Gesünder leben im richtigen Licht
Es ist schon lange erwiesen, dass Tageslicht einen positiven Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit hat. Trotzdem findet diese Erkenntnis noch wenig Anwendung im Alltag und in der Klinik. Dies will die «Integrative Human Circadian Daylight Platform» in den nächsten Jahren ändern. Das interdisziplinäre Projekt unter Basler Führung wird von der Velux Stiftung mit über zwei Millionen Franken unterstützt.
19. September 2022 | Yvonne Vahlensieck
«Viele ältere Menschen, auch gesunde, leiden unter einer schlechten Schlafqualität», sagt Dr. Mirjam Münch. «Sie schlafen weniger tief und wachen häufig auf.» Die Schlafforscherin und Chronobiologin vermutet, dass ein Mangel an Tageslicht das Problem mitverursacht. In einer gerade anlaufenden Studie möchte sie untersuchen, ob Tageslicht in Kombination mit anderen niederschwelligen Massnahmen die Schlafqualität nachhaltig verbessern kann.
Diese Studie ist nur ein Beispiel für die vielen Aktivitäten der «Integrative Human Circadian Daylight Platform» iHCDP. Das Projekt wurde im letzten September lanciert und steht unter der Leitung von Prof. Christian Cajochen, Direktor des Zentrums für Chronobiologie, an den Universitären Psychiatrischen Kliniken, Basel. Die Finanzierung von über zwei Millionen Franken für die nächsten vier Jahre übernimmt die Velux Stiftung Schweiz.
Das Ziel der Plattform ist die Förderung der Tageslichtforschung – sowohl durch eigene Forschungsprojekte als auch durch die interdisziplinäre Vernetzung von Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mithilfe eines Data Hubs und der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnerinnen und Partnern.
Zudem soll die Tageslichtforschung mit den Gebieten der Altersforschung und der Augenheilkunde verknüpft werden und auch die Öffentlichkeit soll einen besseren Zugang zu den Erkenntnissen dieser Forschung bekommen und davon profitieren. «Das Neue an unserer Plattform ist, dass sie Expertinnen und Experten aus ganz verschiedenen Ebenen miteinander verbindet», sagt Programmkoordinatorin Dr. Miriam Ries. Die Plattform ist in drei Module eingeteilt, die sich jeweils der Grundlagenforschung, der anwendungsorientierten Forschung sowie der Entwicklung neuer Therapien widmen.
Auch drinnen die richtige Beleuchtung
Dr. Mirjam Münch leitet das Modul, das die Umsetzung der wissenschaftlichen Ergebnisse aus der Tageslichtforschung im alltäglichen Umfeld fördern soll: So könnte beispielsweise ihre Studie zur Schlafqualität von älteren Menschen Architekten dabei helfen, den Einfluss von Tageslicht beim Bau von Altersheimen besser zu berücksichtigen. Denkbar ist auch, dass sich daraus Richtlinien für das optimale Lichtdesign in öffentlichen Gebäuden ableiten lassen. «Wir gehen davon aus, dass eine langfristige Umsetzung solcher Ansätze die Gesundheit nicht nur von älteren Menschen generell verbessern kann», sagt sie.
Welche biologischen Mechanismen genau hinter den positiven Effekten von Tageslicht stecken, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Deshalb befasst sich ein zweites Modul der Plattform mit der Erforschung der physiologischen Grundlagen. Nach bisherigen Erkenntnissen lösen für uns unsichtbare Anteile des Tageslichts auf der Netzhaut der Augen Signale aus, die dann an das Gehirn weitergeleitet werden. Dies gibt dann den Takt für die innere Uhr vor. Der Leiter dieses Moduls ist Prof. Manuel Spitschan am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und an der Technischen Universität München.
Licht kann heilen
Das dritte Modul schliesslich soll die Entwicklung von auf Licht basierenden Therapien vorantreiben. «Lichtinformation aus der Umgebung wird über spezialisierte Zellen in der Netzhaut des Auges auch an die übergeordnete biologische Uhr im Hypothalamus weitergeleitet», sagt Münch.
«Heutzutage sind wir häufig nur elektrischer Beleuchtung ausgesetzt, das die Unterscheidung von Tag und Nacht für die biologischen Uhren erschwert, unter anderem weil es tagsüber zu wenig und am Abend zu hell ist.» Zusammen mit anderen Faktoren, welche die Synchronisation des zirkadianen Tag/Nachtrhythmus beeinträchtigen, kann dies längerfristig das Risiko für zahlreiche Erkrankungen − von Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen über Schlafstörungen bis hin zu Depressionen − erhöhen.
Zur Erprobung von innovativen Behandlungen mit einem chronotherapeutischen Ansatz richtet Dr. Corrado Garbazza demnächst eine «Circadian Health Clinic» am Zentrum für Chronobiologie ein. Das Potenzial dieses Ansatzes illustriert eine kürzlich publizierte Studie aus seiner Arbeitsgruppe: Eine halbstündige Lichttherapie während sechs Wochen verringerte das Risiko für eine Schwangerschaftsdepression signifikant.
Über die neuesten Erkenntnisse der Tageslichtforschung will die Plattform die Allgemeinheit bei verschiedenen Anlässen und über digitale Formate informiert halten. So soll sich auch in der Öffentlichkeit mehr Bewusstsein dafür entwickeln, wie wichtig die Lichtexposition für das Wohlbefinden ist. «Wir wollen unsere Resultate möglichst an die breite Bevölkerung weitergeben», sagt Münch. «Die Wissenschaft soll sich nicht in ihrem Elfenbeinturm verstecken.»