Die 10'000 Fotos des Jacob Burckhardt
Er war Ironiker, Geniesser und Katzenfreund, vor allem aber war er der wohl bedeutendste Schweizer Geisteswissenschaftler des 19. Jahrhunderts: Jacob Burckhardt. Am 25. Mai jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Die Historikerin Maike Christadler und der Kunsthistoriker Martin Gaier nehmen Burckhardts Jubiläum zum Anlass, sich intensiver mit seiner Abbildungssammlung auseinanderzusetzen.
30. April 2018
Der 1818 in Basel geborene Burckhardt gilt als Begründer der Kulturgeschichte und hat unsere Vorstellungen der wechselseitigen Beeinflussung von Staat, Religion und Kultur massgeblich geprägt. Er war Professor für Geschichte und später Kunstgeschichte an der Universität Basel und von Juni 1844 bis Dezember 1845 alleinverantwortlicher Redaktor der damaligen «Basler Zeitung».
Gemeinsam mit Studierenden der Universität Basel forschen Christadler und Gaier nun seit Herbst in Burckhardts einzigartigem Bilderschatz. Die Sammlung befindet sich in den Beständen der Universitätsbibliothek und des Kupferstichkabinetts im Kunstmuseum. Sie gilt als die früheste und grösste noch erhaltene Reproduktionssammlung eines Kunsthistorikers aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Über 10‘000 Fotos und eine Vielzahl weiterer Medien, wie Grafiken, Stiche und Risse sind dort gelagert.
«Man kann davon ausgehen, dass Burckhardt schon früh in seiner Karriere Grafiken gesammelt hat», erklärt Gaier die Entstehung dieser umfangreichen Kollektion. «Das Problem dabei ist jedoch die fehlende Datierung. Man weiss nicht, wann er was erworben hat. Was wir sicher wissen: dass er mit dem Sammeln von Fotografien in grösserem Umfang erst in den 1870er-Jahren begonnen hat.» Christadler ergänzt: «1873 erhielt er den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Basel. Erst da fing er an, Fotografien als Lehrmaterial zusammenzutragen.»
Bildrecherche im 19. Jahrhundert
Was heute dank Google und Co. ein Mausklick entfernt ist, musste damals noch akribisch recherchiert werden. Burckhardt reiste von Fotohändler zu Fotohändler, um Unterlagen für seine Vorlesungen zu sammeln. «Man weiss aus seinen Reiseberichten, dass er ganz spezifisch Fachgeschäfte abgeklappert hat: an einem Tag Reproduktionsgrafiken, am nächsten Tag Fotografien», so Gaier. Beim Kauf von Fotos war er wenig wählerisch: «Burckhardt schrieb in einem Brief, nun habe er wieder einen Stapel gekauft, ohne zu wissen, was drin sei. Er erwarb nicht bestimmte Abbildungen, sondern schaute erst nachträglich in die Mappen», erzählt der Kunsthistoriker weiter. In den Mappen finden sich Fotografien von Malereien, Architektur, archäologischen Stätten, Plastiken und Reliefs aus Europa und der islamischen Welt. Wichtig war ihm beim Kauf dieser Fotografien aber immer, dass sie nicht retuschiert waren. Denn gerade in der Wiedergabe von Rissen und Altersspuren in Gemälden bestand für ihn die grosse Errungenschaft des neuen Mediums.
Obwohl Burckhardts Fotosammlung in den letzten 20 Jahren wiederholt erforscht wurde, wirft sie immer noch mehr Fragen auf als sie Antworten bietet. Beispielsweise findet man dasselbe Foto mehrmals, in den unterschiedlichsten Qualitäten. «Wir wissen nicht, warum Burckhardt alle diese Fotos in seiner Sammlung behalten hat», sagt Christadler.
Appell an die Imagination
Tatsächlich ist bisher auch nicht bekannt, wie Burckhardt die Abbildungen im Unterricht genau eingesetzt hat. In einer Zeit ohne Beamer und Powerpoint sahen Vorlesungen noch anders aus. Ein Vortrag in Kunstgeschichte ohne Bildmaterial wäre heute undenkbar. In seinen Anfängen war das bei Burckhardt allerdings der Normalfall. Imagination war gefragt. Bilder wurden mit Worten geschaffen.
Später liess Burckhardt Abbildungen während seiner Vorlesung kursieren oder legte sie am Schluss auf. «Dies wird immer wieder als Grund genannt, warum er keinen grossen Wert auf teure Fotografien gelegt hat – weil sie eben durch 1000 Hände gingen. Was aber nicht der Fall war», sagt Gaier, und Christadler fügt an: «Er hatte zwischen fünf und acht Hörer in seiner Vorlesung.» Was zu seiner Zeit in Basel nicht aussergewöhnlich war.
Burckhardts Abbildungssammlung ist einerseits im Lesesaal der Universitätsbibliothek einsehbar, anderseits hat die Bibliothek die Fotos allesamt digitalisiert und sie sind nun jederzeit über ihre Website zu finden. Christadler und Gaier sind sich allerdings einig, dass die Forschung am Originalbestand zusätzliche Einsichten ermöglicht: «Es ist grossartig, dass das Material digitalisiert wurde, aber heute würde man den Prozess wissenschaftlich begleiten. Die Rückseiten fehlen, ebenso das Bestandsinventar und die entsprechenden Erläuterungen. Ausserdem wurden bei der Digitalisierung nur die Fotos berücksichtigt, der Rest nicht.»
Zwei Ausstellungen im Herbst
Gemeinsam mit Studierenden der Universität Basel arbeiten Christadler und Gaier seit letztem September in der Sammlung. Das Resultat ihrer Forschung präsentieren sie diesen Herbst in zwei Ausstellungen – einer analogen und einer digitalen. Beide Ausstellungen thematisieren, wie unterschiedlich die Bildmedien waren, mit denen Burckhardt gearbeitet hat. Dazu gehören illustrierten Bücher, Tafel- und Mappenwerken, Reproduktionsgrafiken und Fotografien. Die Ausstellungen zeigen auch, wie Burckhardt diese Medien in Lehre und Forschung eingesetzt und welche zeitgenössische Kunst er als Mitglied der Kunstkommission in Basel gefördert hat. Zwischen dem Kunstmuseum, dessen Bibliothek und der Universitätsbibliothek entstehen verschiedene Stationen, die sich mit Burckhardt und seinem Umgang mit Bildern auseinandersetzen.
Jacob Burckhardt 1818–2018
- 4. Mai 2018: Vernissage «DESKTOP – Jacob Burckhardt Digital» im Historischen Museum Basel, 18 Uhr
- 8. Mai 2018: Auftaktveranstaltung «Zur Aktualität des Historischen»: Podiumsdiskussion im Theater Basel mit Barbara Bleisch, Lukas Bärfuss und Bice Curiger, Foyer, 18 Uhr (Einlass ab 17.30 Uhr)
- 24.–26. Mai 2018: Burckhardt. Renaissance. Internationale Tagung zu Jacob Burckhardts Renaissance-Konzept.
Weitere Informationen: jacobburckhardt.ch