«Die Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass wir mit persönlichen Daten verantwortungsvoll umgehen»
Heute findet der Schweizer Digitaltag statt – dabei ist auch die Digitalisierung von Patientendaten ein wichtiges Thema. Der Bioinformatiker und Vizerektor Forschung der Universität Basel, Prof. Dr. Torsten Schwede, ist Vorsitzender des Scientific Expert Board des Swiss Personalized Health Network (SPHN). Er erklärt, welchen Nutzen die Digitalisierung von Patientendaten hat und wo dabei die grössten Herausforderungen liegen.
03. September 2019
Herr Schwede, der Bund hat im Rahmen der nationalen SPHN Initiative 68 Millionen Franken für den Aufbau einer nationalen Dateninfrastruktur zur Förderung der personalisierten Medizin zur Verfügung gestellt. Warum ist dieses Projekt so wichtig?
Im Gesundheitsbereich erzeugen wir heute eine Vielzahl an Daten, die wissenschaftlich, medizinisch und gesellschaftlich relevant sein könnten. Die meisten davon sind zwar digital erfasst, werden aber in verschiedensten Formaten erstellt und auf unterschiedlichsten Systemen verteilt gespeichert, so dass sie daher nicht sinnvoll genutzt werden können. Damit gehen sie eigentlich dem wissenschaftlichen Fortschritt und auch dem Gesundheitssystem verloren.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Nutzung dieser Daten?
Die Probleme sind vielschichtig. Da gibt es zunächst technische Herausforderungen – wir müssen die verschiedenen Systeme interoperabel machen, so dass Daten sicher ausgetauscht werden können. Hier hat die Schweiz keine gute Ausgangslage, jeder der 26 Kantone hat sein eigenes Gesundheitssystem, und selbst innerhalb eines Spitals kommen manchmal unterschiedlichste IT-Systeme zum Einsatz. Die 2007 beschlossene Strategie zur Einführung des elektronischen Patientendossiers kommt nicht recht voran und das System ist nicht für die Forschung nutzbar. Die grösste Herausforderung sehe ich im Moment jedoch darin, die Daten inhaltlich vergleichbar zu machen – wir sprechen von «semantischer Interoperabilität». Ich kann zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass ein Blutzuckerwert vom Universitätsspital Basel automatisch dasselbe bedeutet wie ein Blutzuckerwert aus Bern. Dafür muss ich wissen, zu welchem Zweck und mit welcher Methode der Wert bestimmt wurde. Neben den eigentlichen Daten muss man sich daher auch über den Datenkontext austauschen können. Die fünf Universitätsspitäler der Schweiz sind gerade daran, hierfür gemeinsame Standards festzulegen. Das «Data Coordination Center» am SIB Swiss Institute of Bioinformatics hier in Basel hat die Aufgabe, die vielschichtigen Fragestellungen der Interoperabilität von Gesundheitsdaten anzugehen und schweizweite Standards zu erarbeiten.
Für die meisten Menschen ist die Datensicherheit bei der Digitalisierung von Patientendaten ein wichtiges Anliegen. Was wird dafür getan?
Die Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass wir mit den Daten verantwortungsvoll umgehen. Dafür braucht es Prozesse, die gewährleisten, dass Daten sorgfältig de-identifiziert (oder anonymisiert), sicher gespeichert und verarbeitet, und nur für solche Zwecke eingesetzt werden, denen der Patient zugestimmt hat. Hier gibt es in der Schweiz mit dem Humanforschungsgesetz einen klaren rechtlichen Rahmen. Natürlich kann ich als Patient für die Entscheidung, ob ich meine Daten für eine bestimmte Studie zur Verfügung stellen möchte, oft nicht alle Details inhaltlich beurteilen. Daher gibt es kantonale Ethikkommissionen, die jedes Forschungsgesuch daraufhin untersuchen, ob die gültigen nationalen und internationalen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen eingehalten werden und das Forschungsvorhaben ethisch einwandfrei ist. So kann ich als Einzelner meine Entscheidung, ob meine Daten verwendet werden dürfen, auf ein kompetentes Gremium abstützen.
Wir haben bisher von der Nutzung von digitalen Daten für die Forschung gesprochen. Aber können Patientinnen und Patienten auch direkt davon profitieren?
In grossen Datenmengen kann man Zusammenhänge erkennen, die ansonsten nicht sichtbar wären. Wenn diese Zusammenhänge eindeutig und erklärbar sind, kann der Weg zwischen Datenerfassung und möglichen Anwendungen in der Klinik recht kurz sein. Ein solches Beispiel wäre eine Unverträglichkeit von Medikamenten, die einen genetischen Hintergrund hat. Hier kann man sehr schnell sagen, dieses Medikament darf man bestimmten Patienten nicht verschreiben, weil es bei ihnen nicht wirkt oder starke Nebenwirkungen hervorruft. In den meisten Fällen führen Korrelationen in Gesundheitsdaten jedoch zunächst einmal zu wissenschaftlichen Hypothesen, die dann in der Grundlagenforschung untersucht werden müssen bevor daraus eventuell ein Ergebnis mit medizinischer Relevanz wird.
Um welche Art von Daten geht es im Swiss Personalized Health Network?
International ist der Fokus sehr stark auf genetische Daten ausgerichtet – das liegt vor allem an der Krebsforschung, wo aus den genetischen Eigenschaften eines Tumors eine Therapieempfehlung oder eine Forschungshypothese abgeleitet werden kann. Die Schweizer Initiative ist dagegen etwas breiter aufgestellt – wir fördern neben der personalisierten Onkologie ein vielseitiges Portfolio an Projekten. Das Universitätsspital Basel leitet zum beispielsweise die Personalized Swiss Sepsis Studie, die mit Hilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz vorhersagen möchte, welche Patienten auf einer Intensivstation mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutvergiftung bekommen. Das ist enorm wichtig, weil die Überlebensrate bei Blutvergiftung stark davon abhängt, wie früh man eingreift. In solche Algorithmen gehen neben Informationen über den Krankheitserreger und mögliche Antibiotikaresistenzen auch sehr umfangreiche Daten aus der Intensivmedizin wie Verlauf von Pulsschlag, Blutdruck, Temperatur, Atemfrequenz usw. mit ein.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung bei der Erfassung von Gesundheitsdaten in der Schweiz?
Die Medizin der Zukunft wird personalisierter werden und sich zunehmend auf «real world»-Daten abstützen. Damit werden Grundlagenforschung, angewandte Forschung und klinische Praxis viel enger als in der Vergangenheit zusammenarbeiten müssen, um die nächsten Innovationen zu entwickeln. Interoperabilität von Gesundheitsdaten ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Bei den fünf Unispitälern hat sich gezeigt, dass alle hinter dem SPHN Konzept stehen und gut zusammenarbeiten, in den nächsten Jahren wollen wir den Kreis auch auf kleinere Einrichtungen ausweiten. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive muss die Entwicklung aber nicht nur in Richtung «personalisierte Medizin», sondern auch «personalisierte Prävention» gehen. Wir können uns langfristig teure Spitzenmedizin dann leisten, wenn wir alle länger gesund bleiben. Wir sollten die Daten und das Wissen über uns selbst effizient nutzen, um die Gesundheit von jedem Einzelnen zu verbessern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für die es sich lohnt, trotz aller Schwierigkeiten an der besseren Erfassung von Gesundheitsdaten in der Schweiz zu arbeiten.