Dürren im 6. Jahrhundert ebneten den Weg für den Islam
Extreme Trockenheit hat zum Niedergang des antiken südarabischen Königreichs Himyar beigetragen. Das berichten Forschende der Universität Basel im Fachjournal «Science». In Kombination mit politischen Unruhen und Krieg hinterliessen die Dürren eine zerrüttete Region und begünstigten so die Ausbreitung des neu aufkommenden Islam auf der arabischen Halbinsel.
16. Juni 2022
Auf den Hochebenen des Jemen sind heute noch die Spuren des Königreichs Himyar zu sehen: Terrassierte Felder und Dämme dienten als besonders ausgeklügelte Bewässerungssysteme, um die Halbwüste in fruchtbare Felder zu verwandeln. Während mehrerer Jahrhunderte war Himyar eine feste Grösse in Südarabien.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. geriet das einst so starke Königreich jedoch in eine Krise, die in der Eroberung durch das benachbarte Aksum (das heutige Äthiopien) gipfelte. Ein bisher unbeachteter Faktor, nämlich extreme Trockenheit, könnte entscheidend zu den Umbrüchen im antiken Arabien beigetragen haben, aus denen im 7. Jahrhundert der Islam hervorging. Das berichten Forschende um Prof. Dr. Dominik Fleitmann im Fachjournal «Science».
Versteinertes Wasser als Klimaarchiv
Sein Team analysierte die Schichten eines Tropfsteines aus der Hoti-Höhle im heutigen Oman. Die Wachstumsrate des Stalagmiten und die chemische Zusammensetzung seiner Schichten hängen direkt davon ab, wie viel Niederschlag oberhalb der Höhle fällt (siehe Box). Somit stellen die Form und Isotopenzusammensetzung der abgelagerten Schichten eines Stalagmiten ein wertvolles Klimaarchiv dar.
«Schon mit blossem Auge ist dem Tropfstein anzusehen, dass es eine sehr trockene Periode über mehrere Jahrzehnte hinweg gegeben haben muss», sagt Fleitmann. Tropft weniger Wasser auf den Stalagmiten, läuft weniger davon an den Seiten herunter. Der Stein wächst mit geringerem Durchmesser als in Jahren mit hoher Tropfrate.
Die Isotopenanalyse der Gesteinsschichten erlaubt Rückschlüsse auf die jährliche Niederschlagsmenge. So entdeckten die Forschenden, dass nicht nur über lange Zeit weniger Regen fiel, sondern dass es gar eine extreme Dürre gegeben haben muss. Diese Trockenperiode konnten die Forschenden anhand des radioaktiven Zerfalls von Uran auf Anfang des 6. Jahrhunderts n. Chr. datieren, allerdings nur auf 30 Jahre genau.
Detektivarbeit im «Mordfall» Himyar
«Ob diese Dürre zeitlich direkt mit dem Zerfall des Königreichs Himyar zusammenhing oder vielleicht doch erst danach auftrat, liess sich aufgrund dieser Daten allein nicht eindeutig beweisen», so Fleitmann. So habe er weitere Klimarekonstruktionen aus der Region analysiert und historische Quellen durchforstet sowie mit Historikern zusammengearbeitet, um den Zeitpunkt der extremen mehrjährigen Dürre besser einzugrenzen.
«Das war ein bisschen wie ein Mordfall: Wir haben ein totes Königreich und suchen den Schuldigen. Die Indizien haben uns Schritt für Schritt der Antwort nähergebracht», sagt der Forscher. So halfen beispielsweise Daten über den Wasserpegel des Toten Meeres sowie historische Dokumente, die eine mehrjährige Dürre in der Region beschreiben und aufs Jahr 520 n. Chr. datieren, die Extremdürre tatsächlich mit der Krise des Königreichs Himyar in Zusammenhang zu bringen.
«Wasser ist die wichtigste Ressource überhaupt. Dass ein Rückgang der Niederschläge und insbesondere mehrere Jahre mit extremer Trockenheit ein Halbwüsten-Königreich destabilisieren können, liegt auf der Hand», so Fleitmann. Die Bewässerungssysteme benötigten zudem stetige Wartung und Reparaturen. Dies war nur mit Zehntausenden an wohlorganisierten Arbeitskräften zu bewerkstelligen. Die durch Wassermangel gebeutelte Bevölkerung Himyars konnte diese aufwändige Instandhaltung vermutlich nicht mehr gewährleisten, was die Situation weiter verschärfte.
Politische Unruhen im eigenen Land und ein auf Himyar überschwappender Krieg zwischen seinen nördlichen Nachbarn, dem byzantischen und dem sasanischen Reich, schwächten das Königreich weiter. Als schliesslich der westliche Nachbar Aksum in Himyar einmarschierte und das Reich eroberte, verlor das einst so mächtige Land endgültig an Bedeutung.
Wendepunkte der Geschichte
«Bei extremen Klimaereignissen denkt man oft nur an den kurzen Zeitraum danach, begrenzt auf wenige Jahre», so Fleitmann. Dass Klimaveränderungen die Destabilisierung von Staaten und in der Folge einen anderen Verlauf der Geschichte herbeiführen können, werde oft ignoriert. «Die Not der Bevölkerung durch Hunger und Krieg war gross. Da fand der Islam fruchtbaren Nährboden: Man suchte neue Hoffnung, etwas, das die Menschen wieder als eine Gesellschaft vereinen konnte. Das bot die neue Religion.»
Damit wolle er nicht sagen, dass die Dürre direkt die Entstehung des Islam herbeigeführt habe, betont der Forscher. «Aber sie war ein wichtiger Faktor im Kontext der Umbrüche in der arabischen Welt des 6. Jahrhunderts.»
Originalpublikation
Dominik Fleitmann et al.
Droughts and societal change: the environmental context for the emergence of Islam in late Antique Arabia
Science (2022), doi: 10.1126/science.abg4044
Weitere Auskünfte
Prof. Dr. Dominik Fleitmann, Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften, Tel.: +41 61 207 61 12 / +41 76 473 59 89, E-Mail: dominik.fleitmann@unibas.ch
Niederschlag und Isotope
In tropischen und subtropische Gebieten gibt es einen Zusammenhang (Korrelation) zwischen der Menge und der isotopischen Zusammensetzung des Niederschlags, welcher auch «Mengeneffekt» genannt wird. Je mehr es regnet, umso mehr wird das Verhältnis zwischen den leichteren und schwereren Sauerstoffisotopen, 16O und 18O, im Niederschlag zu Gunsten des leichteren 16O verschoben. Diese Veränderungen sind im Tropfstein aus dem Oman gespeichert, da dieser aus Tropf- bzw. Regenwasser entsteht. Anhand von Isotopenmessungen an den Kalkschichten des Tropfsteines kann man das Verhältnis von 16O und 18O genau bestimmen und in Kombination mit der Uran-Datierung rekonstruieren, wann es wieviel geregnet hat.