Im Fokus: Darja Schildknecht schaut auf die Rolle von Sicherheitsfirmen – mit ihrem ganz spezifischen Blick als weibliche Forscherin
Kaum ist die Dissertation abgeschlossen, träumt Darja Schildknecht schon vom Postdoc: Die Wissenschaftlerin kann nicht genug bekommen von ihrer Arbeit. Auch wenn sie ihre Expertise jetzt erst einmal abseits der Akademie einbringen wird.
18. Juli 2024 | Catherine Weyer
Darja Schildknecht hat gemischte Gefühle, wenn sie an ihre Zukunft denkt. Einerseits ist sie erleichtert, dass sie ihre Dissertation endlich abgegeben hat, nach vier Jahren Arbeit. Und gleichzeitig bedeutet dies auch den Abschied von der Arbeit, die sie in den letzten Jahren mit Herzblut vorangetrieben hat.
«Ich liebe die wissenschaftliche Arbeit, stundenlange Überlegungen anzustellen, die theoretischen Grundlagen zu recherchieren und eigene Gedanken zu spinnen», schwärmt die 33-Jährige. «Mir war schon während meines Masterstudiums klar, dass ich eine Dissertation schreiben will», sagt sie. Und das, obwohl sie nach ihrem Masterabschluss an der London School of Economics der Akademie für sechs Jahre den Rücken kehrte.
Damit ist es bald vorbei: Schildknechts Vertrag endet im August, dann wird sie die Universität Basel verlassen. Ein grosser Moment in Schildknechts Vita. Ihre Dissertation hat sie zum Thema Sicherheit, Gender und dekolonialer Feminismus mit Fokus auf der Privatisierung von Gewalt geschrieben. Für das SNF-Projekt «How Gender Matters in the Policy and Practice of ‹Preventing and Countering Violent Extremism›» verbrachte die Wissenschaftlerin auch ein Jahr in Kenia für die Feldforschung.
Vom Kosovo nach Kenia
Die Feldforschung in Kenia war für Schildknecht die schwierigste Zeit des Doktorats. Ihre Arbeit beleuchtet das globale Antiterror-Regime und wie sich dieses unter anderem im Kontext von Kenia auswirkt. Ihre Aufgabe: Bei Sicherheitskräften vor Ort in Erfahrung bringen, was deren Verständnis von Sicherheit ist und wie sie dieses praktizieren. Dabei interviewte sie Polizei, Militär und auch Personen aus der privaten Sicherheitsindustrie. Gerade die Befragung Letzterer entpuppte sich als grosse Herausforderung, da ihr der Zugang als Aussenstehende oftmals verwehrt blieb. «Meine Identität als junge Frau erschwerte mir die Feldforschung im Bereich Sicherheit, da ich nicht automatisch als ‹Peer› angeschaut wurde», erinnert sie sich. «Ich habe deshalb ganz bewusst auch meine vorherige militärische Erfahrung in den Vordergrund gerückt, um mich bei meinen Interviewpartnern glaubwürdiger zu machen», erzählt sie.
Schildknecht hat nach ihrem Master für die Schweizer Armee einen Friedenseinsatz im Kosovo geleistet, wo sie als Presseoffizier tätig war. «Die ersten drei Monaten haben wir in der Kaserne verbracht und gelernt, wie das Militär funktioniert und uns für den Einsatz vorbereitet», beschreibt sie. Das Militär von innen zu kennen, half Schildknecht in der Feldforschung, um einen erleichterten Zugang zu Interviews zu erhalten, erzählt sie.
Gerade im Fall der privaten Sicherheitsindustrie in Kenia, bei der Managementpositionen meist von britischen ex-Militärs besetzt seien. «Meine ganz bewusste und strategische Annahme von militärischen Maskulinitäten, um mir Zugang zu Daten zu erschaffen, war nicht ganz so einfach wie ich mir das vorgestellt hatte», erinnert sie sich. Obwohl Schildknecht am Ende über zwanzig Interviews mit Personen aus der privaten Sicherheitsindustrie machen konnte, erlebte sie Übergriffe in Form von sexualisierter Gewalt und Drohungen.
Sicherheit ist Interpretationssache
Diesen Erfahrungen widmet sie in ihrer Dissertation ein ganzes Kapitel. «Es ist wichtig zu reflektieren, wer überhaupt das Gespräch führt und den Forschungsschwerpunkt setzt. Als weisse, junge Frau nehme ich eine ganz spezifische Position ein im Feld», ist sie überzeugt. Zu reflektieren, welche Identitäten und Positionen man selbst mit in die Forschung einbringt, ist ein Schwerpunkt des dekolonialen Feminismus und definiert, wie Wissen und Informationen weitergegeben werden. «Es gibt nicht nur eine einzige Antwort auf meine Forschungsfrage. Was ich durch meine Forschung beitragen kann, ist ein Puzzleteil aus meiner Perspektive», erzählt sie.
Ihr Forschungsfazit: Die Tendenz zu Prävention im Antiterror-Regime ermögliche es Sicherheitsakteuren, sich neu zu definieren und sich auszubreiten – und damit abzusichern. «Oftmals werden gegenderte Sicherheitsstrategien angewandt, um mehr Akzeptanz zu schaffen und sich weiterhin auf dem Sicherheitsmarkt halten zu können», so Schildknecht. «Frauen werden beispielsweise spezifisch rekrutiert, um in Positionen als Analystinnen zu arbeiten.». Frauen würden als intelligent verstanden, im Gegensatz zu einer körperlichen Stärke, die den Männern vorbehalten bleibe.
Verstehen, wie die Welt funktioniert
Für die Zukunft hat Darja Schildknecht klare Pläne: Im Herbst erwartet sie ihr erstes Kind und tritt gleichzeitig eine Anstellung beim Schweizer Militär als Gender Advisor an. Ihre Aufgabe: Die Human Security Perspektive inklusive Gender in alle militärischen Aktionen einbringen. «Konkret heisst das, das Bewusstsein schärfen, wie eine solche Perspektive konkret einen Einfluss auf die militärische Aktion haben kann – im Krieg, in Übungen, aber auch in tagtäglichen Einsätzen der Armee», erklärt sie.
Auch wenn Schildknecht der Universität jetzt abermals den Rücken kehrt: lange soll das nicht so bleiben. «Ich hoffe auf eine PostDoc-Stelle bei meiner Doktormutter für ein SNF-Nachfolgeprojekt», sagt sie mit leuchtenden Augen. Auch wenn noch gar nicht klar sei, ob das Projekt zustande kommt, möchte sie unbedingt Teil davon sein: «Wir müssen doch einfach lernen, wie diese Welt funktioniert. Und wo kann man das besser als an der Universität?»
Im Fokus: die Sommerserie der Universität Basel
Das Format Im Fokus rückt junge Forschende in den Mittelpunkt, die zum internationalen Renommee der Universität beitragen. In den kommenden Wochen stellen wir Akademiker*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen vor, die stellvertretend für die über 3000 Doktorierenden und Postdocs der Universität Basel stehen.