«Japan war immer wieder Einflüssen von aussen ausgesetzt»
Atsushi Shibasaki forscht als Gastprofessor am Europainstitut der Universität Basel über Kulturen und ihren Austausch untereinander. Im Gespräch äussert er sich über die Freundlichkeit der Basler Bevölkerung, Parallelen zwischen Japan und der Schweiz und die Bedeutung von Bob Dylan.
28. Mai 2018
Was ihn bei seiner Ankunft in Basel am meisten überrascht habe, sagt Atsushi Shibasaki, seien die internationale Atmosphäre dieser Stadt und die ausgeprägte Hilfsbereitschaft ihrer Bewohner: «Meine Familie und ich hatten uns wegen unserer minimalen Deutschkenntnisse Sorgen gemacht. Umso mehr waren wir erleichtert, als wir realisierten, dass hier fast jedermann englisch spricht.» Zudem hätten sie von den Behörden einen Gutschein für 80 kostenlose Deutschstunden erhalten: «Dieses Angebot hat uns bei der Integration sehr geholfen.»
Auf Einladung des Europainstituts der Universität Basel, wo Shibasaki derzeit als Gastprofessor arbeitet, lebt er mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern seit rund einem Jahr in Basel. Er ist Professor an der Fakultät für Global Media Studies der Komazawa-Universität in Tokio. Im Zentrum seiner breit gefächerten Forschung steht die Bedeutung von internationalen kulturellen Beziehungen. So beschäftigt er sich mit der Entstehungsgeschichte eines internationalen Bewusstseins im modernen Japan und mit dem Einfluss des deutschen Philosophen Immanuel Kant auf die Weltsicht der Japaner.
Vom Ausland geprägt
Klischees über Japan kursieren viele. Viel seltener trifft man im Westen hingegen auf ein vertieftes kulturelles Verständnis. Wegen ihres ausgeprägten Hangs zur Konformität und den daraus resultierenden sozialen Codes und Verhaltensweisen wirkt die japanische Gesellschaft in unseren Augen oftmals verschlossen. Shibasaki will dies aber so nicht stehen lassen, sagt er im Gespräch.
Entgegen dem Bild einer in sich geschlossenen Gesellschaft, so der Forscher, sei Japan seit Jahrhunderten auch von ausländischen Einflüssen geprägt worden – traditionellerweise von China und der koreanischen Halbinsel, sowie seit dem 20. Jahrhundert von Europa und vor allem von den USA: «Die Japaner waren immer wieder kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Sie haben sich diese gewissermassen geliehen, adaptiert und so auf einzigartige Weise zu eigen gemacht.» Es sei dies ein typisches Beispiel einer «antagonistischen Akkulturation», eine Art von kultureller Abwehr, um nicht von aussen dominiert zu werden. Nicht zuletzt deshalb, sagt Shibasaki, habe es Japan geschafft, seine traditionellen kulturellen Wurzeln bis heute lebendig zu erhalten.
«Kultur des guten Lebens»
Gibt es da möglicherweise Parallelen zur Schweiz? Das Leben hier sei ausserordentlich bequem, stressfrei und sicher – abgesehen von den hohen Preisen, meint der Gastprofessor lächelnd. Anders als in Tokio wirkten die Menschen in Basel selten gestresst: «Sie haben Geduld und scheinen fast immer Zeit zu haben, obwohl sie in einer wirtschaftlich äusserst dynamischen und multikulturell geprägten Stadt leben.»
Manchmal könne man fast den Eindruck gewinnen, die Leute hier lebten noch im 20. Jahrhundert, sagt Shibasaki. Was keineswegs abwertend gemeint sei, ganz im Gegenteil: «Mir scheint, dass sich die Basler Bevölkerung eine ‹Kultur des guten Lebens› bewahrt hat, indem sie sich bisher nicht allzu sehr vom weltweiten Konsumismus und von der Gier nach materiellen Gütern hat anstecken lassen.»
Ein Bob-Dylan-Fan
Einer, der sich seit Jahrzehnten den Vermarktungsmechanismen des internationalen Musikbusiness zu entziehen versuche, sei der Liedermacher und Musiker Bob Dylan. «Seit meiner Jugend bin ich ein Fan von ihm», verrät Shibasaki, «ich kann sogar einige seiner Lieder singen und mit der Gitarre und der Mundharmonika spielen.» Da trifft es sich ausgezeichnet, dass ihn die japanische Gesellschaft für Friedensstudien kürzlich gebeten hat, einen Aufsatz über den politischen und kulturellen Einfluss des Ausnahmemusikers zu verfassen.
Den Fokus will er dabei auf Dylans Beitrag zum Weltfrieden und seine bemerkenswerte Reaktion auf den Erhalt des Nobelpreises legen. Es sei äusserst schwierig, die Essenz der künstlerischen Aktivitäten Dylans zu fassen, sagt Shibasaki: «Viele sehen in ihm vor allem einen begnadeten Textschreiber und Poeten. Ich bin dagegen eher der Meinung, dass seine Bedeutung in seiner einzigartigen Mischung aus Poesie, Musik und Performance zu suchen ist.»