheiten nach der Verhandlung. (Bild: Céline Emch)
Die Verhandlung bewegt die Studierenden - Robin Stoffel (links) und Alessandro Samà (rechts) diskutieren auch nach der Verhandlung noch über den Fall. (Bild: Céline Emch)

Das Urteil ist gesprochen

In seinem Urteilsantrag fordert Robin eine teilweise Gutheissung aus Sicht der Vermieterin. Die fristlose Kündigung sei unzulässig, da kein schwerwiegender Mangel an der Wohnung vorgelegen habe, der eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte. Die Mietzinse seien daher vom Ehepaar Kaiser zu zahlen. Anders verhalte es sich mit dem Parkettschaden: Da die Vermieterin diesen zu spät reklamiert habe, sei der Anspruch auf Schadenersatz verwirkt.

Der Gerichtspräsident ist bezüglich der Unzulässigkeit der fristlosen Kündigung nicht einverstanden. Für ihn bestand in dieser Wohnung eindeutig Lebensgefahr. Nun hängt das Urteil von der Meinung der dritten Richterin ab – wie wird sie sich entscheiden?

Gespannt erwarten die Zuschauenden den Entscheid des Gerichts. Die Spannung steigt, als sich die Gerichtsschreiberin erhebt. «Das Gericht ist zum Schluss gekommen, dass die fristlose Kündigung rechtsgültig war und sowohl die Mietzins- als auch die Reparaturkosten vollumfänglich von der Vermieterin zu tragen sind.» Die Vermieterin ist entsetzt, die Kaisers zufrieden und die Studierenden erleichtert. Sie haben ihre erste Gerichtsverhandlung souverän gemeistert.

Auch Robin freut sich über seine erste Verhandlung: «Es war eine tolle Erfahrung, die ich nicht so schnell vergessen werde! Ich bin sehr dankbar, dass wir durch Frau Lötscher die Möglichkeit hatten, bereits während des Studiums praktische Einblicke zu gewinnen. Das ist ein echtes Privileg.»

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