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Im Fokus: Sofian Bouaouina sucht nach Kommunikationsmustern in der Küche

Sofian Bouaouina im Garten der Maiengasse
Sofian Bouaouina hat in seiner Dissertation untersucht, wie Menschen ihre Sinne beim gemeinsamen Kochen einsetzen. (Foto: Universität Basel/Kostas Maros)

Während die meisten bei Grammatik gähnen, entdeckte Sofian Bouaouina darin eine Faszination. Diese führte ihn von Diegten an die Universität Basel, wo er sich zunächst auf das Gymnasiallehramt für Französisch und Geschichte vorbereitete, bis er schliesslich auf den Geschmack der Linguistik kam.

14. August 2024 | Céline Emch

Sofian Bouaouina im Garten der Maiengasse
Sofian Bouaouina hat in seiner Dissertation untersucht, wie Menschen ihre Sinne beim gemeinsamen Kochen einsetzen. (Foto: Universität Basel/Kostas Maros)

Schon die ersten Vorlesungen in französischer Linguistik veränderten Sofian Bouaouinas Sprachverständnis grundlegend. Es ging nicht mehr um starre grammatikalische Normen, sondern um die Analyse des alltäglichen Sprachgebrauchs. Ein besonderes Aha-Erlebnis brachte ihm die multimodale Konversationsanalyse. Dieser Ansatz zeigte ihm, dass Kommunikation über die gesprochene Sprache hinausgeht und auch Körperbewegungen, Blickrichtungen, Objekte im Raum, und vieles mehr umfasst. «Ich war hin und weg», schmunzelt Bouaouina, der heute als PostDoc und Lehrbeauftragter für französische Sprachwissenschaft tätig ist.

Das Rezept der Interaktion

Die Konversationsanalyse konzentrierte sich lange hauptsächlich auf den Seh- und Gehörsinn. Im theoretischen Rahmen der Konversationsanalyse untersuchte ein SNF-Projekt unter der Leitung der Linguistik-Professorin Lorenza Mondada erstmals empirisch, inwiefern die bisher weniger erforschten Sinne des Tastens, Schmeckens und Riechens in und für Interaktionen um Lebensmittel genutzt und dem Gegenüber vermittelt werden.

Das fünfjährige Projekt zeigt, dass ein Geschmackserlebnis nicht nur eine private und individuelle Sinneserfahrung sein muss, sondern auch für andere verständlich gemacht werden kann. «Klar 'schmecke' ich beispielsweise Käse, wenn ich ihn esse. Das mache ich aber für mein Gegenüber nicht zwingend sichtbar – es ist ja nicht immer nötig, das bemerkbar zu machen. Wenn ich aber an einem Marktstand Käse probiere, dann 'schmecke' ich diesen ganz aktiv. Und dann wird es relevant, dieses aktive, individuelle Erlebnis für andere verständlich zu machen. So wird klar, dass ich gerade 'am Schmecken' bin, und dass meine Kaufentscheidung wahrscheinlich damit zusammenhängt», erklärt Bouaouina.

Sofian Bouaouina im Garten der Maiengasse
Der Linguist aus der Region Basel hat seine familiären Wurzeln im Baselbiet und im nordafrikanischen Raum. (Foto: Universität Basel/Kostas Maros)

Der 31-jährige PostDoc untersuchte in seiner kürzlich abgeschlossenen Dissertation den systematischen Einsatz von Seh- und vor allem Tastsinn bei der Essenszubereitung. Dazu analysierte er Videomaterial aus dem Hauswirtschaftsunterricht sowie aus privaten Kochsituationen und stellte fest, dass die beiden Sinneswahrnehmungen regelmässig im Zusammenhang mit Instruktionen für die Interaktion relevant gemacht werden.

Im Hauswirtschaftsunterricht zeigt zum Beispiel die Lehrerin einer Schülerin, wie sie den Teig am besten in die Backform drücken kann. Dabei demonstriert sie nicht nur eine mechanische Bewegung, sondern macht, indem sie ihre Handbewegungen der Beschaffenheit des Teigs anpasst, auch ihre taktile Wahrnehmung sichtbar. Letztere wird auf diese Weise für die Instruktion relevant gemacht. So zeigt Bouaouina, inwiefern das aktive Fühlen eines Objekts grundlegender Bestandteil einer Instruktion ist, und verdeutlicht die enge Verbindung zwischen sensorischer Wahrnehmung und praktischer Anleitung.

Ähnliches geschieht beim Kochen im privaten Rahmen: Gespräche über die richtige Schneidetechnik oder optimale Garzeit münden häufig in eine implizite Instruktion. Ein Beispiel: Zwei Brüder kochen zusammen. Der eine sieht dem anderen beim Zwiebelschneiden zu, zeigt dann gestikulierend eine bessere Methode und demonstriert sie schliesslich mit dem Messer. «Bisher wurde in der Linguistik vor allem untersucht, wie die Sinne mit Worten beschrieben werden, aber nicht, wie genau sie in der natürlichen Interaktion benutzt werden. Für mich als Forscher ist es wichtig, einerseits das Verständnis über menschliche Interaktion zu erweitern (in diesem Falle um den Gebrauch der Sinne) und andererseits zu zeigen, wie kompetent der Mensch darin ist, komplexe Phänomene wie beispielsweise Instruktionen zu produzieren und zu verstehen», so Bouaouina.

Zwischen Kochlöffel und Kamera

Gelegentlich ist Sofian Bouaouina auch selbst auf seinen Videodaten zu sehen und kocht mit. Dadurch konnte er nicht nur in die Forschungsumgebung eintauchen, sondern auch verschiedene Kochtechniken übernehmen und seine Kochkünste verbessern. «Ich bin zwar nach wie vor ein Rezeptkoch, aber ich mache es jetzt mit mehr Freude als zuvor,» meint er. Die Vermischung von Arbeit und Privatleben ist für ihn kein Problem, sondern vielmehr eine Entlastung. «Ich verbinde die beiden Bereiche meines Lebens lieber, als sie zu trennen.»

Obwohl Bouaouina den Wissenschaftler in sich nie ganz ablegen kann, betont er, dass er nicht ständig alles analysiert. Gerade am Anfang sei ihm das schwergefallen, vor allem bei sich selbst. «Es war schon merkwürdig, mich in den Forschungsvideos zu sehen und zu hören», gesteht er. «Ich habe bemerkt, wie schnell ich spreche, was mich als Forscher, der die Gespräche später transkribieren muss, vorerst gestört hat.» Inzwischen hat er sich daran gewöhnt und nützt die Anonymisierung der Daten aus, um Distanz zu schaffen: In den Transkriptionen nennt er sich Farid – so spricht er beinahe von einer anderen Person und entkommt so dem eigenen Forscherblick.

Nachdem seine Doktorarbeit nun abgeschlossen ist, sehnt sich Bouaouina nach einer neuen analytischen Herausforderung. Von der Küche hat er vorerst genug - und will sich unter anderem der Feuerwehr als einem neuen Forschungssetting zuwenden. «Im Atemschutztrupp tastet man sich durch dunkle Räume, behindert durch Masken und schwere Ausrüstung. Trotz eingeschränkter Sinneswahrnehmung muss das Team zusammenarbeiten. Diese Interaktion unter extremen Bedingungen zu verstehen, reizt mich», erklärt er.

Im Fokus: die Sommerserie der Universität Basel

Das Format Im Fokus rückt junge Forschende in den Mittelpunkt, die zum internationalen Renommee der Universität beitragen. In den kommenden Wochen stellen wir Akademiker*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen vor, die stellvertretend für die über 3000 Doktorierenden und Postdocs der Universität Basel stehen.

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