«Auch Faulsein steckt in unseren Genen»
Schwitzen im Fitnessstudio oder doch eine Serie schauen? Manchen Menschen gewinnen den Kampf gegen den «inneren Schweinehund» eher als andere. Was das Gehirn damit zu tun hat und welche Rolle die Gene dabei spielen, erklärt Bewegungswissenschaftler Markus Gerber.
18. Februar 2025 | Noëmi Kern
Herr Gerber, wie motivieren Sie sich, körperlich aktiv zu sein?
Eigentlich kann es mir nicht genug Bewegung sein. Ich mag unterschiedliche Spielsportarten und spiele schon lange Tennis. Im Winter gehe ich gerne Schlittschuh laufen und ich bin passionierter Skifahrer. Krafttraining und Ausdauersportarten wie Schwimmen gehören für mich ebenfalls dazu. Und ich fahre jeden Tag mit dem E-Bike zur Arbeit, je 27 Kilometer hin und zurück. So ist die Grundaktivität in meinem Leben eigentlich gesichert.
Weshalb fällt es vielen Menschen so schwer, sich zu Sport aufzuraffen?
Es gibt unterschiedliche Faktoren, die dazu führen. Bei manchen ist das soziale Umfeld nicht unterstützend, bei anderen fehlt die Zeit für körperliche Aktivität, weil sie so viel arbeiten. Vor allem, wenn eine Aktivität noch keine Gewohnheit ist, spielt die Tagesform eine Rolle. Hat man beispielsweise einen stressreichen Tag hinter sich, ist die selbstregulative Energie bereits tief oder gar aufgebraucht und es fällt einem besonders schwer, sich aufzuraffen. In unserem Zentrum für Bewegungsberatung am Departement Sport, Bewegung und Gesundheit schauen wir mit den Teilnehmenden individuell, wo der Schuh drückt, um dann spezifisch nach Lösungen zu suchen.
Die äusseren Umstände sind das eine. Warum bewegen sich manche Menschen lieber als andere?
Als Kind haben alle Menschen einen Bewegungsdrang; man muss sich motorisch bewegen, um die Welt erkunden zu können. Damit sind der Nutzen und der Sinn von Bewegung klar. Aber auch die Sozialisation spielt beim kindlichen Bewegungsverhalten eine wichtige Rolle: Wie verhalten sich die Eltern als Vorbilder? Wie viel unternehmen sie mit ihren Kindern in der Freizeit und fördern sie den ausserschulischen Sport? Auch der Freundeskreis und wie der schulische Sportunterricht gestaltet ist, haben einen Einfluss. Bis zu einem bestimmten Grad sind auch die Gene dafür verantwortlich, wie körperlich aktiv eine Person ist.
Die Gene beeinflussen, wie gern wir uns bewegen?
Dazu gibt es zwar noch nicht so viele Studien, diese zeigen aber, dass der genetische Anteil beim Bewegungsverhalten zwischen 30 und 70 Prozent liegt. Man muss also vorsichtig sein mit Schuldzuweisungen wie: «Das ist ungesundes Verhalten, du hast dich nicht unter Kontrolle».
Das ist praktisch! Dann kann man einfach den Genen die Schuld geben, wenn man das Sofa der Joggingrunde vorzieht?
Das ist natürlich verlockend. Aber die Gene beeinflussen uns nicht zu 100 Prozent. Man hat immer noch die Möglichkeit zu intervenieren. Interessanterweise kommt die genetische Komponente im Erwachsenenalter mehr zum Tragen als in der Kindheit. Das liegt daran, dass der Einfluss des Elternhauses abnimmt.
Wie verändert sich die körperliche Aktivität im Laufe des Lebens?
Körperliche Aktivität hat immer einen ultimativen Zweck und dieser ist nicht in jeder Lebensphase gleich. Kinder bis zwölf bewegen sich in der Regel sehr gern.
In der Pubertät braucht der Körper dann viel Energie für andere Entwicklungsprozesse. Mit anderen Worten: Eigentlich diktiert die Natur des Menschen, dass in diesem Alter die Motivation für Bewegung ein bisschen tiefer ist. Eine weitere Zäsur ist die Elternzeit. Ich denke, das muss man bis zu einem gewissen Grad hinnehmen und sagen: «Mach dir deswegen keinen Kopf. Später wirst du dann wieder aktiver sein.» Ältere Personen sind noch sehr lange sehr gerne aktiv.
Welche Rolle spielt der Kopf bei körperlicher Aktivität?
Das Gehirn entscheidet bewusst oder unterbewusst, was zu tun ist. Kognitive Funktionen sind massgebend fürs Bewegungsverhalten. Lange wurde in der Psychologie ignoriert, dass auch Automatismen einen Einfluss auf die Bewegung haben. Man ging davon aus, dass allein die Absicht das Verhalten steuert. Das ändert sich gerade. Die Forschung interessiert sich zunehmend für Dinge, die sich unterbewusst in unserem Gehirn abspielen: Wie nehmen wir unterbewusst Bewegung wahr – und hat das einen Einfluss auf unser Bewegungsverhalten? Ein Anliegen unseres Review-Artikels über die psycho-physiologischen Grundlagen von körperlicher Aktivität ist es aufzuzeigen, wie bisher geforscht wurde und wie man die verschiedenen Ansätze miteinander verbinden könnte (siehe Box unten). Fortschritt findet an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen statt wie Bewegungspsychologie, Neurowissenschaft und Evolutionsbiologie, und ich denke, dieses Potenzial müssen wir in der bewegungsbezogenen Motivationspsychologie noch deutlich besser nutzen.
Was heisst das konkret?
Wir können zum Beispiel mit kognitiven Trainingsprogrammen, die mit Bewegung gar nicht so viel zu tun haben, die erwähnten selbstregulativen Ressourcen verbessern, die dem Bewegungsverhalten zugrunde liegen.
Und aus evolutionärer Perspektive sollte man stärker auf das Warum fokussieren: Warum soll sich eine Person überhaupt bewegen? Inwiefern kann Bewegung dazu beitragen, dass das Leben lebenswerter ist? Wenn ich eine Aktivität suche, die zu mir passt, dann bewege ich mich nicht nur um der Bewegung willen, sondern weil sie mir wirklich etwas gibt in meinem Leben. Dass wir propagieren «Du musst aktiv sein, um gesund zu sein» oder «Sport ist Medizin» ist ein neuartiges Phänomen und als Konzept recht abstrakt.
… aber wissenschaftlich belegt: Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass körperliche Aktivität gesundheitsfördernd ist und das Leben verlängern kann. Reicht das nicht als Motivation?
Man kann sich fragen, ob Langlebigkeit ein sinnvolles Lebensziel darstellt. Ich denke, es geht eher darum, sich zu fragen, was einen im Leben glücklich macht. Als Individuum zu sagen «Ich treibe jetzt Sport, weil ich 90 werden will» ist meiner Meinung nach nicht der Ansatz. Man müsste sagen: «Ich treibe Sport, weil es mir Spass macht und weil es mein Leben lebenswerter macht. Und wenn ich Glück habe, dann werde ich auch noch 90 deswegen».
Es geht also um intrinsische Motivation?
Aus evolutionärer Perspektive war Bewegung nie dazu da, unsere Gesundheit zu fördern, sondern um Nahrung zu sammeln, zu lernen und zum Beispiel bestimmte Fähigkeiten zu erwerben. Es war zudem durchaus zweckmässig, auch mal inaktiv zu sein. Wenn man seine Beute erlegt hatte, wollte man mit seiner Energie haushalten, um nicht gleich am nächsten Tag wieder jagen zu müssen. Deshalb steckt auch Faulsein in unseren Genen. Aufgrund des technologischen Fortschritts sitzen wir jedoch mehr, sodass wir uns heute überlegen müssen, wie wir sonst körperlich aktiv sein können.
Was raten Sie?
Es geht darum, Bewegungsbarrieren abzubauen, anstatt sich auf Gesundheitsziele zu fokussieren. Man sollte nach einer Bewegung suchen, die zu einem passt, und zwar so lange, bis diese Aktivität gefunden ist. Sobald man merkt, dass eine Aktivität nicht passt, sollte man die Notbremse ziehen. Wenn ich nur Tennis spiele, weil es im Kalender steht, und nicht, weil es mir Spass macht, sehe ich dahinter keinen Sinn. Bewegung sollte unter dem Strich sinnstiftend sein, auch wenn sie manchmal ein Krampf und nicht immer gleich lustig ist.
Übersichtsarbeit zum aktuellen Stand der Forschung
Der Review-Artikel Psycho-physiological foundations of human physical activity behavior and motivation: Theories, systems, mechanisms, evolution, and genetics liefert eine Übersicht über bisherige Erkenntnisse, warum und wann Menschen motiviert sind, körperlich aktiv zu sein. Hierbei spielen evolutionäre, genetische, psychologische und umweltbezogene Einflüsse eine Rolle. Die Studie betont deshalb die Notwendigkeit einer interdisziplinären Betrachtung und neuer theoretischer Ansätze, um aktive Lebensstile gezielt zu fördern. Die systematische Übersichtsarbeit erschien im Januar 2025 in der Fachzeitschrift «Physiological Reviews».