Covid-19: Neun Erkenntnisse aus der Psychologie, um jetzt gute Entscheidungen zu treffen
Ein grosser Teil der Medienberichte zu Covid-19 konzentriert sich auf Zahlen und Statistiken. Das kann hilfreich sein, aber auch überfordern und verwirren. Sozialpsychologinnen und -psychologen der Universität Basel haben neun praktische Empfehlungen formuliert, mit denen sich das Entscheidungsverhalten an die aktuelle Situation anpassen lässt.
17. März 2020
Hände schütteln, Mittagessen mit Kolleginnen und Kollegen, Ferien annullieren, zuhause bleiben? Das Coronavirus fordert viele unvorhergesehene Entscheidungen. Die Doktorandin Maria Douneva beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem Thema Entscheidungen und beobachtet im aktuellen Umgang mit dem Coronavirus klassische psychologische Effekte – viele davon sind unbewusst. Gemeinsam mit Prof. Dr. Rainer Greifeneder hat sie neun Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie formuliert, die helfen sollen, aktuell gute Entscheidungen zu treffen.
1. Allgemeine Entwicklungen vs. Einzelfälle
«Das Verhalten von Menschen wird eher von Einzelschicksalen beeinflusst, sowohl positiven als auch negativen, als von Statistiken», erklärt Douneva. Um die aktuelle Pandemie zu verstehen, sei es hingegen wichtig, über die Einzelfälle hinauszugehen und allgemeine Entwicklungen in einer Region, einem Land oder einem Kontinent zu beobachten. Wissenschaftlich fundierte Animationen und Simulationen bilden Trends ab, die anhand der Einzelfälle nicht ersichtlich sind. Solche Trends zu verstehen, kann helfen, die richtigen Schritte zur richtigen Zeit einzuleiten.
2. «Du siehst, was du suchst.»
Es ist wahrscheinlich, dass Menschen nach Informationen suchen, welche die eigene Sichtweise bestätigen, oft auch unbewusst. «Wenn ich mich beruhigen will, suche ich nach beruhigenden Meldungen», so Douneva. Zusätzlich erinnere man sich sogar besser an die Meldungen, die zur eigenen Sichtweise passen. Diese Tendenz macht vieles im Leben einfacher, aber sie kann auch zu falscher Zuversicht führen. Es ist darum hilfreich, möglichst unvoreingenommen unterschiedliche Einschätzungen einer Situation zu berücksichtigen.
3. Ein kritisches Auge für Fake News und Verschwörungstheorien
Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich schnell. Menschen tun sich schwer, sich von Falschmeldungen zu distanzieren – auch wenn ihnen bewusst ist, dass sie aus einer wenig vertrauenswürdigen Quelle stammt. Und: «Je öfter man etwas liest, desto wahrscheinlicher ist es, dass man es glaubt», erkärt Douneva. Es sei deswegen sinnvoll, dem ersten Eindruck nicht zu vertrauen, genauer hinzuschauen und Informationen nur dann zu verbreiten, wenn die Quelle kritisch geprüft wurde.
4. Falscher Optimismus
Viele Entscheidungen werden aufgrund von Erfahrungswerten getroffen. Weil die wenigsten Menschen jedoch ein seltenes Ereignis wie eine Pandemie bereits einmal erlebt haben, sind sie bei solch negativen Erlebnissen oft zu optimistisch. Die Sozialpsychologin erklärt: «Man denkt, es treffe ja nur ein paar Prozent schwer, da gehöre man selbst nicht dazu.» Es gebe allerdings überhaupt keinen Grund zur Annahme, dass das Virus vor irgendeiner Person Halt machen würde. Darum macht Hände waschen und Social Distancing für alle Sinn.
5. Wahrnehmung vs. Realität
Menschen glauben, dass das eigene Befinden für andere klar wahrnehmbar sei. Doch dies ist nicht der Fall. Deswegen kommt es vor, dass jemand glaubt die einzige Person zu sein, die sich Sorgen macht. «Diese Person traut sich dann zum Beispiel nicht, das Mittagessen abzusagen, weil sie fürchtet, die anderen würden das übertrieben finden», so Douneva. «Macht aber jemand mal den Anfang, stimmen vielleicht alle anderen zu.» Die Schlussfolgerung: Entscheide sollten nicht aufgrund von Vermutungen getroffen werden. Über die eigenen Gedanken zu sprechen lohnt sich.
6. Gegenwart vs. Zukunft
Menschen haben eine Tendenz, einen Fokus auf die Gegenwart zu legen anstatt für die Zukunft zu planen. Aber: Ein kleiner Aufwand heute kann helfen, spätere Folgen zu vermeiden. Ferien heute zu annullieren ist mit Kosten verbunden – später ist es aber vielleicht noch teurer und aufwändiger. Zudem können sich soziale Normen schnell verändern: Vor einer Woche hätten manche vielleicht noch gesagt, sich nicht die Hände zu schütteln, sei paranoid. Heute sieht das anders aus. Douneva rät darum: «Man sollte keine Angst haben, jetzt mit einer ungewöhnlichen Massnahme anzufangen, wenn sie empfohlen wird.»
7. Ausgegeben ist ausgegeben
«Der Mensch hat einen natürlichen Reflex, Investitionen wieder hereinholen zu wollen», so Douneva. Aber: Eine bereits gebuchte Reise anzutreten, nur weil man bereits bezahlt hat, bringt das Geld nicht zurück. Es helfe sich zu fragen, wie man handeln würde, hätte man nicht bereits Geld investiert, sagt die Sozialpsychologin. «Und: Wirst du die Reise wirklich geniessen können, wenn du weisst, dass du damit deine Gesundheit, die von anderen sowie die medizinische Versorgung gefährdest?»
8. Verlust vs. Gewinn
Die aktuelle Situation bringt Verzicht – sie bringt aber auch Chancen. «Wie oft sagen Leute: Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit», sagt Douneva. Jetzt sei die Gelegenheit, aufgeschobene Dinge anzupacken wie mehr Bücher zu lesen oder mehr Klavier zu spielen.
9. Perspektiven wechseln
Es ist einfacher, anderen gute Ratschläge zu erteilen als diese selbst zu befolgen. Ein Perspektivwechsel hilft oft, die Dinge klarer zu sehen. «Zum Beispiel kann man sich fragen, wie man in Zukunft über die heutige Situation denken wird oder was man dem jüngeren Ich aus zukünftiger Sicht raten würde», erklärt Douneva. «Jetzt denke ich vielleicht: Das sind schwierige Zeiten. Später möchte ich sagen können, dass ich in dieser schwierigen Zeit tat, was ich konnte.» Im Nachhinein bereuen viele Menschen nicht gehandelt zu haben, als sie es noch konnten.
Weitere Auskünfte
- Maria Douneva, Universität Basel, Fakultät für Psychologie, E-Mail: maria.douneva@unibas.ch
- Prof. Dr. Rainer Greifeneder, Universität Basel, Fakultät für Psychologie, E-Mail: rainer.greifeneder@unibas.ch