Dompteurin der Photonen
Die Physikerin Dr. Natasha Tomm hat in ihrer Dissertation eine supereffiziente Quelle für Einzelphotonen mitentwickelt. Ihre Arbeit könnte dazu beitragen, den Datenaustausch abhörsicherer zu machen. Die Akademie der Naturwissenschaften zeichnet sie dafür mit dem Prix Schläfli 2022 in Physik aus.
17. Mai 2022
Wenn sie erzählt, entsteht der Eindruck, die Physik sei eine einzige grosse Spielwiese, auf der sich wissbegierige, neugierige Menschen wie sie täglich nach Lust und Laune austoben. Aber dieses Bild würde natürlich der Komplexität der Materie, mit der sich Natasha Tomm beschäftigt, nicht wirklich gerecht. Ganz falsch ist das Bild aber trotzdem nicht. Denn: Die Begeisterung der jungen Frau für Physik hat tatsächlich was mit Leichtigkeit und Spass zu tun.
«Ich hatte einen sehr guten Physiklehrer, der uns stets ermutigt hat, Fragen zu stellen. Und er hat viele Witze gemacht», erzählt die 30-Jährige. «Ich finde es faszinierend, Phänomene bis ins kleinste Detail zu studieren, bis ich sie verstanden habe. Und nachdem du die Dinge verstanden hast, kannst du sie so manipulieren, dass es eine Anwendung gibt.»
Abhörsicherer Datenaustausch
Für eine solche «Manipulation» wird sie jetzt mit dem Prix Schläfli ausgezeichnet. In ihrer Dissertation an der Universität Basel hat sie sich mit der Entwicklung einer Einzelphotonen-Quelle beschäftigt. Photonen, also kleinste Lichtteilchen, spielen beispielsweise im Quantencomputing und der Datenkommunikation eine wichtige Rolle – sie dienen als Transporteure der Daten.
«Wenn ich eine Mail verschicke, ist das quasi eine Box mit x Photonen», erklärt die Physikerin. «Wenn jemand unterwegs ein paar dieser Photonen stiehlt, kommt die Nachricht trotzdem noch an – niemand merkt, dass es einen Datenklau gab.»
Bei einer Übertragung mittels Einzelphotonen würde hingegen ein Leck sofort festgestellt, weil die Info nicht ankommt. Tomm und ihre Kolleginnen und Kollegen haben eine Quelle in einem Halbleiter entwickelt, die einzelne Photonen in riesigen Mengen ausspuckt – nämlich eine Milliarde pro Sekunde. Dabei werden Photonen durch Anregung eines «künstlichen Atoms», eines Quantenpunkts erzeugt, der aus mehreren Tausend Atomen besteht.
Normalerweise verlassen Photonen den Quantenpunkt in alle möglichen Richtungen, und dabei geht ein Grossteil verloren. Die Basler Forschungsgruppe hat nun den Quantenpunkt in einem «Trichter» positioniert, um alle Photonen in eine bestimmte Richtung zu schicken und sie effizient für Anwendungen zu sammeln.
«Natasha hat sehr hart und entschlossen gearbeitet»
Die brasilianische Physikerin hatte sich schon früher mit Licht und Optik beschäftigt – allerdings eher für biomedizinische Anwendungen. «Ich wollte zurück zur reinen Physik», sagt sie. Sie bewarb sich auf PhD-Stellen weltweit. Dass es gerade in Basel geklappt hat, wertet sie als Glück. «Es war der perfect match», sagt sie.
Als sie zur Forschungsgruppe stiess, war das Projekt schon weit fortgeschritten. «Meine Vorgängerin hat grossartige Vorarbeit geleistet.» Auch wenn sie immer wieder von «Glück» spricht: Hinter Natasha Tomms Erfolg steckt harte Arbeit, wie ihr Doktorvater Prof. Dr. Richard J. Warburton betont: «Natasha hat sehr hart und entschlossen gearbeitet und bei der Durchführung und Interpretation der Resultate die Führungsrolle übernommen».
Dass sie nun die Früchte ihrer Arbeit erntet, sei hochverdient. Für Natasha Tomm wiederum ist der Preis «eine schöne Anerkennung meiner jahrelangen Anstrengungen.» Und es sei nicht zuletzt auch eine Würdigung für sie als Frau. «In so einem männerdominierten Umfeld einen solchen Preis zu erhalten, macht es für mich noch besonderer», sagt sie.
Bis Ende Juni läuft Natasha Tomms Vertrag mit der Universität Basel. Danach wird sie die Schweiz verlassen. Wo ihre berufliche Zukunft liegt, weiss sie noch nicht. «Vielleicht kann ich mit meiner Forschung mal ein Start-up gründen und in die Unternehmenswelt einsteigen.»
Der Abschied von der Schweiz ist nur ein weiterer in ihrem Leben. «Natürlich vermisse ich meine Familie, mein Land. Aber ich habe nicht mehr zuhause gelebt, seit ich 17 bin», sagt sie. Vielleicht fällt es ihr auch deshalb leicht, sofort den Anschluss in der Fremde zu finden. Ein Austauschsemester hatte sie einst nach Leipzig geführt. «Ich habe mich sofort in Deutschland verliebt», erzählt sie. Und als sie später für ihr Masterarbeit nach Zürich kam – verliebte sie sich erneut, wie sie lachend erzählt. «Ich war eine arme Studentin, und alles war furchtbar teuer, aber trotzdem habe ich es genossen: Den Sommer am See, die Berge.»
In der Schweiz hat sie Skifahren gelernt, das Wandern neu entdeckt. Und sie hat Europa erkundet: «Ich liebe es zu reisen, in fremde Kulturen und Essgewohnheiten einzutauchen.» Und da ist es wieder, dieses ansteckende Lachen, das leicht darüber hinwegtäuschen könnte, wie hart sie gearbeitet hat, um an den Punkt zu kommen, wo sie jetzt ist. «Ich war ein Kleinstadtmädchen aus Brasilien – und jetzt werde ich mit diesem Preis ausgezeichnet. Was für ein Weg.»
Prix Schläfli
Mit dem Prix Schläfli zeichnet die Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) jährlich die vier besten Dissertationen in den Naturwissenschaften aus. Der Preis wird seit 1866 vergeben. Neben Natasha Tomm erhielten 2022 auch Luca Dal Zilio (ETH Zürich), Anna-Katharina Pfitzner (Universität Genf) und Philippe Schwaller (Universität Bern/IBM Research Zurich) den Preis für Erkenntnisse, die im Rahmen ihrer Dissertationen entstanden sind.
Dieser Text beruht auf einer Medienmitteilung der SCNAT.