Bioaktive Nanokapseln steuern das Zellverhalten
Viele Erkrankungen beruhen darauf, dass bestimmte Signalwege von Körperzellen ausfallen oder aus dem Ruder laufen. Künftig könnten bioaktive Nanokapseln in der Medizin helfen, solche Signalwege gezielt zu steuern. Forschenden der Universität Basel ist hierbei ein wichtiger Schritt gelungen: Sie liessen verschiedene Nanokapseln erfolgreich zusammenarbeiten, um eine natürliche Signalkaskade zu verstärken und das Zellverhalten zu beeinflussen.
14. September 2020
Zellen kommunizieren ständig miteinander und besitzen Komponenten, mit denen sie Signale aufnehmen und verarbeiten können – ähnlich wie Menschen, die Ohren brauchen, um Laute zu hören, und Kenntnisse über Sprache, um ihre Bedeutung zu verarbeiten. Die zelleigenen Signalwege gezielt zu beeinflussen ist von grossem Interesse für die Medizin, um verschiedene Erkrankungen zu behandeln.
Ein Forschungsteam am Departement Chemie der Universität Basel und am Nationalen Forschungsschwerpunkt «Molecular Systems Engineering» entwickelt bioaktive Materialien, die sich dafür eignen könnten. Dazu kombinieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Cornelia Palivan Nanomaterialien mit natürlichen Molekülen und Zellen.
Im Fachjournal «ACS Nano» berichten die Forschenden nun von Enzym-beladenen Nanokapseln, die in die Zellen eindringen und sich dort in die Signalprozesse einklinken. Indem sie diese Nanokapseln zusammenarbeiten liessen, konnten sie einen natürlichen Signalweg verstärken.
Schutz der Ladung
Um sie vor dem Abbau in der Zellumgebung zu schützen, verpackte das Forschungsteam die Enzyme in eine schützende Kapsel aus Polymeren. Durch biologische Poren, die in die Hülle der Kapseln eingebaut sind, können Moleküle ins Innere gelangen, wo sie mit den Enzymen reagieren.
Die Forschenden setzten in ihren Experimenten Kapseln mit verschiedenen Enzymen ein, die im Tandem funktionierten: Das Produkt der ersten Reaktion gelangte in eine zweite Kapsel und startete dort die zweite Reaktion. Diese mit Enzymen beladenen Kapseln konnten tagelang funktionsfähig bleiben und in Säugetierzellen aktiv an natürlichen Reaktionen teilnehmen.
Winzige Lautsprecher und Ohren
Eines der vielen chemischen Signale, die Zellen empfangen und verarbeiten, ist Stickstoffmonoxid (NO). Defekte im NO-Signalweg sind an der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch von Muskel- und Netzhautdystrophien beteiligt. Die Signalkaskade umfasst die Produktion von NO durch eine Enzymfamilie namens Stickstoffmonoxid-Synthasen (NOS). Das NO kann in andere Zellen gelangen, wo es von einem anderen Enzym namens lösliche Guanylatcyclase (sGC) wahrgenommen wird. Dessen Aktivierung löst eine Kaskadenreaktion aus, die zahlreiche Prozesse reguliert, beispielsweise die Entspannung der glatten Muskulatur, das Zellwachstum oder die Verarbeitung von Lichtreizen durch Sinneszellen.
Die Forschenden um Palivan stellten Kapseln her, die sie mit NOS oder sGC beluden. Beide Enzyme sind von Natur aus in den Zellen vorhanden, jedoch in viel geringerer Konzentration als in den Kapseln. Die NOS-Kapseln, die Stickstoffmonoxid produzieren, fungieren quasi als Lautsprecher, die ihr Signal laut und deutlich "hinausschreien". Die sGC-Kapseln würden als «Ohren» das Signal wahrnehmen und verarbeiten.
Als Indikator, ob das System funktioniert, diente die intrazelluläre Konzentration von Kalzium, da diese von der Wirkung von sGC abhängt. So konnte das Team nachweisen, dass die Kombination von NOS- und sGC-beladenen Kapseln die Zellen viel reaktiver macht, mit einem achtfachen Anstieg des intrazellulären Kalziumspiegels.
Neue Strategie für Enzymersatztherapie
«Es ist eine neue Strategie, solche Veränderungen in der Zellphysiologie durch die Kombination von Nanowissenschaften mit Biomolekülen anzuregen», sagt Dr. Andrea Belluati, der Erstautor der Studie. «Einmal von der Zellen aufgenommen, waren unsere mit Enzymen beladenen Kapseln sofort einsatzbereit.»
«Dieser Machbarkeitsnachweis ist ein wichtiger Schritt auf dem Gebiet der Enzymersatztherapie bei Krankheiten, bei denen biologische Signalwege gestört sind», fügt Prof. Cornelia Palivan hinzu. «Dazu zählen beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder verschiedene Dystrophien.»
Originalbeitrag
A. Belluati, I. Craciun, and C. G. Palivan
Bioactive Catalytic Nanocompartments Integrated into Cell Physiology and Their Amplification of a Native Signaling Cascade
ACS Nano (2020), DOI: 10.1021/acsnano.0c05574
Weitere Auskünfte
Prof. Dr. Cornelia G. Palivan, Universität Basel, Departement Chemie, Tel. +41 61 207 38 39, E-Mail: cornelia.palivan@unibas.ch